Nord Stream 2 und die „Klimaschutzstiftung“ in Mecklenburg-Vorpommern - Manuela Schwesig will ihr Image retten

Manuela Schwesig (SPD) versucht, ihre vom russischen Staatskonzern Gazprom mitfinanzierte „Klimaschutzstiftung“ aufzulösen und so ihr Image zu retten. Rechtlich ist das nicht möglich, doch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin ist offenbar bereit, das Recht zu biegen – und parallel zu ihrer Russlandpolitik auch mit engen Verbündeten zu brechen. Protokoll eines PR-Desasters.

Mit schweren Opportunismusvorwürfen konfrontiert: Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Am Freitag verbreitete Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ein Foto des Schweriner Landtags, der in den ukrainischen Nationalfarben angestrahlt wird. Dazu schrieb sie: „Solidarität mit der Ukraine“. Ausgerechnet sie, die eine sogenannte „Klimaschutzstiftung“ ins Leben gerufen hatte, die mit Mitteln des russischen Staatskonzerns Gazprom finanziert wird und unter deren Schein die Gaspipeline Nord Stream 2 in Betrieb gesetzt werden sollte. Die anschließende Empörungswelle kam dementsprechend mit Ankündigung. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, um nur ein Beispiel zu nennen, reagierte mit undiplomatischen Worten: „Die Heuchelei ist zum Kotzen“, twitterte er.

„Nützliche Idioten“ Putins

Als Schwesig am Samstag in puncto Selbstverleugnung noch einen draufsetzte und Ex-Kanzler Gerhard Schröder aufforderte, sein Engagement für Gazprom zu beenden, waren die Vorwürfe wieder programmiert. Schließlich hatte sich Schwesig ebenso wie Schröder stets für eine enge Verbindung mit dem Kreml und Gazprom eingesetzt, auch nach der Giftattacke auf den Putin-Kritiker Alexej Nawalny. Selbstkritik? Fehlanzeige.

Am Sonntag holte CDU-Fraktionschef Friedrich Merz dann zu einer Frontalattacke aus. In der Aussprache um die Regierungserklärung von Kanzler Scholz sagte er in Richtung Schwesig, es gebe in Deutschland „Putin-Versteher“, die mit „windigen Stiftungskonstruktionen“ nichts unversucht ließen, um unter dem Mantel der Gemeinnützigkeit „mit diesem System Geschäfte zu machen“. Sie im Sinne Lenins als „nützliche Idioten“ zu bezeichnen, sei da wohl noch die freundlichste Umschreibung, so Merz.

Am Montagmorgen um 6.40 Uhr reagierte Schwesig mit einer Erklärung auf ihren Social-Media-Kanälen, in der sie den Bruch mit ihrer bisherigen Russlandpolitik verkündete. Nach dem Einmarsch in die Ukraine sei eine Zusammenarbeit „unmöglich“ geworden, deswegen sollten diesbezüglich sämtliche Aktivitäten eingestellt werden. Im Gegensatz zu Bundeskanzler Olaf Scholz und Linken-Politikern wie Amira Mohammed Ali und Gregor Gysi hat Schwesig bis heute keine eigenen Fehler und Fehleinschätzungen eingeräumt.

Eine Klimaschutzstiftung als „Etikettenschwindel“

Der Bruch soll auch die Klimaschutzstiftung des Landes betreffen. „Ich habe den Vorstand der Stiftung gebeten, die Arbeit der Stiftung ruhen zu lassen und im Rahmen der engen rechtlichen Möglichkeiten eine Auflösung der Stiftung auf den Weg zu bringen“, so die Ministerpräsidentin. Zudem solle geprüft werden, ob es rechtlich möglich sei, die von Gazprom zur Verfügung gestellten Stiftungsgelder von 20 Millionen Euro für humanitäre Zwecke in der Ukraine einzusetzen. Noch am Freitag hatte Schwesigs Regierungskoalition den Vorschlag des CDU-Fraktionsvorsitzenden Franz-Robert Liskow, die Stiftungsgelder der Ukraine zukommen zu lassen, als „populistisch“ zurückgewiesen.

Der Klimaschutz bleibe ein Ziel von überragender Bedeutung, schreibt Schwesig außerdem in ihrer jüngsten Erklärung. Um beim Klimaschutz auf die Gazprom-Millionen nicht mehr angewiesen zu sein, will sie dieselbe Summe aus dem Landeshaushalt zur Verfügung stellen. Eine bemerkenswert autokratisch anmutende Ankündigung, denn diese Mittel kann nur der Landtag auf Vorschlag des Kabinetts freigeben. Das Kabinett hatte zu dieser Frage aber gar keine Beschlüsse gefasst. Das Parlament fühlt sich seinerseits übergangen und vorgeführt.

