Lebenslänglich für Lübcke-Mörder - Tränen lügen doch

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat Stephan E. wegen des Mordes an Walter Lübcke zu lebenslanger Haft verurteilt. Nicht nur wegen des rechtsextremen Hintergrunds des Täters und des politischen Amtes des Opfers markiert der Prozess eine Zäsur. Die vielleicht wichtigste Frage aber blieb offen.

Lebenslänglich: Stephan E., der Mörder von Walter Lübkcke, kommt auch nach der Verbüßung seiner Haftstrafe nicht aus dem Knast / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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„Ich hatte die Waffe schon in der Hand.“
„Angelegt?“
„Angelegt.“
„Tatentschluss war klar?“
„Tatentschluss war klar. Ich hab auf Kopfhöhe gehalten – und dann abgedrückt.“

Nein, dies ist keine Szene aus einem US-amerikanischen CSI-Film. Das ist das Geständnis von Stephan E., dem Mann, der den hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke am Abend des 1. Juni 2019 auf seiner Terrasse mit einem gezielten Kopfschuss hingerichtet hat. Irgendwer hat Aufnahmen der Vernehmung dem NDR zugespielt, und der hat es in einem Jugendkanal ausgestrahlt. Es zeigt einen Mann im roten T-Shirt, der den Eindruck erweckt, als habe er seinen Plan mit der Präzision eines kalten Killers ausgeführt. Alleine. Aber war das wirklich so? 

Diese Frage quält die Familie von Walter Lübcke bis heute. Und so, wie es aussieht, wird sie darauf keine Antwort mehr bekommen. E. hat das erste Geständnis später auf Anraten seines neuen Anwaltes widerrufen. In einer zweiten Version hieß es, er sei am Tatort nicht allein gewesen. Sein Begleiter, Markus H., habe Lübcke versehentlich getötet. Nach der dritten Version hatten die beiden den Mord nicht nur gemeinsam geplant, sie waren auch beide am Tatort gewesen.

Szenen wie aus einem durchgeknallten Drehbuch 

Für die Anklage aber war das erste Geständnis maßgeblich. Nach 44 Verhandlungstagen ist heute im Oberlandesgericht Frankfurt das Urteil gefallen. Wegen Mordes an Walter Lübcke hat es Stephan E. zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Sein Begleiter Markus H. aber wurde freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft geht zwar davon aus, dass H. maßgeblich zur Radikalisierung E’s beigetragen hat. Ermittler konnten aber keine DNA-Spuren von ihm am Tatort finden. Er wurde nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

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Ein Rechtsextremer, der wegen Gewalttaten mehrfach vorbestraft war, der vom Verfassungsschutz beobachtet wurde und der der Behörde dann aus unerfindlichen Gründen vom Radar gerutscht ist; drei verschiedene Geständnisse; wechselnde Anwälte, die alle eine andere Strategie verfolgten als ihre Vorgänger; Videos von Verhören, die ans öffentlich-rechtliche Fernsehen geleaked und im Jugendprogramm des NDR ausgestrahlt wurden. Die Dramaturgie dieses Prozesses wirkte, als hätte sie sich ein durchgeknallter Drehbuchautor ausgedacht.

Ein historischer Prozess 

Dabei erregte der Prozess auch so schon genug Aufsehen. Es war das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte der BRD, dass ein Politiker von einem Rechtsextremen ermordet wurde. Und dass dieser Mord eine Zäsur markierte, war schon klar, bevor das Urteil fiel. Lange hatten die Sicherheitsbehörden den Schwerpunkt auf den Kampf gegen Islamismus gesetzt. Der Lübcke-Mord hatte ihnen gezeigt, dass die Politik die Gefahr des Rechtsextremismus lange unterschätzt hatte. Jetzt verschob sie ihren Fokus. Plötzlich bekamen das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt Hunderte zusätzlicher Stellen, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Doch diese Aufgabe ist eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, keine, die man allein der Politik und den Sicherheitsbehörden überlassen kann. Das haben die Anschläge von Halle und Hanau gezeigt. Es gibt in Deutschland einen Hass auf Moslems, Juden oder Menschen mit einer anderen Religion oder Hautfarbe. Und es liegt an jedem Einzelnen, die Stimme zu erheben, wenn öffentlich Hass auf diese Menschen geschürt wird. 

Der Satz, der E. triggerte 

Genau das hat Walter Lübcke getan – in seiner Funktion als Regierungspräsident, das hat ihn das Leben gekostet. Bei einer Bürgerversammlung zu einer geplanten Asylunterkunft war der Politiker von empörten Anwohnern provoziert, beschimpft und ausgebuht worden. Irgendwann rutschte ihm ein Satz heraus, den man als Kampfansage verstehen kann und den er unter normalen Bedingungen vielleicht nicht gesagt hätte: Wer die Werte, die dieses Land vertrete, nicht vertrete, „der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.“

Stephan E. hat diese Szene mit der Handy-Kamera gefilmt und im Internet hochgeladen. Es war die Vorlage für einen beispiellosen Shitstorm gegen Lübcke. In dem geleakten Polizei-Verhör hat er gesagt, es sei dieser Satz gewesen, der ihn getriggert hätte. Lübcke sei für ihn eine Symbolfigur für die Regierenden gewesen. Er habe Angst vor „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ durch eine von ihm als stark empfundene Zuwanderung gehabt. Es ist die Argumentation vieler Rechtsextremer: Sie führten nur aus, was ein vermeintlicher Volkswille fordere. 

Die Familie von Walter Lübcke glaubt Stephan E. 

Vor Gericht hat sich E., Vater zweier Kinder, bei der Familie von Walter Lübcke entschuldigt. Auch für ein Aussteiger-Programm aus der rechtsextremen Szene hat er sich bemüht. Ehrliche Reue? Norbert Leygraf, einer der renommiertesten deutschen Gerichtspsychiater, kauft ihm das ebenso wenig ab wie die Tränen, die E. im Prozess und im Verhör geweint hat. Er sagt, der Hass auf Ausländer sei tief in seinem rechtsextremen Weltbild verankert. Auch deshalb hat das Gericht die besondere Schwere der Schuld anerkannt. 

Für die Familie von Walter Lübcke ist das kein Trost. Es sei ihr nie um das Strafmaß gegangen, sondern darum, zu erfahren, was am 1. Juni 2019 auf der Terrasse ihres Hauses passiert sei, hat sie gesagt. Diese Frage hat der Prozess nicht beantwortet. Trotzdem glauben die Witwe und die Söhne von Walter Lübcke dem dritten Geständnis von Stephan E. Sie sind überzeugt, dass der Mord nicht passiert wäre, wenn Markus H. ihn nicht dazu aufgestachelt hätte. Ein gleichaltriger Waffennarr, der ihn mit zu Schießübungen und Demos der AfD nahm. 

„Wo war der Verfassungsschutz?“

Im Prozess trat die Familie als Nebenklägerin auf. Ihr Anwalt Holger Matt nutzte die Gelegenheit, um mit den Sicherheitsbehörden abzurechnen. Er sagt, nachdem der NSU aufgeflogen sei, habe man gedacht, der Staat sei aufgewacht. Stattdessen habe ein polizeibekannter Rechtsextremer, dessen Name auch in einem NSU-Bericht von 2014 stand, ein weiteres Mal zugeschlagen. „Wo war der Verfassungsschutz?“

Diese Frage ist keine Frage an das Gericht, sondern eine an die Politik. Sie beschäftigt auch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im hessischen Parlament. Er trat vor einem halben Jahr das erste Mal zusammen. Wie man hört, kommt er keinen Schritt voran.

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