Mordendes Gummi - 99 Luftballons

Grüne Politiker wollen den Leuten Luftballons madig machen, weil an ihnen Tiere verenden. Dabei sterben in deutschen Windkraftanlagen wohl viel mehr Vögel als an Luftballons. Doch um Argumente geht es schon lange nicht mehr

Nicht mehr gewollt: Luftballons / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist 36 Jahre her, da sang Nena von den 99 Luftballons auf ihrem Weg zum Horizont. Wir alles wissen: Die Geschichte von den Luftballons nimmt ein böses Ende. Erst werden sie für Ufos gehalten, dann schießen 99 Düsenjäger auf sie und schließlich zetteln 99 Kriegsminister („Streichholz und Benzinkanister“) einen Weltkrieg an. Danach liegt die Welt in Trümmern und Nena lässt einen letzten Luftballon in den Himmel steigen. Schon damals hätte man wissen können: Luftballons sind eine wirklich gefährliche Sache.

Als Anne Kura auf die Welt kam, war Nenas Hit schon ein Jahr alt und stürmte in seiner englischen Version gerade die US-Charts. Vielleicht erklärt das Anne Kuras Sensibilität für die Gefahren von Luftballons. Denn Luftballons, so die Vorsitzende der Grünen in Niedersachsen, sollten verboten werden. Nicht wegen der Kriegsgefahr, die von ihnen ausgeht. Sondern aus Umweltschutzgründen. Denn, so Anne Kura in der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Steigen gelassene Luftballons landen in den allermeisten Fällen in der Natur. Vögel und andere Tiere fressen die weichen Ballonreste und verhungern dann mit vollem Magen. Auch Ballons aus Naturlatex sind deswegen keine wirkliche Alternative“.

Freiwillig nicht einsetzen

In einem Gespräch mit der Welt ruderte die grüne Landespolitiker dann schon ein bisschen zurück. Es gehe darum, „die gasgefüllten Luftballons freiwillige nicht mehr einzusetzen“, also nicht um Luftballons im Wohnzimmer und bei Kindergeburtstagen. Vorbild sei die Stadt Gütersloh. Dort hatte der städtische Umweltausschuss die ostwestfälische Metropole zu ersten ballonfreien Zone Deutschlands erklärt. 

Wir leben in seltsamen Zeiten. Das merkt man daran, dass mitunter schwer zu entscheiden ist, ob ein politischer Vorschlag wirklich ernst gemeint ist oder nicht. Die Grenzen zwischen Satire und Realpolitik werden fießend. Der öffentliche Diskurs leidet an so etwas wie einer Entgrenzung des Sinns, einer Aufhebung von Rationalitätsstandards. Jeder darf jederzeit alles fordern, Hauptsache es dient der Weltenrettung, der Menschlichkeit und man zeigt sich besorgt. Denn Sorge, besser noch Panik, ist der Freifahrtschein, das Ticket in das Reich der totalen intellektuellen Entlastungen.

Deshalb greift auch die naheliegende Kritik an der niedersächsischen Ballonfarce zu kurz. Ja, die Grünen entlarven sich wieder einmal als Verbotspartei. Ja, das Ganz ist Unverhältnismäßig. Und ja, vermutlich sterben in den Windrädern der etwa 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland mehr Vögel als durch Luftballons seit ihrer Erfindung vor etwa 170 Jahren.

Maximalforderungen und Happenings

Doch darum geht es nicht. Denn solche Einwände hätten ja den Beigeschmack eines Argumentes. Argumente aber will man in den beinah täglich losgetretenen Debatten um Umweltschutz und Klima nicht hören. Aktionismus ist vielmehr angesagt, Maximalforderungen und Happenings wie zu Apo-Opas Zeiten.

Ökologie ist derzeit der Trigger, mit dessen Hilfe sich jedes Ressentiment, jede Abneigung in die Welt posaunen lässt. Wer schon immer etwas gegen diesen oder jenen Lebensstil hatte: Nun kann er ihn herausschreien und kaum einer wagt zu widersprechen. Besser, schöner und publikumswirksamer konnte man seine persönlichen Vorbehalte noch nie veredeln.

Narzisstische Eventlogik

Dass die tobenden Wohlstandskinder dabei im Kern ihrer narzisstischen Eventlogik verhaftet bleiben, überrascht nicht. Denn die proklamierte Askese ist nichts anderes als der letzte noch nicht ausgekostete Hype einer übersättigten Gesellschaft. Was wir derzeit erleben, sind Dionysien der Entsagung, in der eine Gesellschaft die alles besitzt und alles darf, sich den letzten denkbaren Kick holt: den Rausch der Entsagung. Denn wenn man alles, auch das Überflüssige, im Überfluss hat, erzeugt nur noch der überflüssige Verzicht auf das Überflüssige das Gefühl, etwas Besonderes zu erleben.

Deshalb wird das Verbot von Luftballons oder maximal von SUVs nur der Anfang sein. Denn alle Lust will Ewigkeit. Für den totalen Verzichtsrausch bedarf es immer höherer Dosen, also mehr Verbote und mehr Einschränkungen. Nicht auszuschließen allerdings, dass dieser Wahn in sich zusammenbricht, sobald die Gesellschaft mit materiellen Krisen konfrontiert wird. Es besteht also durchaus Hoffnung, dass der aktuelle Verzichtshedonismus nur eine kurze Phase bleibt.
 

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