Linke und Islamismus - Denken, nicht beten

Zu Zeiten des Kommunismus taten sich Linke schwer mit den Dissidenten aus dem Osten. Heute wollen sie nichts zu tun haben mit den Islamkritikern im eigenen Land – und werfen ihnen stattdessen Islamophobie vor.

Erleuchtung geht anders / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Natürlich wurde gebetet. Und selbstverständlich in ökumenischer Besetzung. Wie immer, wenn Menschen im Namen Allahs Schwert und Feuerwaffe zum Opfer fallen – enthauptet wie der Lehrer Samuel Paty in Paris oder die betende Frau in Nizza, erstochen wie der Mann in Dresden, erschossen wie die Passanten in Wien. 

Allahu Akbar, Gott ist groß! Da sind Gottesmänner gefragt, die den Schaden in Grenzen halten – durch Bekunden von Anteilnahme im Namen des Herrn, durch Anrufung himmlischer Mächte „gegen den Terror, woher er auch immer kommt“. So lautete die Beschwörungsformel der Gedenkveranstaltung vor der österreichischen Botschaft in Berlin zur jüngsten Terrororgie. 

„Terror, woher auch immer“? Die Betbrüderlichkeit liebt das Ungefähre und Allgemeine. Sie scheut präzise Worte wie der Teufel das Weihwasser. Den Islam als Quelle benennen von religiösem Mord und Totschlag, wie ihn die freiheitliche europäische Welt seit Jahren erlebt? Da hilft nur Beten. 

Samuel Paty stand ein fürs Denken

Alles unklar, wie stets: Der Segen für die Friedfertigkeit aller Religionen ist gesprochen, die Absolution des Islam als friedfertige Ko-Religion ist erteilt.

Wenn es ums Beten geht, geht es nicht ums Denken. Ums Denken ging es dem Pariser Lehrer Samuel Paty – das nämlich wollte er seine Schüler lehren, auch die islamisch beseelten. Er versuchte ihnen zu verdeutlichen, was Denkfreiheit in Frankreich bedeutet, der großen Nation, die Freiheit des Staates von Religion rigoros pflegt: der Glaube privat, die Kirchen privat, Gebote und Verbote religiöser Provenienz strikt den laizistischen Gesetzen unterworfen. 

Als Beispiel für freiheitliches Denken zeigte Paty seinen Schülern Mohammed-Karikaturen aus der Satirezeitschrift Charlie Hebdo – die waren Auslöser des islamistischen Terrormassakers vor fünf Jahren, dem zehn Redaktionsmitglieder und zwei Polizisten zum Opfer fielen. 

Böser Witz als legitimer Ausdruck der Meinungsfreiheit – Beleidigtsein als private Angelegenheit. 
Der Lehrer lehrte Denken. Seiner durch Beten zu gedenken, ist das Gegenteil dessen, was in Patys pädagogischer Absicht lag. Es ist die übergriffige Vereinnahmung laizistischer Vernunft durch Bigotterie, eine Anmaßung der Gottesmänner. 

Es geht ums Denken

Deren einziger Anspruch ist Friedfertigkeit – die sie selbstverständlich auch dem Islam attestieren, der Religion, die den Unfriedfertigen das Rechtfertigungsarsenal für ihre Terrortaten liefert. 

Wer auch nur den Eindruck erweckt, der Glaube der mordenden Gläubigen könne für ihre Taten mitverantwortlich sein, dem wird Islamophobie vorgeworfen, eine erfundene Krankheit, von Islamisten ins Feld geführt zur Diffamierung jedweder Kritik an ihrer Religion. Unter anderem in einem „Europäischen Islamophobie-Bericht“, der EU-offiziell anmutet, aber von der Türkei finanziert wird. In Frankreich agitierte das Collectif contre l’Islamophobie – eine Organisation mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft; nun will der französische Staat sie verbieten.

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, Muslimin und Sozialdemokratin, empörte sich über die Verschleierung der Wirklichkeit: „Phrasen wie ,Das hat nichts mit uns zu tun‘ müssen endlich aufhören. Islamisten morden im Namen des Islam.“

Das beflissene Attest „friedfertig“ ist nicht nur unangebracht, es behindert auch das Denken. Denn um Frieden geht es nicht. 

Es geht um Freiheit. Freiheit des Denkens. Freiheit des Redens. 

Kühnert als Lichtgestalt der Linken

Die allerdings ist keine Domäne palavernder Pfarrer, Priester, Rabbis und Imame. Freiheit liegt in der Kompetenz von Aufklärern. Man sollte deshalb meinen, für sie zu kämpfen sei das intellektuelle Handwerk der politisch-kulturellen Linken – von linksliberalgrün, um das Moralmilieu der Bundesrepublik präziser zu bezeichnen. 

