Lobbyismus-Skandale in CDU und CSU - Die Ich-Ich-Ich-AGs

Ob Provisionen in der Maskenaffäre oder bezahlte Aserbaidschan-Connections – im Lobbyismus-Skandal von CDU und CSU geht es um mehr als moralische Verfehlungen in einer Jahrhundertkrise. Wer als Abgeordneter eine GmbH gründet, kann unkontrolliert Geld anhäufen. Wie viel, wozu und von wem, bleibt verborgen. Zeit, das zu ändern.

Lobbyismus-Skandale im Deutschen Bundestag / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Der Begriff Ich-AG wurde einst in den neunziger Jahren im Zuge der Hartz-Reformen geboren. Dem Zeitgeist der New Economy entsprechend, sollte das Konzept modern und finanziell reizvoll klingen, um Arbeitslosen mit staatlichen Zuschüssen einen Einstieg in die Selbstständigkeit zu erleichtern. Nun herrscht offenbar ein neuer Zeitgeist vor: Der der Ich-Ich-Ich-AG.

Dabei geht es nicht mehr um Hilfe für Arbeitslose, sondern offenbar darum, Abgeordneten des Deutschen Bundestages den Abgang zu versüßen, insbesondere einigen Parlamentariern der Union. Wirklich illegal ist daran das Meiste wohl nicht. Doch die Politiker nutzen geschickt Transparenz-Lücken, die zwar längst bekannt sind, aber bislang kaum wirklich jemanden zu interessieren schienen.

Als Gesellschafter einer GmbH müssen Abgeordnete nämlich Einkünfte aus dieser nicht angeben, solange sie sich diese nicht ausbezahlen lassen. Dann liegen die auf diese Weise unbekannten Nebeneinkünfte, die eben keine Einkünfte des Abgeordneten, sondern des Unternehmens sind, unerkannt und legal auf den Konten der GmbH. Ob es sich dabei um Tausenderbeträge oder um Millionenbeträge handelt, hat die Bundestagsverwaltung und auch den Wähler nicht zu interessieren.

Weil der finanzielle Umfang der GmbH-Geschäfte unbekannt bleibt, ist auch unklar, ob es sich hierbei um Nebeneinkünfte handelt, oder ob sie eigentlich als Haupteinkünfte bezeichnet werden müssten. Hinzu kommt: Dass man Gesellschafter einer solchen Firma ist, muss man nur angeben, wenn man Anteile von mehr als 25 Prozent hält. Unterm Strich heißt das: Wer klug ist, könnte nach den Jahren seiner Abgeordneten-Tätigkeit eine Après-Bundestags-Party schmeißen und sich die Gewinne aus seiner GmbH ausbezahlen, wenn es keinen mehr zu interessieren hat. So weit, so legal, so intransparent.

Der Bürger ist doppelt der Dumme

Nun ist freilich nicht jede GmbH eines jeden Abgeordneten gleich eine Ich-Ich-Ich-AG. Die legale Lücke machen sich aber offensichtlich mehr Abgeordnete auf problematische Weise zunutze als gedacht. Problematisch ist das deshalb, weil es vom Zufall, von Leaks und Recherchen abhängt, ob fragwürdige oder gar verbotene Geschäfte auffliegen. Und derzeit fliegt immer mehr auf, zum Schaden der Union und zum Schaden der Demokratie.

Da gibt es zum einen die „Maskenaffäre“ um die beiden inzwischen ausgetretenen Unions-Fraktionsmitglieder Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU), die sich ausgerechnet am in der Pandemie so raren Gut Mund-Nasen-Schutz mit Hunderttausenden Euro Vermittlungsprovision bereichert haben – natürlich abgerechnet über ihre jeweilige GmbH. Bei Löbel war es seine „Projektmanagement-GmbH“, bei Nüßlein seine „Tectum Holding GmbH“.

Ausdrücklich nicht gemeint mit den Vorwürfen sind Abgeordnete, die in einer Beschaffungs-Notsituation Kontakte zwischen Herstellern und der Regierung hergestellt haben, ohne dafür einen Wegzoll einzustreichen. Die Bereicherung in den anderen Fällen aber wiegt doppelt schwer. Denn die Bürger bezahlen nicht nur die beiden Abgeordneten über deren Diäten. Die gezahlten Provisionen pro Maske berappt am Ende ebenfalls der Steuerzahler. Denn solche Zwischen-Deals verteuern selbstverständlich die Produkte. Kauft der Staat diese Masken oder der Verbraucher an der Supermarkt-Kasse, dann zahlt er Löbels und Nüßleins Provisionen mit. Der Markt regelt das, über den Preis.