An der von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern mit Hilfe von Gazprom ins Leben gerufenen Klimaschutzstiftung haftet seit ihrer Gründung im Januar 2021 der Vorwurf, eine „Fake-Stiftung“ zu sein. Vordergründig sollten mit den Gewinnen aus den russischen Gas-Geschäften Umweltprojekte gefördert werden. Das politische Hauptziel der Stiftung war jedoch, die amerikanischen Sanktionen zu umgehen und so die Gaspipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu setzen. Dafür hat sich die Stiftung in ihrer Satzung die Möglichkeit geschaffen, durch Tochterfirmen wirtschaftliche Geschäftsbetriebe ausüben zu können. Auf dieser Grundlage erfolgte sowohl die Beteiligung an einer Gesellschaft für maritime Dienstleistungen als auch der Betrieb des Schiffes „Blue Ship“. Das Ziel: Die Stiftung selbst wollte den Weiterbau der Pipeline voranbringen.

Umweltverbände sehen den Titel der Stiftung daher auch als Etikettenschwindel. Transparency International Deutschland vermutet „ein klares Abhängigkeitsverhältnis“ der Stiftung von Nord Stream 2 und damit Gazprom. Unter dem Aspekt der Geldwäsche-Compliance sei die Konstruktion „nicht nur gewagt, sondern rechtsmissbräuchlich“, kritisiert die NGO.

Sellering bricht mit Schwesig

Wie Schwesig in ihrer Erklärung selbst anmerkte, ist der rechtliche Rahmen für die Auflösung der Stiftung „eng“. Wohl zu eng. Die Stiftung ist zweckgebunden, laut ihrer Satzung kann der Vorstand „die Änderung des Stiftungszwecks, die Zusammenlegung mit einer anderen Stiftung oder die Auflösung der Stiftung“ erst dann beschließen, „wenn der Stiftungszweck unmöglich wird oder sich die Verhältnisse derart ändern, dass die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks nicht mehr sinnvoll erscheint“. Da der offizielle Stiftungszweck nicht Nord Stream 2, sondern der Umweltschutz ist, scheint dies nicht gegeben.

Das bestätigte auch der Chef der Stiftung, Ex-Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), postwendend. Nur wenige Stunden nach Schwesigs Ankündigung stellte er sich gegen sie – er halte die Auflösung der vom russischen Gazprom-Konzern finanzierten Stiftung schlicht für rechtswidrig. Eine Einschätzung, die von Experten geteilt wird. Der Stiftungsrechtler Jörg Seifart bestätigt auf Anfrage von Cicero: „Ein zweckgebundenes Vermögen kann nur dann anderweitig verwendet werden, wenn der Zweck nicht mehr erfüllbar ist. Das ist hier eindeutig nicht der Fall.“ Selbst wenn, rein hypothetisch, die Stiftung sich auflösen könnte, müsste das Vermögen entlang der ursprünglichen Stiftungszwecke, für den Klima- und Umweltschutz in Mecklenburg-Vorpommern, verwendet werden. Auch der theoretische Gedanke, die Gelder für solche Projekte in der Ukraine umzuleiten, sei nicht möglich. Allerdings stelle sich die zusätzliche Frage, wie die Investitionen der Stiftung zu beurteilen seien. „Wenn eine Stiftung in Wirtschaftsgüter investiert, die anderenfalls amerikanischen Sanktionen unterliegen, ist das nach den rechtlichen Vorgaben der Vermögensanlage von Stiftungen wahrscheinlich nicht risikoadäquat. Das kann neben dem Entzug der Gemeinnützigkeit auch zur persönlichen Haftung des Vorstands für eventuell entstandene Verluste führen“, so der Experte.

Sellerings Mitteilung ist nicht weniger als ein Bruch mit Schwesig, dabei galten die beiden bisher als politische Freunde und enge Verbündete. Sellering hatte Schwesig 2017 als Nachfolgerin für sein Amt als Ministerpräsident persönlich vorgeschlagen, Schwesig ernannte Sellering umgekehrt zum Vorsitzenden ihrer Klimaschutzstiftung. Sellering wirft der Ministerpräsidentin allerdings „Anstiftung zur Untreue“ vor. Eine Stiftung dürfe ihre Mittel nicht für andere Zwecke einsetzen als jene, die in der Satzung stehen.

Deutsch-sowjetische Freundschaft reloaded

Dabei war es Sellering selbst, der vor Jahren die Idee der „deutsch-sowjetischen Freundschaft“ wiederbelebte. Er hob als Ministerpräsident eine demonstrative Russland- und Kremlaffinität erfolgreich ins identitätspolitische Repertoire der SPD in MV, um Wählerstimmen im linken, post-sozialistischen Milieu zu binden.

