Luisa Neubauer trifft Bernd Ulrich - Volvo-Bernd wird aktiv

Luisa Neubauer und Bernd Ulrich haben sich getroffen, um für ein Buch über den Generationenkonflikt beim Klimaschutz zu reden. Neubauer soll dem Vize-Chefredakteur der „Zeit“ die Argumente liefern für seine wundersame Wandlung vom Journalisten zum Aktivisten. Doch sie spielt das Spiel nicht mit.

Kein Pardon für Schlauschwätzer: Luisa Neubauer / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Bäume können nicht sprechen. Sie können allerdings auch nicht weglaufen, wenn sie umarmt werden. Letzteres ist ein Segen für Politiker, die rechtzeitig vor der Bundestagswahl ihr ökologisches Gewissen entdeckt haben. Ersteres aber ist schlecht für die Bäume, denn 80 Prozent von ihnen geht es hierzulande nicht gut. Was wäre da wohl im Bundestagswahlkampf für ein Geschrei, wenn auch sie noch um Hilfe rufen könnten?

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Nein, wir sind nicht bei Loriot. Es ist eine ernstgemeinte Frage. Luisa Neubauer hat sie in einem Buch gestellt, das rechtzeitig zur Bundestagswahl erschienen ist. Es heißt „Noch haben wir die Wahl“, und wer jetzt denkt, das hat gerade noch gefehlt, nämlich eine buchgewordene Wahlempfehlung für die Grünen von der Frau, die als Mitbegründerin der Bewegung Fridays for Futures eine Art Jeanne D’Arc der Klimaschutzbewegung geworden ist, der ist auf dem Holzweg.

Auf dem Cover steht auch der Name Bernd Ulrich. Er ist stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit. Und er hat eine Mission. Ulrich träumt davon, dass die Grünen, wenn schon nicht ins Kanzleramt, dann doch zumindest in die nächste Bundesregierung mit einziehen. So steht es jedenfalls zwischen den Zeilen in seinem 2019 erschienenen Buch „Alles wird anders. Das Zeitalter der Ökologie.“ Wer wollte, konnte es als Bewerbung um den Posten als Regierungssprecher unter einer Kanzlerschaft der Grünen lesen. Zur Bundestagswahl bringt sich Ulrich jetzt nochmal in Stellung. Für ein zweites durchgeschriebenes Buch hat die Zeit offenbar nicht mehr gereicht. Und wer will denn auch noch ein zweites Mal lesen, dass der Mann aus dem Ruhrpott praktisch schon als Öko zur Welt kam in Essen, wo es abwechselnd schwarz und gelb vom Himmel regnete, Kohle und Schwefel?

„Sollen wir dem Baum eine Stimme geben?"  

Ulrich hat es geschickter gemacht. Beflügelt vom Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Klimaschutzgesetz, hat er sich Luisa Neubauer als Stichwortgeberin geholt, um sich vor der Wahl nochmal als ökologisches Gewissen des Journalismus zu positionieren. Die Botschaft des Buches ist kurz und kinderleicht. Er hat sie in eine Frage an Neubauer verpackt: „Du meinst, wir sollten dem Baum eine Stimme geben?“

Das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Ein mittelalter Mann wanzt sich an die 25-jährige Ikone der Umweltbewegung an, um sich selbst und das neue Ressort ins Gespräch zu bringen, das Die Zeit gegründet hat – „nur für das Grüne“, wie Ulrich in dem Interview eher beiläufig erwähnt. Er gefällt sich in der Rolle als Öko-Revoluzzer, der nach seiner „Volvo-Phase“ vor anderen erkannt haben will, dass die Uhr auf fünf vor zwölf steht: „Klimapolitik ist etwas, das man nicht spürt, und wenn man es doch spürt, ist es nicht legitim.“

Der absurde Versuch, Verzicht schönzureden 

Was es für nachfolgende Generationen konkret bedeutet, wenn sich die Erde weiter erwärmt, diese Frage beantwortet er in dem Buch nicht. Von „ökologischer Degradierung“ ist dann die Rede oder vom Verlust der Freiheit und davon, dass man jetzt auf Wasserstoff oder regenerative Energien umsteigen müsse, damit die Lebensqualität 2054 noch dieselbe sei wie heute. Keine gute Basis, um Klimawandel-Skeptiker davon zu überzeugen, dass die 1,5 Grad-Zielmarke ohne den Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten nicht mehr erreichbar ist. 

