Der Meinungskorridor wird enger - Die linke Spur ist breiter als die rechte

Eine Allensbach-Umfrage offenbart, dass viele sich bei „heiklen Themen“ nur vorsichtig äußern wollen. Warum ihr Gefühl nicht unbegründet ist und welche Verantwortung soziale Medien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk dafür haben.

Meinungsfreiheit muss auch gelebt werden / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Noch nie war es so einfach, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden. Über Twitter, Facebook, YouTube oder ein anderes der sogenannten sozialen Medien hat praktisch jedermann die Chance, eine hinreichend große Zahl von Menschen zu erreichen. Falls er Interessantes oder Provokantes zu sagen hat, findet er Leser, Zuhörer oder Zuschauer, die das Gesagte oder Gestreamte im Netz weiter verbreiten. Was für eine Veränderung gegenüber der Zeit vor zehn, fünfzehn Jahren! Damals konnten Privatleute allenfalls dann ein größeres Publikum erreichen, wenn sie einen Leserbrief schrieben; ob der veröffentlicht wurde, stand freilich in den Sternen.

Heute ist jeder, der will, sein eigener Chefredakteur. Zugleich klagen immer mehr Menschen, man könne und dürfe so vieles nicht sagen. Bei einer Allensbach-Umfrage vor einem Jahr stimmten lediglich 18 Prozent der Aussage zu, man könne sich „in der Öffentlichkeit und im Internet zu allem frei äußern.“ 58 Prozent sagten dagegen, man müsse bei einigen Themen vorsichtig sein; 20 Prozent hielten Vorsicht sogar „bei allen Themen“ für geboten.

Alles heikle Themen

Allensbach-Chefin Renate Köcher kommentierte das so: „Allen voran gehört das Flüchtlingsthema für die große Mehrheit zu den heiklen Themen, bei denen man mit Äußerungen vorsichtig sein sollte, gefolgt von Meinungsbekundungen zu Muslimen und dem Islam. Auch die Nazizeit und Juden gehören für die Mehrheit zu den heiklen Themen.“ Ebenso aufschlussreich: 41 Prozent bezeichneten „Vaterlandsliebe“ und „Patriotismus“ als heikle Gesprächsthemen.

Die Frage, was hierzulande gesagt werden darf oder nicht, ist aktueller denn je. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki sieht sogar die Meinungsfreiheit gefährdet, wenn „von rechts und links lautes Gebrüll kommt, Meinungskorridore sich verengen und Debatten nicht mehr sachlich geführt, sondern aufs Äußerste moralisiert werden.“ Sterbe aber die Meinungsfreiheit, so der Bundestagsvizepräsident, dann entfalle ebenfalls „die Grundlage unseres gesellschaftlichen Diskurses“. Womit er hundertprozentig recht hat.

Kubickis Sorge und die Erkenntnisse der Meinungsforscher stehen im krassen Widerspruch zu einer simplen Tatsache: Bei uns kann und darf jeder alles sagen, sofern er dabei nicht gegen das Straf- und Zivilrecht verstößt. Gerade die schrillen Thesen der Corona-Leugner belegen doch, dass es keine Sprechverbote gibt. Das ist auch gut so. In einer liberalen Demokratie müssen wir den Menschen selbst extreme, faktenfreie Meinungen zugestehen, verrückte oder verschwörungstheoretische Positionen ebenso.

Widerspruch an sich ist richtig

Wer öffentlich Klartext spricht, muss freilich mit Widerspruch rechnen und damit klarkommen. Dieser kann angesichts der Proletarisierung der „sozialen Medien“ sehr laut, sehr beleidigend, sehr verleumderisch ausfallen. Doch wächst die Wahrscheinlichkeit von unverschämten und herabsetzenden Reaktionen, je weiter jemand vom politisch-korrekten Mainstream abweicht. Wer dies tut, findet sich schnell im Zentrum eines heftigen Shitstorms wieder und landet fix in der ganz rechten Ecke. Vom inhaltlichen Widerspruch bis zum Nazi-Etikett ist der Weg sehr kurz – jedenfalls in den „sozialen“ Medien, die sich allzu oft als „a-sozial“ entpuppen.

