Linken-Fraktionsvorsitz - Der Krampf geht weiter

Die neue Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali gilt als Überraschungssiegerin und als letzter Triumph von Sahra Wagenknecht. Die chaotischen Machtverhältnisse in der Linkspartei wird das kaum ordnen – was auch ein Problem für die Parteivorsitzenden ist

Neu- und wiedergewählt: Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es war durchaus eine Überraschung, mit der am Dienstag die Ära von Sahra Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag endete. Als Nachfolgerin wählten 36 der 68 anwesenden Abgeordneten der Fraktion im zweiten Wahlgang Amira Mohamed Ali, die bis vor wenigen Tagen auch innerhalb der Partei kaum bekannt war. Die 39jährige Rechtsanwältin aus Niedersachsen sitzt erst seit 2017 im Bundestag und nahm in der Fraktion die Aufgabe der verbraucherpolitischen Sprecherin wahr. Sie wird dem linken Flügel der Partei zugerechnet, ist aber in dem Richtungsstreit der vergangenen Monate kaum durch pointierte Positionierungen in Erscheinung getreten.

Als Favoritin für das Amt galt allgemein Caren Lay, bisherige Vize-Vorsitzende und mietenpolitische Sprecherin der Fraktion. Lay hat eine lange Parteikarriere hinter sich, unter anderem als Bundesgeschäftsführerin. Frühzeitig hatte sich die Vertraute der Parteivorsitzenden Katja Kipping die Unterstützung einiger wichtiger Strömungsvertreter gesichert. Als Ko-Vorsitzender wurde Dietmar Bartsch ohne Gegenkandidat bestätigt, allerdings mit einem deutlich schlechteren Ergebnis als vor zwei Jahren.

Die alten Absprachen griffen nicht

Wahlen für Spitzenämter verlaufen bei den Linken in der Regel anhand einer komplizierten politischen Arithmetik, die man wohl als Dreifach-Quotierung bezeichnen kann: Mann/Frau, Ost/West, reformorientiert/linkssozialistisch. Letzteres spielt aber keine wesentliche Rolle mehr, denn erfolgreiche Kandidaturen sind in der Regel nur auf der Grundlage taktischer Bündnisse zwischen verschiedenen, teilweise deutlich unterschiedlichen Parteiströmungen möglich.

Dazu gehören unter anderem das „Forum Demokratischer Sozialisten“, die „Sozialistische Linke“, die „Bewegungslinke“, die „Antikapitalistische Linke“ und die Gruppe „Marx 21“. Doch dieses informelle Geflecht der Postenvergabe hat diesmal offensichtlich nicht funktioniert. Viele Abgeordnete waren es anscheinend leid, als Manövriermasse für Hinterzimmer-Absprachen missbraucht zu werden.

Streit um eine linke Migrationspolitik

Alis Vorgängerin Wagenknecht hatte nach heftigen internen Auseinandersetzungen bereits im März ihren Rückzug aus der Fraktionsspitze angekündigt. Die mit Abstand populärste Politikerin der Partei war mit ihrem Versuch, die Partei auf klassische linke Sozialpolitik für die unteren Schichten zu fokussieren, weitgehend gescheitert. Gestritten wurde vor allem über die Migrationspolitik. Während Parteiführung und Fraktionsmehrheit die Forderung nach „offenen Grenzen und Bleiberecht für Alle“ unterstützten, orientierte Wagenknecht auf eine Trennung zwischen dem Asylrecht für Kriegsflüchtlinge und politisch Verfolgte auf der einen und regulierter Einwanderung auf der anderen Seite – was ihr regelmäßig den Vorwurf eintrug, eine „Rassistin“ zu sein.

Wagenknecht kritisierte auch die verstärkte Hinwendung der Partei zu postmodernen Themen der neuen urbanen Mittelschichten wie Gendergerechtigkeit oder Fleischverzicht und machte diese Orientierung für die schweren Einbußen der Linken bei ihren alten Kernklientelen in Ostdeutschland mitverantwortlich. Den innerparteilichen Machtkampf hat Wagenknecht eindeutig verloren, und auch die im September 2018 von ihr ins Leben gerufene Sammlungsbewegung „Aufstehen“ fiel nach kurzer Scheinblüte wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Sonderfall Thüringen

Es ist allerdings sehr fraglich, ob mit der Wahl von Bartsch und Ali nunmehr der viel beschworene Schlussstrich unter die offenen Kämpfe zwischen verschiedenen Strömungen in Fraktion und Partei gezogen und ein „Neuanfang in Geschlossenheit“  realisiert werden kann. Einige Wochen konnte sich die zerstrittene und von massiver Verunsicherung der Basis gebeutelte Partei relativ unbeschwert im Licht des unerwartet guten Wahlergebnisses von Bodo Ramelow sonnen. Der einzige amtierende linke Ministerpräsident hat bei den Landtagswahlen in Thüringen am 27.Oktober zwar die Mehrheit für die von ihm geführte „rot-rot-grüne“ Landesregierung verloren, aber mit 31 Prozent ein herausragendes Ergebnis für Die Linke erzielt.

Dem gegenüber stehen allerdings die Wahlen in Brandenburg und Sachsen wenige Wochen zuvor, die für die Partei mit der annähernden Halbierung ihrer Stimmenanteile endeten. Auch die bundesweiten Umfragen verheißen wenig Gutes, und die neuerdings wieder verstärkt beschworene „rot-rot-grüne Option“ scheint in nahezu unerreichbare Ferne gerückt zu sein. Doch der Rausch des Erfolgs von Bodo Ramelow habe sich „wie Mehltau über die Partei gelegt“ und erschwere die schonungslose Diskussion über den Zustand der Linken, wird von einigen Genossen im Gespräch beklagt.

Kipping und Riexinger bleiben blass

Im Februar will die Linke die bereits seit längerem geplante und aufgrund der Wahlen in Ostdeutschland verschobene große Strategiekonferenz veranstalten. Es ist allerdings  kaum zu erwarten, dass die vielen offenen politischen Grundsatzfragen dort tatsächlich ernsthaft diskutiert oder gar entschieden werden. Denn längst wirft der nächste ordentliche Parteitag im Juni seine Schatten voraus. Dort wird auch eine neue Parteiführung gewählt, und es gilt als ausgeschlossen, dass die blasse und unglücklich agierende Doppelspitze Katja Kipping/Bernd Riexinger erneut kandidiert. Hinter den Kulissen wird schon fleißig an Bündnissen für eine neue Doppelspitze gebastelt.

Immerhin: In der Partei gibt es eine Initiative namens „Wir sind die Linke“, die durchsetzen möchte, dass die künftigen Vorsitzenden von der Basis in einer Urwahl bestimmt werden. Um ein solches Verfahren auf den Weg zu bringen, müssten zunächst fünf Prozent der Mitglieder, rund 3200, einen entsprechenden Antrag unterschreiben. In dem Aufruf heißt es: „Die Partei braucht ein Zeichen des Aufbruchs. Wir brauchen Parteivorsitzende mit dem größtmöglichen Rückhalt innerhalb der gesamten Partei. Eine Urwahl ist die demokratischste Möglichkeit, genau das zu erreichen.“ Die Parteioberen und die Vertreter der verschiedenen Strömungen regieren darauf bislang teils mit Schweigen und teils mit offener Ablehnung. Die Basis hat es also in der Hand, die verkrusteten Strukturen ihrer Partei aufzubrechen.

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