Doch weit gefehlt. Die Denkkultur der routinierten Kapitalismuskritiker kapituliert vor dem Islam.
Eine Unterstellung? Kevin Kühnert, linke Lichtgestalt und Titelheld des Spiegel, legt dazu ein beachtenswert selbstkritisches Bekenntnis ab: „Wenn die politische Linke den Kampf gegen Islamismus nicht länger Rassisten überlassen will, muss sie sich endlich mit diesem blinden Fleck beschäftigen. (...) Es steht der Vorwurf im Raum, in linken Weltbildern gebe es ‚richtige‘ und ‚falsche‘ Opfer oder Täter. Und auch wenn dieser Vorwurf polemisch und pauschal daherkommen mag, so kann doch der Eindruck entstehen, dass da ein Funke Wahrheit im Spiel ist.“

Ein Beleg für Intelligenz, gar Integrität des sozialdemokratischen Karrieristen Kühnert – aufsehenerregend sogar, denn deutsche Linke waren von den Dissidenten totalitärer Systeme oder Ideologien nie begeistert: Wer im Kalten Krieg aus sozialistischen Diktaturen kam und Freiheit forderte, stieß auf Skepsis bis Ablehnung. Selbst große Geister wie Günter Grass und Heinrich Böll pflegten politische Distanz gegenüber den Abtrünnigen: „Wer sich hierzulande für Solschenizyn, Bukowski, Amalrik, Grigorenko, Maximow und Galitsch verwenden zu müssen glaubt, muss sich erst einmal legitimieren.“

Autoritär reklamierten die linksintellektuellen Vordenker militante Ächtung des als rechts geltenden Antikommunismus. Der war die Islamophobie jener Zeiten, in denen linke Demokraten linken Totalitarismus mit gnädigem Blick zu betrachten pflegten, mitunter sogar verständnisvoll bewundernd. 

Keine Willkommenskultur für die Dissidenten des Islam

Heute heißen die Dissidenten Bassam Tibi, Hamed Abdel-Samad, Ahmad Mansour, Kacem El Ghazzali, Necla Kelek oder Saïda Keller-Messahli – die linke Szene hält sie auf Abstand wie einst Manès Sperber, Arthur Koestler, Raymond Aron, die westlichen Klassiker des aufklärerischen Antikommunismus. 

Oder sind die Islamkritiker willkommen in linken Zirkeln? Sind sie Berater in grünen Gefilden? Sind sie Stimmen der liberalen Publizistik? Werden ihre Bücher von den linksliberalgrünen Feuilletons wohlwollend rezensiert, ja überhaupt zur Kenntnis genommen? Helfen sie in Parlamentsausschüssen, die politischen Untiefen des Islam auszuloten? Leiht die Kanzlerin ihnen das Ohr, um zu verstehen, wes Geistes Kinder sie millionenfach ins Land gebeten hat? 

Gilt die Willkommenskultur auch für diese demokratischen Abweichler des Islam? 

Nichts davon. Lediglich um deren Sicherheit ist man besorgt: Die meisten von ihnen bewegen sich Tag und Nacht in der Obhut von bewaffneten Beamten, die über ihre physische Unversehrtheit wachen. Immerhin – im Land mit dem freiheitlichsten Grundgesetz der Welt ist dieser Schutz vor Freiheitsfeinden das Minimum. 

Erleuchtung geht anders

Hamed Abdel-Samad erklärt, woher der Wind weht: „Wer muslimischen Fundamentalismus scharf kritisiert, dem wird Intoleranz vorgeworfen. Dank dieser falschen Toleranz konnten die Intoleranten ihre Infrastrukturen in Europa ausbauen und die Demokratie attackieren.“

Ja, Salafisten, Muslimbrüder und IS-Sympathisanten ziehen freier durch Europa als die sicherheitsbewachten muslimischen Islamkritiker – ein Aberwitz. In Deutschland erklärbar aus einem fatalen Geschichts­irrtum: die Migranten als Minderheit, an denen die schreckliche Schuld der Vergangenheit wiedergutgemacht werden soll – durch Willkommen und Toleranz und Multikulti auch für die religiös-politische Ideologie eines fatalerweise fundamental verstandenen Islam, einer Weltmacht, die rund um den Globus Abermillionen autoritär unterdrückt und Frauen entrechtet. 

Die organisierte islamische Glaubensgemeinschaft, die in der Bundesrepublik nur eine kleine Minderheit der Muslime vertritt, hat sich den spezifisch deutschen Schuldkomplex mitsamt dem daraus abgeleiteten Verantwortungsbewusstsein zunutze gemacht. Ihre Vereinigung nennt sich: Zentralrat der Muslime in Deutschland – und usurpiert damit so gezielt wie schamlos den ehrwürdigen, von millionenfachem Leid geprägten Namen: Zentralrat der Juden in Deutschland. 

Friedfertig wird gemeinsam gebetet. Doch Erleuchtung geht anders: Sie setzt Denken voraus.
 

Diesen Text finden Sie in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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