Nun ist das, was auf Facebook, Twitter oder YouTube verlautbart wird, keineswegs repräsentativ für die Meinung der Deutschen. Schließlich gibt in den neuen Medien das linksgrüne Lager den Ton an. Ebenfalls überrepräsentiert sind die AfD und ihre Anhänger, die diese Möglichkeit für die Verbreitung ihrer rechtsradikalen und völkischen Parolen besser zu nutzen wissen als die demokratischen Parteien. Zweifellos hat es die AfD geschafft, an den etablierten Medien vorbei sich ihre eigene Öffentlichkeit zu schaffen. Ihre Anhänger haben sich aus dem medialen Mainstream teilweise ausgeklinkt und sich in ihrer „Blase“ eingerichtet. Weniges gefällt den Menschen besser als die Bestätigung der eigenen Meinung und der eigenen Vorurteile.

Es sind nicht nur die neuen Medien

Das politische Klima ist freilich nicht nur in den neuen Medien eher einseitig. Dasselbe trifft auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten zu, wo jeder einen schweren Standpunkt hat, der etwa gegen eine Frauenquote oder das „Gendern“ argumentiert, der nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen möchte, sich gegen eine noch höhere Besteuerung der „Reichen“ ausspricht oder es gar wagt, dem Klimaschutz nicht eindeutig Priorität gegenüber der internationalen Konkurrenzfähigkeit unserer Unternehmen oder der Sicherung von Arbeitsplätzen einzuräumen.

Bei Anne Will, Claus Kleber, Maybritt Illner, Tina Hassel, Anja Reschke oder Georg Restle gleicht der Meinungskorridor einer zweispurigen Straße, auf der die rechte Spur schmaler ist als die Linke. Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach hat einmal gespottet, er möchte im Fernsehen wenigsten einmal „so liebevoll“ interviewt werden wie grüne Politikerinnen. Wäre Robert Habeck damals schon der grüne Superstar gewesen, hätte Bosbach ihn sicherlich miterwähnt.

Nun haben vor allem Unionspolitiker schon immer über „rote Funkhäuser“ geklagt – nicht ganz grundlos. Das hat – nebenbei – auch mit dem Versagen der CDU in der Rundfunkpolitik zu tun. Inzwischen sind die öffentlich-rechtlichen Sender eher linksgrün als sozialdemokratisch geprägt. Da spiegelt sich in der Personalpolitik wider. Eine Umfrage beim aktuellen Volontärjahrgang der ARD ergab, dass 92 (!) Prozent auf Grün-Rot-Rot setzen: 57 Prozent votieren für die Grünen, 23 Prozent für die Linkspartei, 12 Prozent für die SPD. CDU/CSU und FDP landen bei drei und 1,3 Prozent. Das sagt nicht nur viel über die ARD-Mannschaft von morgen, sondern noch mehr über die politische Orientierung der aktuellen, für die Personalpolitik verantwortlichen Führungskräfte.

Der „Haltungsjournalismus“

Die parteipolitische Ausrichtung von Journalisten ist das eine, ihre Berufsauffassung das andere. Immer mehr Journalisten sehen es nicht mehr als ihre primäre Aufgabe an, zu „sagen, was ist“ (Rudolf Augstein), sondern die Leser, Zuhörer und Zuschauer politisch in die „richtige“ Richtung zu lenken: Sagen, was sein soll. Das nennt sich neuerdings „Haltungsjournalismus“, wobei Haltung mit der eigenen politischen Überzeugung gleichgesetzt wird – in Abgrenzung zu vermeintlich falschen, folglich zu vernachlässigenden und nicht berichtenswerten anderen Ansichten.

Typisch ist der geradezu missionarische Eifer, mit denen in den Nachrichtensendungen von ARD, ZDF und Deutschlandfunk „gegendert“ wird. Man spürt die fast religiöse Inbrunst, mit der etwa Claus Kleber im ZDF von „Bürger – Pause – Innen“ oder „Expert – Pause – Innen“ spricht. Möge auch die Mehrheit der Bürger diesen an Orwells „1984“ erinnernden, öffentlich-rechtlichen Neusprech ablehnen: Aus der Sicht der „Moderator – Pause – Innen“ muss das dumme Volk halt erzogen, besser: umerzogen werden. Falls sich der unmündig gehaltene Bürger darüber empört, stört das in den Funkhäusern niemanden. Denn eines ist sicher: der Gebühreneinzug.