Vollends absurd wird das Buch, wenn Neubauer versucht, den Verzicht auch noch schönzureden und die Klimakrise als etwas Lebensbejahendes zu verkaufen. „Man sagt ja zu einem gesunden Planeten, Ja zu sauberer Luft und lebenswerten Städten, Ja zur Artenvielfalt und zur globalen Solidarität. Ja, Ja, Ja.“

Wie tickt Luisa Neubauer? 

Sollte der „Klima-Goethe“ gedacht haben, Neubauer würde sich mit ihrer Rolle als Stichwortgeberin zufrieden geben, sie würde ihn von seinen Umweltsünden freisprechen und ihm die nötigen Argumente für seine wundersame Verwandlung vom Journalisten zum Aktivisten liefern, dann geht dieses Kalkül nicht auf. Wer das Buch kauft, der kauft es wegen ihr und nicht wegen ihm. Er will erfahren, wie die Frau tickt, die 1996 im Hamburger Westen als Tochter zweier Altenheimbetreiber in einem „privilegierten Setting“ aufwuchs, wie sie schreibt, „mit Bio-Obst, Fahrradbegeisterung, taz und Wanderurlauben“.

Bernd Ulrich / dpa 

Die, wie sie selber schreibt, mit 19 dann durch die schwere Erkrankung des Vaters politisiert wurde. „Wenn mein Zuhause kein ewiger Safe Space ist, wie verhält es sich dann mit dem Planeten?“ Die das Glück hatte, auf Gleichaltrige zu treffen, die dieselben Sorgen umtrieben wie sie. „Die fossilen Lobbys und ihre politischen Verbündeten sind die einflussreichsten Kräfte des Landes, die werden nicht schnell beigeben.“

Zwischen Anwanzen und Herablassung 

„Du bist schon sehr Politikerin“, onkelt da Bernd Ulrich, und man ist froh, dass sich die beiden zu Beginn des Interviews auf das Du geeinigt haben, denn sonst wäre ihm an dieser Stelle vielleicht noch dasselbe passiert wie Armin Laschet neulich im Interview mit einer WDR-Moderatorin, dem eine Formulierung rausgerutscht war, die fast so peinlich ist wie „Frollein“: „junge Frau.“

Ulrich schwankt in dem Interview zwischen Anwanzen und väterlicher Herablassung, doch wenn Neubauer das ärgern sollte, lässt sie es sich nicht anmerken. Zwei Generationen treffen aufeinander, „Langstrecken-Luisa“, wie Neubauer mal spöttisch von ihren Kritikern genannt wurde, und Volvo-Bernd, der immer noch Auto fährt, aber eben ein kleineres. „Let’s talk about Belastung now“, mahnt Neubauer. Und Ulrich, 61, schaltet auch sprachlich in den Modus des Berufsjugendlichen: „Okay, okay, okay.“

100 Prozent Luisa   

Neubauer muss ihre Rolle als Chefanklägerin der Generation „Volvo-Bernd“ nicht spielen. Sie hat sie verinnerlicht. Unerbittlich. Kompromisslos. 100 Prozent Luisa. Und nur deshalb hat der eher ermüdende Dialog über 17 Kapitel und 237 Seiten auch unterhaltsame Momente. Etwa, wenn Neubauer fragt, wie es möglich war, dass die Politik das Thema Klimaschutz jahrzehntelang ausgesessen hat, obwohl Experten wie der Club of Rome schon 1972 vor dem Zusammenbruch der Ökosysteme gewarnt haben. In einer Zeit also, in der auch Bernd Ulrich sein Interesse für Ökologie und Ornithologie entdeckt haben will, bevor er sich in der Anti-AKW-Bewegung engagierte. Was übrigens ziemlich viele Jugendliche dieser Generation getan haben. Ist man damit schon ein Rebell? 

