Corona-Konferenz von Merkel und Ministerpräsidenten - Die Pandemie des Alleingangs

Es ist verständlich, dass die Ministerpräsidenten ein Ende der Ausgangsbeschränkungen und Ladenschließungen fordern. Doch durch Alleingänge vor dem heutigen Treffen mit der Kanzlerin verspielen sie das Vertrauen der Bevölkerung.

„Corona ist unter Kontrolle“, behauptet Markus Söder / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Im Prinzip vollzieht sich der Verlauf der Verhaltensmuster der Ministerpräsidenten entlang dem Verlauf des Virus selbst. Erst gab es nur einzelne Nester, in denen sich der Eigensinn ausbreitete. Man, namentlich Angela Merkel, konnte sie mit Tracking und Einhegen mehr schlecht als recht in den Griff bekommen.

Jetzt aber ist das „Ein Jeder macht, was er will“ zur Pandemie geworden. Erst nur Söder und Laschet, jetzt auch Weil und Schwesig, Hans, Haseloff und Dreyer und die anderen. Es gibt keinerlei Möglichkeit mehr, das grassierende Virus der Alleingänge einzudämmen. Es ist überall. Die derzeitige Lage dieser politischen Pandemie vor der heutigen Schalte der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin sieht wie folgt aus:

Haseloff, Weil und Söder

Reiner Haseloff hat für Sachsen-Anhalt verfügt, dass sich bis zu fünf Personen, die nicht aus einem Hauhalt stammen, treffen dürfen. Stephan Weil, lange Bremser gegen Lockerungen, lässt in Niedersachsen die Zügel los und seinen Niedersachsenplan von der Leine. Und Bayerns Regent Markus Söder, der es gar nicht leiden kann, der letzte zu sein, kommt um fünf vor zwölf am heutigen Dienstag mit seinem Bayernplan. Zwei Anmerkungen dazu. Eine verständnisvolle und eine kritische.

Die verständnisvolle: Es hat in der Sache etwas für sich, wenn etwa Reiner Haseloff geltend macht, dass er in seinem Bundesland über das am dünnsten besiedelte Gebiet Deutschlands verfüge und zugleich dort über die am geringsten infizierte Bevölkerung. Dieser sei nicht zu vermitteln, dass für sie die gleichen Restriktionen gelten müssen wie für eine Großstadt wie München, Hamburg oder Berlin.

Zwischen differenziertem Umgang und Reiz-Reaktionismus

Ein differenzierter Umgang mit der Seuche je nach Schwere der Betroffenheit des Landstrichs kann sinnvoll sein. Schließlich ist es auch plausibel, dass der schwedische Weg vielleicht für Schweden probat ist, aber damit nicht automatisch für das ingesamt dicht bevölkerte Deutschland. Was gar nicht geht, ist das Reiz-Reaktionsmuster, das Stefan Weil an den Tag legt. Ihm gehen schlicht die Nerven durch.

Das belegen seine Aussagen eindeutig, mit denen er begründet, weshalb er sich innerhalb von Stunden vom Bremser zum Pusher gewandelt hat. Er könne die Bekämpfung der Corona-Krise in Niedersachsen nicht von der Zustimmung seiner Kollegen abhängig machen. Denn das, setzt er hinzu, „machen die anderen bekanntlich auch nicht“. Das hört sich nach Sandkasten an. Der hat mir mein Förmchen weggenommen. Also kann ich ihm auch meine Schaufel über den Kopf ziehen.

Der richtige Umgang

Das ist ein Motiv für einen Alleingang, das der Schwere und Ernsthaftigkeit und Dimension der Sache nicht gerecht wird. Ganz direkt: Wer sich in einer Phase des Hochdrucks nicht im Griff hat, empfiehlt sich nicht für höhere Aufgaben. Er empfiehlt sich nicht einmal für die, die er im Moment ausübt.

Fragwürdig ist in diesem Zusammenhang auch, dass zwei, die bisher ihr Land entweder komplett abgeriegelt haben, sogar gegenüber Mitmenschen aus Hamburg oder Berlin, also Mecklenburg-Vorpommern, und Bayern, das den allgemeinen Lockdown mit seinem Alleinhang eingeläutet hat, die Urlaubsfähigkeit zu Pfingsten sicherstellen.

Corona ist nicht „unter Kontrolle“

Zur Klarstellung: Es ist völlig legitim und am Ende richtig, der in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern systemrelevanten Tourismusbranche nach dem Ausfall von Ostern wenigstens ein eingeschränktes Pfingst- und Sommergeschäft zu ermöglichen. Aber dann muss man das auch klar so sagen und begründen. Und nicht behaupten: „Corona ist unter Kontrolle“, wie Markus Söder das jetzt formuliert hat, als hätte er wie Siegfried den Drachen persönlich erlegt. Das ist es nämlich nicht. Und ein Lindenblatt hat auch ein vor Kraft strotzender Markus Söder auf seinem Schulterblatt. Es ist die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in der Bevölkerung, das gerade in der Krise hart errungen, aber schnell verspielt ist.

Wenn das Braten von Extrawürsten auf dem Grill des deutschen Föderalismus so weitergeht und der Eigennutz der Ministerpräsidenten auch, dann werden wir vor einer Tracking-App fürs Virus noch eine App brauchen, um die jeweiligen Länderregelungen unterscheiden und aktuell abrufen zu können. Es blickt schon jetzt kaum noch jemand durch.   

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