AfD wird einfach nicht eingeladen

Die ungleiche Spurbreite im Meinungskorridor droht sich noch mehr zugunsten der linken Spur zu verändern. Das zeigt das Beispiel der Aufregung um das Sommerinterview, das der MDR mit dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke in Thüringen geführt hat. Weil der Sender den Anführer der Rechtsradikalen in der AfD ebenso wie die Vorsitzenden der anderen Fraktionen behandelte und ihn nicht von der Interview-Serie ausschloss, gab es heftige Proteste von links. MDR-Mann Restle fand, der Grundsatz der Ausgewogenheit habe Grenzen. Nämlich "da, wo es um Parteien oder Politiker geht, die unseren demokratischen Freiheiten und Grundrechten feindlich gegenüberstehen". Mit anderen Worten: Ein Höcke dürfe nicht mehr auf den Bildschirm. ZDF-Chefredakteur Peter Frey hatte schon 2019 angekündigt, Höcke nicht mehr in Talkshows einzuladen. Ohnehin tauchen AfD-Politiker in den wichtigen Talkrunden kaum noch auf. Die Grundversorgung der Öffentlich-Rechtlichen wird von den ARD- und ZDF-Hierarchen recht einseitig ausgelegt.

Da drängt sich die Frage auf, wie die Öffentlich-Rechtlichen sich gegenüber sogenannten Aktivisten verhalten, die unseren demokratischen Freiheiten und Grundrechten feindlich gegenüberstehen? Bei gewaltbereiten Klimarettern oder Hausbesetzern halten die Anstalten das Prinzip der Ausgewogenheit hoch, lassen sie auch dann zu Wort kommen, wenn sie zu feige sind, ihre Vermummung abzulegen und ihren Namen zu nennen. Da gerät die Verklärung des Rundfunkbeitrags als „Demokratieabgabe“ (WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn) zum Witz.

Journalisten entscheiden nicht, was „falsch“ ist

Damit beim Thema AfD kein Missverständnis aufkommt: Was Höcke, den man einen Faschisten nennen darf, an Rassistischem und Völkischem von sich gibt, ist für Demokraten nur schwer zu ertragen. Aber kann es die Aufgabe der vom Gebührenzahler finanzierten Rundfunkanstalten sein, von sich aus festzulegen, welche Meinungen richtig und welche falsch sind, um dann die „falschen“ auszusortieren und zu unterdrücken? Das kann man kaum noch als demokratisch und pluralistisch bezeichnen. Auch wenn es um dieses Land und seine politische Kultur besser bestellt wäre, wenn die AfD wieder aus den Parlamenten verschwinden würde, so kann es nicht die Aufgabe von Journalisten sein, als oberste politische Instanz festzulegen, welche politischen Positionen im öffentlich-rechtlichen Programm vertreten werden dürfen und welche nicht. Ein faktisches Verbot, bestimmte Ansichten öffentlich zu äußern, passt eher zu einem totalitären Staat als zu einem freiheitlichen.

Wenn die Meinungsforscher feststellen, das eine große Mehrheit es für gefährlich hält, sich politisch nicht korrekt zu äußern, dann trägt der Teil der Medien, der „falsche“ Meinungen bewusst aussortiert, zu der gefährlichen Einschätzung bei, der Raum für die Meinungsfreiheit werde enger. Das ist auf doppelte Weise gefährlich: Ein Teil derer, die sich mit ihren Ansichten ausgegrenzt fühlt, radikalisiert sich, ein Teil zieht sich aus der politischen Diskussion ganz zurück. Die Demokratie lebt jedoch von der offenen Auseinandersetzung, von der öffentlichen Kontroverse. Ein Journalismus, der die Menschen erziehen will, der predigt, was sein soll, wird somit zum willigen Helfer derer, die er ausgrenzt. Wie spottete doch Kurt Tucholsky: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“

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