Aserbaidschan-Komplex der CDU

Damit aber nicht genug. Zum anderen gibt es nun auch die „Aserbaidschan-Affäre“: So wurde schon vor gut einer Woche die Immunität des baden-württembergischen CDU-Politikers Axel Fischer aufgehoben. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bestechlichkeit, weil Fischer Geld aus Aserbaidschan angenommen haben soll.

Am Donnerstag wiederum legte der Thüringer Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann (CDU) sein Mandat nieder. Auch ihm wird vorgeworfen, Geldzahlungen aus Aserbaidschan und Taiwan erhalten zu haben. Hauptmann frisch im September 2020 gegründete Firma ist die „Hauptmann Global Consult GmbH“ mit Briefkasten-Sitz im brandenburgischen Zossen, wo die Steuern mit am niedrigsten in Deutschland sind. Vom „Luxemburg Brandenburgs“ und der auffälligen Häufung von Briefkastenfirmen war schon öfter die Rede. Zudem soll auch Hauptmann in Wucher-Maskengeschäfte verstrickt sein, zumindest hat er Deals mit Landkreisen angebahnt. Dass dafür Geld geflossen sei, bestreitet er.

Schon lange laufen außerdem Ermittlungen gegen die CDU-Abgeordnete Karin Strenz wegen Korruptionsverdachts bezüglich Aserbaidschans. Weil sie gegen die Verhaltensregeln für Mitglieder des Parlaments verstoßen hat, wurde gegen sie 2019 bereits ein Ordnungsgeld verhängt. Mitglied der Unions-Fraktion aber ist sie noch immer.

Es geht um mehr als moralische Verfehlung

Was als Affäre begonnen hat, wächst sich damit immer weiter zu einem Korruptions-Skandal für die Union aus. Wohl wissend, dass da noch mehr kommen könnte, treten die Parteivorsitzenden Armin Laschet und Markus Söder sowie die Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus und Alexander Dobrindt die Flucht nach vorn an und versprechen rasche Aufklärung. Immerhin sind am Sonntag zwei wichtige Wahlen für die Union in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Weitere Wahlen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen folgen in diesem Jahr. Und es geht um die Kanzlerkandidatur und schließlich um die Bundestagswahl im Herbst. Bis zu diesem Freitag um 18 Uhr sollen darum alle Unions-Fraktionsmitglieder eine von Brinkhaus und Dobrindt aufgesetzte Erklärung unterschrieben haben, um zu versichern, dass sie „keine finanziellen Vorteile“ erzielt haben oder erzielen werden – allerdings gilt diese Erklärung nur im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie und medizinischen Produkten.

Tatsächlich passt dies zum Spin, den viele in der Union auch schnell verbreiteten. Sich ausgerechnet in dieser Krisensituation, in der andere um ihre Existenz bangen, zu bereichern, das gehe gar nicht, hieß es allerorten. Ganz so, als würde es nur um die einmalige moralische Verfehlung einzelner in einer gesundheitlichen Jahrhundertkrise gehen und nicht auch um ein strukturelles Problem der Intransparenz, das eben auch Fälle wie die Geldzahlungen aus Aserbaidschan zulässt. Auch in der Union selbst gibt es viele Stimmen, welche diese Covid19-Erklärung als deutlich zu wenig kritisieren. So schreibt etwa der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Roderich Kiesewetter: „Es stellt sich aber die Frage, warum die Offenlegung von Zahlungen nur auf die Corona-Phase und medizinische Ausrüstung beschränkt ist. Es gehört alles auf den Prüfstand. Jetzt! ist die Gelegenheit dazu.“

Auch im Rest der Union ist die Wut groß, gerade in den den Landes- und Kreisverbänden und nicht zuletzt in der Jungen Union. Eine noch weitergehende „Zehn-Punkte-Transparenzoffensive“ schlägt nun der geschäftsführende Vorstand der Unionsfraktion vor. Demnach soll Abgeordnetenbestechung oder -bestechlichkeit künftig als Verbrechen gelten. Auch Aktienoptionen, wie sie beim Fall Philipp Amthor ein Thema waren, sollen verboten werden.

