Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg - Ehret die Alten!

Mal waren es die „Wendeverlierer“, mal wurde der „alte weiße Mann“ als derjenige ausgemacht, der im Osten die AfD stärkt und ganz allgemein den Fortschritt behindert. Aber gerade die Rentnergeneration hat die Volksparteien in Sachsen und Brandenburg vor dem Absturz bewahrt

Rettung per Rollator: Die Volksparteien sammeln Punkte bei den Alten / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Man hat dieses Bild vor Augen: Frustrierte, gealterte Ossis wachen am Wahlsonntag schon mit Wut im Bauch auf, marschieren mit dem Gedanken „Denen zeig ich’s“ zum Wahllokal und machen ein dickes Kreuz bei der AfD.

Das Bild von den „alten weißen Männern“, Wendeverlierern und sonstigen Losern, die gegen Merkel, Flüchtlinge und alles politisch Korrekte sind und deshalb jene stärken, die rechts der Mitte stehen, hat schon im Zuge der letzten Wahlen Brüche bekommen. Nach der Bundestagswahl 2017 etwa mussten die meisten deutschen Medien zumindest anerkennen, dass die AfD-Wähler, was Bildungsstand und Einkommen betrifft, durchaus aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Bei 60plus ging's abwärts für die AfD

Aber so klar wie bei den Landtagswahlen vom Wochenende wurde einem selten vor Augen geführt: Die „Alten“ haben den Volksparteien SPD und CDU diesmal den Hintern gerettet.

Die Bilder in Sachsen und Brandenburg gleichen sich auf verblüffende Art und Weise: Während die AfD in der Altersgruppe 30-59 überdurchschnittlich gut abschnitt und selbst die Jüngsten etwa durchschnittlich für die AfD stimmten, stürzten die Werte der Partei in der Altersgruppe 60plus regelrecht ab, in Brandenburg noch deutlicher als in Sachsen: In Brandenburg wählten nur 18 Prozent der „Rentner“ die AfD, insgesamt holte die Partei hier 23,5 Prozent. Ähnlich in Sachsen: Die AfD holte nur 23 Prozent bei den Wählern 60plus, insgesamt aber 27,5 Prozent.

Stattdessen machten die „Alten“ ihr Kreuz überdurchschnittlich oft bei den jeweils regierenden Volksparteien: In Brandenburg lag die SPD bei der Generation 45-59 noch gleichauf mit der AfD, aber bei den Älteren holte sie 37 Prozent – elf Prozent mehr als ihr Gesamtergebnis. In Sachsen profitierte die CDU ebenfalls vom Wahlverhalten der Rentnergeneration: Satte 43 Prozent holte sie in dieser Wählergruppe – bei einem Gesamtergebnis von 33 Prozent.

Brandenburg:

SPD in Brandenburg
AfD in Brandburg

Sachsen:

CDU in Sachsen
AfD in Sachsen

Wie die „Generation Youtube“ gewinnen?

Die Bedeutung der Rentnergeneration für diese Wahl wird noch augenfälliger, weil zumindest in Deutschland bei Wahlen die Daumenregel gilt: „Je älter, desto aktiver bei Wahlen“. Kurzum: Ohne diese vielen Kreuze bei SPD und CDU würde das Wahlergebnis ganz anders aussehen. Ein Bonmot des legendären Stuttgarter Bürgermeisters Manfred Rommel gehört spätestens nach diesem Sonntag ins Stammbuch der Volksparteien: „Ehret die Alten, bevor sie erkalten“.

Aber die Wahlen bringen für die Volksparteien auch eine bittere Lehre mit sich, was die nachwachsende Wählerbasis betrifft: In beiden Bundesländern war die AfD selbst bei den jüngsten Wählern deutlich stärker als SPD und CDU, und nur in Brandenburg geringfügig übertroffen von den Grünen. Wie man diese „Generation Youtube“ für sich gewinnen kann, darauf fehlt den Dinosauriern der deutschen Politik bislang die Antwort.

Ein Ansatz könnte sein: Schluss mit dem Schubladendenken. Das Narrativ von den Jammer-Ossis, von für immer und ewig verlorenen Wählern einer Nazi-Partei bringt uns nicht weiter, sondern verstellt uns den Blick. Dazu gehört auch das Gerede von der progressiven Jugend, der bei den Wahlen von den Älteren die Zukunft verbaut wird. Zumindest im Osten der Republik, das hat der Wahltag gezeigt, ist diese Hypothese Humbug.

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