Und warum ist er erst wieder auf die grüne Welle aufgesprungen, als Schüler und Studenten schon zu Tausenden auf die Straßen gingen, um Druck auf die Politik auszuüben, damit das 2015 auf der Pariser Klimakonferenz beschlossene 1,5-Grad-Ziel  doch noch erreicht werden kann? Bernd Ulrich räumt ein, dass er den ökologischen Faden zwischendurch verloren hatte, weil er seinen beruflichen Aufstieg mit Konsum ausstaffiert habe: „Autos, zu viel Kleidung, phasenweiser Fleischkonsum, Flugreisen.“ Ein schlechtes Gewissen hat er deshalb offenbar nicht. Mit Blick auf Neubauers Vielfliegerei während ihres Studiums fragt er: „Kann es sein, dass ich mit 25 weniger CO2 emittiert habe als Du mit 25?“

Haben die Medien geschlafen? 

Neubauer spricht von einem „unverhältnismäßigem Ressourcenverbrauch". Einen Schuldigen für die verschwendeten Jahre glaubt sie gefunden zu haben: die Medien. Klimaschutz, sagt sie, sei eine Wissenschaft für sich. Ein Thema, das ins Politik-Ressort gehöre und nicht ins Wissenschafts-Ressort. Eines, das so komplex sei, dass es Journalisten studieren können sollten, um in der Lage zu sein, die richtigen Fragen zu stellen. Die vermisst Neubauer manchmal. Eine berechtigte Kritik. Warum, zum Beispiel, will sie wissen, habe kein Journalist gefragt, wieso im Wahlprogramm der CDU nicht mit einem Satz stehe, wie die Partei das 1,5 Grad-Ziel erreichen wolle? Sie sagt, stattdessen würden sich ihre Kritiker „in einer beeindruckenden Selbstgefälligkeit an uns abarbeiten, als wären wir Schuld an der Krise, nur weil wir aussprechen, dass es sie gibt“.

Auch Die Zeit, das Zentralorgan der Lastenrad- und Tesla-Fahrer, muss Kritik einstecken. Nur eine Titelgeschichte und drei weitere Stücke auf der ersten Seite habe das Blatt in den ersten beiden Jahren nach dem Pariser Klima-Abkommen veröffentlicht. Für die Aktivistin ist das unverzeihlich. Ulrichs Argument, die Klima-Krise sei „ein Nicht-Ereignis“, „etwas Böses ohne die Bösen“, das sich ebenso schwer illustrieren wie verkaufen lasse, lässt sie nicht gelten. „Sorry, Klimabewusstsein sieht anders aus.“

Ist Bernd Ulrich Gott? 

Weiß Neubauer, was die Aufgabe des Journalismus ist? Kennt sie das Mantra von Hanns-Joachim Friedrich, dass sich ein guter Journalist mit keiner Sache gemein machen dürfe, auch nicht mit einer guten? Falls nicht, wäre es Aufgabe von Ulrich gewesen, es ihr an dieser Stelle zu erklären. Journalisten sind Journalisten, Aktivisten sind Aktivisten. Diese Grenze ist in den vergangenen Jahren immer durchlässiger geworden. Bernd Ulrich hat sie in diesem Buch endgültig überschritten. „Das Parteilichkeitsverbot hört dort auf, wo die Demokratie bedroht ist“, schwurbelt er.

Wer aber entscheidet das? Und selbst wenn es so wäre: Ist die Demokratie nicht immer irgendwie in Gefahr? Nach diesem Maßstab wäre die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus grundsätzlich obsolet. Und wo soll das noch hinführen? Ist er Gott? Ulrichs steile These nimmt ihm nicht mal Luisa Neubauer ab: „Ist das Mehrheitsmeinung unter Euch Journalist:innen?“, fragt sie ungläubig.

Seine Antwort klingt wie eine Kampfansage. „Noch nicht.“  

 

Luisa Neubauer, Bernd Ulrich, Noch haben wir die Wahl. Ein Gespräch über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen, 237 Seiten, Klett-Cotta, 18 Euro. 

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