Als er 2008 vom Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde, trat er ein großes Erbe an. Seit 1998 war Harald Ringstorff Ministerpräsident des Landes, ein in der Region verwurzelter und beliebter Landesvater, wie er im Buche steht. Sellering, ein Westdeutscher, der wohl auch wegen der dünnen Personaldecke des ostdeutschen SPD-Landesverbandes politisch schnell aufstieg, machte die Imagediskrepanz mit einer betont ostdeutschen Identitätspolitik wett. Er wollte die Lebensleistungen der Ostdeutschen durch Angleichung der Ost- an die Westrenten erreichen, wies die Kategorisierung der DDR als „totaler Unrechtsstaat“ strikt zurück und schlug schließlich nach seinem ersten Wahlsieg mit dem „Russlandtag“ ein neues Kapitel der Ostdeutschen bestens vertrauten „deutsch-sowjetischen Freundschaft“ auf. Als Putin 2014 die Krim annektierte und Kritik am Russlandtag aufkam, verteidigte Sellering diesen. Es sei besser, „Brücken aufzubauen, als abzubrechen.“ Auch das trug 2016 zu einem weiteren souveränen Wahlsieg bei.

Imageschaden für bundespolitische Ambitionen

Manuela Schwesig gilt als Talent mit hohem politischen Gespür. Sie hatte verstanden, dass es Sellering gelungen war, die Wähler mit identitätspolitischen Themen, mit der Pflege der ostdeutschen Seele an sich zu binden. Als sie 2017 Ministerpräsidentin wurde, übernahm sie daher Sellerings demonstrative Russlandnähe. Auch ist es kein Zufall, dass sie ihren Vorgänger zum Vorstandsvorsitzenden der „Klimastiftung“ machte. Es ging darum, von seinem symbolischen Kapital zu profitieren.

Dass sich nun ausgerechnet Sellering gegen Schwesig stellt, zeigt, dass diese Erzählung an ihr Ende gekommen ist – und Schwesig in der Klemme steckt. Sie wird die Stiftung, das Gazprom-Geld und den Imageschaden nicht los. Landespolitisch dürfte ihr das nicht schaden, da alle relevanten Parteien hinter der Einsetzung der Stiftung standen oder zumindest ihre Stimme nicht dagegen erhoben. Der Imageschaden könnte ihr jedoch für eventuelle bundespolitische Ziele im Weg stehen.

Den Kopf aus der Schlinge gezogen

Dazu dürfte auch die heutige Landtagssitzung zum Ukraine-Konflikt beigetragen haben. Gefordert hatten sie die Oppositionsfraktionen. Die Sitzung fand krankheitsbedingt ohne Schwesig statt. Offenbar hat Sellerings Intervention aber Wirkung gezeigt: In einem Antrag der Fraktionen von CDU, Grünen, FDP, SPD und Die Linke ist von einer Auflösung der Stiftung nicht mehr die Rede, stattdessen heißt es nebulös: „Die Landesregierung wird aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass die ‚Stiftung Klima- und Umweltschutz MV‘ in ihrer jetzigen Form nicht fortbesteht“.

Wie angespannt die Lage ist, zeigte der Sitzungsverlauf. Erst mit zwei Stunden Verspätung konnte die Sondersitzung beginnen. Mehrfach hatten verschiedene Fraktionen eine Unterbrechung beantragt, um sich intern zu beraten. An den Ergebnissen änderte das allerdings wenig. Alle bekundeten, dass es die Klimastiftung so nicht mehr geben dürfe. Aber keiner konnte erklären, wie das rechtlich funktionieren soll. Nur in einem waren sich die meisten Redner einig: Schwesig habe binnen Tagen eine unglaubwürdige Kehrtwende um 180 Grad hingelegt, ohne auch nur ein Wort über eigene Fehleinschätzungen zu verlieren. Zumindest ein wenig „Scham und Reue“ wären angebracht gewesen, so CDU-Fraktionsvorsitzender Franz-Robert Liskow. Er war es, der Schwesig mit der Forderung, die Stiftung aufzulösen, in politische Schwierigkeiten gebracht hatte.

Und Liskow war es auch, der Schwesig wohl wider Willen heute vor größeren Schwierigkeiten bewahrt hat. Indem sich Oppositions- und Regierungsfraktionen auf die rechtlich wohl unmögliche Stiftungsauflösung verständigt haben, haben sie Schwesig in Wahrheit einen Gefallen getan. Im Zentrum der Kritik steht nun nicht mehr sie selbst, sondern der ehemalige Ministerpräsident außer Dienst, der die Auflösung der Stiftung für rechtswidrig hält und damit nach Expertenmeinung Recht hat. Wahrscheinlich hat Schwesig damit nur vorübergehend ihren Kopf aus der Schlinge gezogen.

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