Markus Kerber im Porträt - Schattenmann im Rampenlicht

Während Horst Seehofer zunehmend amtsmüde wirkt, führt sein Staatssekretär Markus Kerber mehr und mehr die Zügel im Innenministerium. Will er höher hinauf?

Markus Kerber war die überraschendste Staatssekretätsbesetzung des Kabinetts / Dominik Butzmann
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Es gibt in der Berliner Ministerialbürokratie den Spruch, dass es eigentlich egal sei, welcher Minister unter einem arbeitet, Hauptsache, er ist pflegeleicht und macht seine Paraphe mit dem grünen Filzstift. 
Genauer schaut der Bundesbeamte bei den Staatssekretären hin. Denn die machen den Unterschied, wo ein Ministerium steht. Bei dieser Beurteilung ist Markus Kerber ein absoluter Sonderfall. Marke: völlig unberechenbar. Er kommt „von außen“, ist schwer zu fassen. 

Der 57-jährige Kerber hat nicht nur keinen Stallgeruch, sondern ihn umweht der Duft der weiten Welt, der Finanzwelt, der Wirtschaft. Mehrere Jahre war er bei Banken in London tätig, später in der IT-Branche in Süddeutschland. In Wirtschaftskreisen wird das Vermögen des aus Ulm stammenden Ökonomen auf einen unteren zweistelligen Millionenbetrag taxiert. Wer ist Markus Kerber? Nur ein Beamter oder schon ein Politiker?

Warum gerade Kerber?

Es war die überraschendste Staatssekretärsberufung der Legislaturperiode, als Horst Seehofer vor vier Jahren den ehemaligen Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), den promovierten Sozialwissenschaftler, Manager und Selfmade-Millionär Kerber zu seinem Heimatstaatssekretär machte. Die große Frage lautet: Wieso tut dieser Kerber sich das an? 
Seehofer hat einmal gesagt, ein Staatssekretär müsse so gut sein, dass ein Ministerium auch ohne den Minister funktionieren könne. 

Kerber füllt die Rolle aus. In der Corona-Krise tritt er öffentlich zweimal größer in Erscheinung. Im Frühjahr 2020 soll Kerber laut Medienberichten mit Experten Szenarien für den Verlauf der Corona-Pandemie erarbeiten. Die Schreckensvorstellung lag damals bei einer Million Toten in Deutschland. In einer internen E-Mail beschwichtigt Kerber damals: In einem Best-Case-Szenario wären 126 000 Tote zu beklagen, das würde „einer schweren Grippe“ entsprechen, so der Staatssekretär. Nun sind inzwischen über 80 000 Menschen in Deutschland im Zusammenhang mit Covid gestorben, was deutlich unter der Vorhersage ist. Vor dem Horizont düsterer Warnungen rät Seehofer jetzt von einem Dauerlockdown ab. Hört man da Kerber sprechen?

Das Innenministerium agiert in der Krise nicht als großer Player. Seehofers Rolle als Kanzlerinnengegner ruht. Obwohl zu hören ist, dass er die strengen Töne gegen die Kirchen kritisch sah – das gilt auch für Staatssekretär Kerber, der zu den Religionsgemeinschaften eine enge Beziehung pflegt. Bleibt Kerber hinter seinen Möglichkeiten zurück? 

Schattenmann im Scheinwerferlicht

Das zweite Mal tritt er eher unrühmlich in Erscheinung: Medien berichten, er habe in der berühmten Nachtsitzung der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten den Vorschlag der strittigen „Osterruhe“ als machbar bezeichnet. Merkel nimmt später alles auf sich. 
Kerbers politische Karriere ist davon geprägt, dass auf den Schattenmann doch immer Scheinwerferlicht fällt. So war es 2006, als Wolfgang Schäuble ihn als Abteilungsleiter Grundsatzfragen in die Politik holte. In der ersten Amtszeit Merkels herrschte noch der Zauber des Neuanfangs. Entgegen den Erwartungen an den Innenminister wollte Schäuble nicht nur als harter Hund, sondern als Gestalter auffallen. 

Zusammen mit Kerber ersann er die Islamkonferenz, bei der erstmals ein Dialog zwischen Muslimen und Staat organisiert werden sollte. Ob die Gesprächsrunde mehr als ein Symbol ist, ist umstritten. Doch wie viel Herzblut Kerbers in dem Projekt steckte, konnte man merken, als er 2018, zurück im Innenministerium, die etwas eingeschlafene Runde in eine neue Arbeitsphase schickte. Dazwischen war er sechs Jahre lang Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Der richtige Mann an der falschen Stelle?

Kerber ist beim Islam nicht nur Organisator. Er kennt die Fallstricke, die das Thema bereithält. Ein langjähriger Beobachter nennt ihn den Feuilletonisten im Ministerium, ein Mann, der Buchtipps bereithält. Zum Islamdialog empfiehlt er den Roman „Eroberung“ des Franzosen Laurent Binet, in dem imaginiert wird, die Inkas hätten Europa erobert statt umgekehrt. 

Wäre er besser Politiker geworden statt nur Staatssekretär, um mehr erreichen zu können? Ist er der richtige Mann an der falschen Stelle? In seinem CDU-Ortsverein Wannsee engagiert er sich brav an der Basis, ein Streben nach einem Mandat ist nicht bekannt. Warum? 

„Das schönste Meer ist das unbefahrene.“ Das Zitat des türkischen Poeten Nâzim Hikmet hat die ZEIT als eine Art Lebensmotto von Kerber beschrieben. Welches für ihn noch unbekannte Meer er noch besegeln wolle, wisse er nicht, dann wäre es nicht mehr unbekannt. Aber Lust auf Politik habe er „immer“, sagt er. Ein normaler Staatssekretär redet so nicht.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.
 

 

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