Irgendeine Not ist immer

Auf Cicero-Anfrage antwortete der CDU-Parlamentarier Gunther Krichbaum, er habe „nicht das geringste Verständnis dafür“, dass Abgeordnete zwischen ihrem Mandat und ihrer persönlichen Bereicherung offenkundig nicht unterscheiden würden. „Sie bringen uns alle in Verruf, die wir jeden Tag für die Bürgerinnen und Bürger, die Kommunen und die Unternehmen in unseren Wahlkreisen aktiv sind und uns für deren Belange einsetzen.“ Erwin Teufel habe einmal gesagt: „Das tut man nicht!“. Dem sei nichts hinzuzufügen. „Wir haben ein dienendes Mandat, kein verdienendes“, so Krichbaum.

Tatsächlich wirkt die Aktion von Brinkhaus und Dobrindt vor dem Hintergrund der Aserbaidschan-Affären etwas dünn, auch wenn sie ein wichtiger Anfang ist. Denn ob Pandemie oder nicht, irgendeine Not ist immer. Und sei es nur die vermeintliche Geldnot eines Abgeordneten. Es geht nicht darum, die Abgeordneten einem Generalverdacht auszusetzen. Es geht auch nicht um Neid. Es geht darum, dass Abgeordnete Gesellschaften gründen können und keiner weiß, zu welchem Zweck sie dies tun, weil deren Umsätze und nicht ausgezahlte Gewinne bislang nicht anzeigepflichtig sind oder in irgendeiner Form transparent gemacht werden müssen. Was soll schon hinter einem Consulting stecken? In jedem der beschriebenen Fälle floss das Geld über eine solche GmbH. Diese Intransparenz lädt ein zu Selbstbedienung und zu problematischen Beziehungen zwischen Abgeordneten und Unternehmen.

Dass diese Ich-Ich-Ich-AGs ein strukturelles Problem sind, zeigt auch, dass es solche Fälle nicht nur bei der CDU gibt. Auch in der SPD-Fraktion gibt es derzeit einen Fall, bei dem es um Bestechlichkeit, Untreue, Betrug und Verstoß gegen das Parteiengesetz geht. Es handelt sich um den rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten Marcus Held, der bis 2018 ebenfalls Gesellschafter einer GmbH war. Der Fall stammt zwar aus dem Jahr 2017, vor Gericht steht Held aber jetzt. Zwar wurde dieser einst aus sämtlichen SPD-Gremien abberufen. Mitglied der SPD-Fraktion aber ist Held nach wie vor und Abgeordneter ohnehin.

Handeln noch vor der Bundestagswahl

Diese Vorgänge sind gefährlich für die Demokratie. Die Parlamentarier, nicht nur im Bundestag, sondern auch in den 16 Länderparlamenten, müssen sich dringend etwas einfallen lassen. Denn mögen es auch Einzelfälle (die sich häufen) sein, sie beschädigen die Arbeit jener Volksvertreter, die ihr Mandat in diesem Wortsinn wirklich ernst nehmen. Wenn nicht alle, und damit auch unsere Demokratie, in Verruf kommen wollen, sollten sie jetzt handeln – noch vor der Bundestagswahl.

Sollte das Kompromiss-gestutzte Lobbyregister der Großen Koalition tatsächlich noch kommen, wäre es für diese jetzigen Fälle allerdings nutzlos. Weitergehende Vorschläge für mehr Transparenz gibt es genug, Selbst der Lobbyisten-Hotspot Brüssel hat inzwischen deutlich strengere Regeln als Deutschland. Es geht um nicht weniger als um die Res Publica, die öffentliche Sache. Der Staat sind seine Bürger, und die haben ein Recht zu erfahren, was läuft: Wer an Gesetzen mitschreibt, das könnte etwa über einen sogenannten legislativen Fußabdruck deutlich werden.

Tatsächlich könnte die Bundestagsverwaltung aber schon vorab eine scheinbare Kleinigkeit reformieren: Die Webseiten-Profile der vielen hundert Abgeordneten auf bundestag.de, egal aus welcher Fraktion, sind so programmiert: Wer die Profile aufruft, muss die mitunter sehr aufschlussreichen Reiter zu „Mitgliedschaften in sonstigen Gremien“ und „Veröffentlichungspflichtige Angaben“ immer erst aktiv ausklappen, bevor er sich informieren kann. Alle anderen Informationen sind direkt sichtbar. Ein kleines Update könnte dies schnell ändern.

Wer mit Transparenz schon im Kleinen anfängt, kann große Heimlichkeiten am wirkungsvollsten verhindern, auch wenn man kriminelle Energie nie ganz wird eindämmen können. Das allein aber reicht als Argument gegen mehr Offenheit nicht aus. Es ist Zeit zu handeln, vor allem für die Unionsparteien. Zeit für eine Wir-AG.

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