Martin Schulz - Der Überforderte

Der Verzicht von Martin Schulz auf Parteivorsitz und Außenministeramt ist nur konsequent. Der ehemalige Gott-Kanzler hat einen Fehler nach dem anderen gemacht. Statt seiner soll es nun Andrea Nahles für die SPD richten. Einen entscheidenden Vorteil hat sie. Von Alexander Grau

Martin Schulz: vielleicht nicht der größte Stratege, doch anfällig für emotionale Auftritte / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das war bitter. Und beispiellos in der bundesdeutschen Politgeschichte. Der Fall eines Helden. Von 100 auf null und noch darunter. Nun hat Martin Schulz mit seinem Verzicht auf alle Ämter die Konsequenzen gezogen: Aus seinem – man muss es so deutlich sagen – Versagen, aus einer Reihe gebrochener Versprechen, aus seinem Unvermögen, der Partei zukunftsweisende Kontur und Orientierung zu geben.

In einer Hierarchie neigen Beschäftigte dazu, bis zur Stufe ihrer Unfähigkeit aufzusteigen – manche sogar darüber hinaus. Das besagt das berühmte Peter-Prinzip, benannt nach seinem Entdecker, dem kanadischen Pädagogen Laurence J. Peter. Nun ist das Peter-Prinzip nicht immer und nicht überall anwendbar. Denn natürlich gibt es Menschen, die auch für höchste Aufgaben geeignet sind. Und manche Hierarchien bergen so viel Kompetenzressourcen, dass das beschriebene Problem erst gar nicht entsteht.

Eine solche kompetenzgesättigte und talentreiche Hierarchie ist die deutsche Sozialdemokratie jedoch mitnichten. Nur so ist es zu erklären, dass Martin Schulz nicht nur Kanzlerkandidat, sondern auch noch Parteivorsitzender werden konnte. Eine Position, mit der er ganz offensichtlich überfordert war. Schon der Wahlkampf war eine quälende und mitunter zähe Veranstaltung. Eine noch unglücklichere Figur machte Schulz jedoch spätestens seit dem Abend des 24. September.

Die zwei großen Fehler

Das Elend begann an jenem Wahlsonntag genau um 18.38 Uhr. Da verkündete der ehemalige Gott-Kanzler unter dem Jubel seiner Anhänger, dass die SPD in die Opposition gehen werde – „ich sage das in aller Klarheit“, so Schulz. Das war ein strategischer Fehler der Extraklasse. Andere würden einfacher sagen: eine Riesendummheit. Denn Regel Nummer eins bei allen unklaren und offenen Verhandlungssituationen lautet: Lege Dich nicht unnötig fest, Du könntest es später bereuen.

Doch Martin Schulz ist vielleicht nicht der größte Stratege, und langfristiges Denken ist auch nicht eine seiner Stärken, doch anfällig für emotionale Auftritte ist er. Und er gefällt sich ganz offensichtlich in der Pose der ehrlichen Haut.

Nur so ist es zu erklären, dass Schulz am Tag nach der Wahl den zweiten schweren Fehler beging. Als ein Reporter von der Welt ihn fragte, ob er kategorisch ausschließen könne, Minister unter Angela Merkel zu werden, war er zunächst so verunsichert („ich bin da etwas schwer von Kapee“), dass er die Frage wiederholen ließ. Dann antwortete er: „Ja, ja, ganz klar. In eine Regierung von Frau Merkel werde ich nicht eintreten.“ Der Rest ist Geschichte.

Nun ist Nahles am Zug

Dass sich Schulz Karriere dem Ende neigt, zeigte sich spätestens am Tag nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen. Da überließ er Andrea Nahles, der starken Frau im Hintergrund, den Parteivorsitz. Das immerhin war folgerichtig. Eine Fraktionschefin, die es versteht, die Partei an ihrer Seele zu packen, ist ein gefährlicher Gegner für einen Parteivorsitzenden, der keine Tribüne hat. Die wollte Schulz sich nun mit dem Amt des Außenministeriums schaffen. Eine Fehlkalkulation, die ihn den Rest des ohnehin schon ramponierten Ansehens kostete.

Nun also Andrea Nahles. Dass mittelfristig alles auf sie zulaufen würde, war ohnehin klar. Doch nun ging alles noch ein wenig schneller. Man mag von ihr halten, was man will: Dass sie eine bessere Rednerin, eine bessere Taktikerin und einer versiertere Strippenzieherin ist als der glücklose Schulz, ist offensichtlich. An dem grundlegenden Dilemma, in dem die SPD steckt, sich nämlich mehr als lustlos in die dritte Koalition mit Merkel zu schleppen, kann allerdings auch sie nichts ändern. Und an den strukturellen Problemen einer ehemaligen Arbeiterpartei in einer postindustriellen Gesellschaft schon mal gar nicht.

Die Schlüsselqualifikationen

Doch wenn es im Laufe der Legislaturperiode darum geht, ob die SPD unter Getöse hinschmeißt und Neuwahlen anstrebt, bringt die studierte Germanistin ohne Frage die entscheidenden Schlüsselqualifikationen mit: Entschlossenheit, Schnoddrigkeit und Härte.

In der CDU sollte man sich daher schon einmal um das Manuskript von Nahles Magisterarbeit bemühen. Die trägt den schönen Titel: „Funktion von Katastrophen in Serien-Liebesromanen“. Intellektuell durchdrungen hat die neue Partei-Chefin die vor ihr liegenden Probleme also gründlich. Und dass es kein Happy End ohne Intrige und Trennungsschmerz gibt, hat sie während ihrer Studien sicher auch gelernt.

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