Landtagswahl in Niedersachsen - Stephan Weil, der Superstar der SPD?

Wenn Ministerpräsident Stephan Weil am Sonntag bei den Landtagswahlen in Niedersachsen in seinem Amt bestätigt wird, könnte er den Abwärtssog der SPD aufhalten. Doch warum ist der Sozialdemokrat entgegen dem Bundestrend bei den Wählern so beliebt? Ein Erklärungsversuch in fünf Thesen.

Zieht durchs Land und verteilt Wohltaten - und Blumen, wie hier in Göttingen: Stephan Weil / dpa
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Klaus Wallbaum ist Sozialwissenschaftler und Chefredakteur der Zeitschrift Rundblick - Politikjournal für Niedersachsen.

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Stephan Weil, der niedersächsische Ministerpräsident, hat in seiner politischen Laufbahn eigentlich immer Glück gehabt. Der 63-jährige Sozialdemokrat, der so fest mit der Landeshauptstadt Hannover verwurzelt ist wie ein etwas älterer Parteifreund, der Langzeit-Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, steht am Wochenende womöglich vor seinem größten Sieg aller Zeiten. Er könnte es schaffen, trotz scharfen Gegenwinds aus Berlin, trotz der erkennbaren Defizite in der Ampel-Regierung, trotz des Sinkflugs der SPD im Bund, trotz des Gezerres um die Gasumlage und trotz des Vorhandenseins von Gerhard Schröder (noch dazu in Hannover) einen beachtlichen Wahlsieg für die SPD zu erreichen. Er könnte es.
 
Am Sonntag ist Landtagswahl in Niedersachsen, und die Umfragen sehen Weil und die Sozialdemokraten mit 32 Prozent in Führung. Die CDU, bundesweit längst stärkste Partei, käme demnach in Niedersachsen mit einem Abstand von zwei bis fünf Prozentpunkten auf Rang zwei, die Grünen wären auf dem dritten Rang. Weil und die Niedersachsen-SPD lägen damit 15 Prozentpunkte über dem Bundestrend der SPD – und es könnte für Rot-Grün reichen. Und das in einer Situation, in der die Ampel bundesweit ins Schlingern gerät. Das sagen, wohlgemerkt, die Umfragen. Nun hat man bei zurückliegenden Wahlen schon öfters erlebt, wie sich solche Umfragen am Wahlabend in Luft auflösen. Aber falls nicht, dann wäre Stephan Weil am Abend des 9. Oktober 2022 der neue Star der SPD. Dann hätte er das Wunder geschafft, den Abwärtssog seiner Partei aufzuhalten, zumindest in Niedersachsen.

Ein gestärkter Stephan Weil wäre gut für den Kanzler

Nehmen wir mal an, das käme so. In diesem Fall könnte Olaf Scholz durchweg zufrieden sein mit dem Ergebnis. Denn ein gestärkter Stephan Weil wäre für den Kanzler keine Bedrohung seiner Machtposition. Schon 2019, als die SPD nach dem Rücktritt von Andrea Nahles kopflos schien und in ihrer Verzweiflung zum Kandidaten-Casting für den Vorsitz aufrief, lehnte Weil den Sprung an die Spitze der Bundespartei dankend ab. Damals lautete die aus der Staatskanzlei in Hannover verbreitete Botschaft, dass sein Platz in Niedersachsen sei und eben nicht in Berlin. Das dürfte sich nun schon allein deshalb nicht ändern, weil Stephan Weil im Dezember 64 Jahre alt wird, im kommenden Februar sein zehnjähriges Amtsjubiläum als Ministerpräsident von Niedersachsen feiern will und schon angekündigt hat, dass nach der jetzt neu beginnenden fünfjährigen Legislaturperiode des Landtags für ihn mit der aktiven Politik auf jeden Fall Schluss sein wird.

Nicht wenige mutmaßen, dass er während der Wahlperiode das Amt an einen Jüngeren abgeben wird. An wen, das lässt Weil bewusst offen. In seinem Schatten soll in Hannover niemand zu stark oder zu selbstbewusst werden. Chef im Ring, soviel ist für ihn klar, soll niemand anders als er selbst sein. Noch einmal auf Olaf Scholz geblickt: Angesichts dieser Umstände kann sich der Kanzler dann am Sonntag über Weils Sieg, wenn er denn eintreten sollte, vorbehaltlos freuen. Er darf sogar hoffen, daraus eine Kräftigung der Sozialdemokratie schlechthin ableiten zu können. Vielleicht träumt Scholz sogar von einer Art Trendwende, die sich auch als Trendwende für seine Kanzlerschaft entwickeln könnte. Weil als Retter der SPD, als Retter von Scholz.

Weil zieht mit Hilfsversprechen über das Land und verteilt Wohltaten

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, noch ist alles offen. Aber die guten Werte für den Ministerpräsidenten in den Umfragen sind eine Tatsache für sich, sie zeigen mindestens eine gute Ausgangsbasis der Sozialdemokraten für den Wahltag an. Woran aber liegen diese guten Werte? Hier ein paar Thesen als Erklärungsversuch.
 
Lavieren schadet nicht: Stephan Weil hat ein landesväterliches Image. Er tritt eher leise und vermittelnd auf, wägt ab und neigt nicht zu drastischen Formulierungen. Seine Bescheidenheit verschont Freunde wie Gegner vor allzu scharfen Angriffen und Attacken. Ja, kämpfen kann er auch, das hat er im Landtagswahlkampf 2017 bewiesen. Diesmal war das nicht so wie damals möglich, denn der Hauptgegner stand in den eigenen Reihen – es war die Zögerlichkeit der Entscheidungen der Ampel-Koalition in der Energiekrise. Im Wahlkampf zeigte sich Weil in verschiedenen Posen. Einmal versprach er dem Kanzler, wenn der auf Wahlkampftour war, die Niedersachsen-SPD stehe „fest an der Seite von Olaf Scholz“, dann wieder gab er mal versteckte, mal deutlichere Fingerzeige an die Genossen in Berlin, sie sollten bei den Entlastungspaketen nicht zu zögerlich sein. Mal wurde Weil gütig lächelnd als Landesvater auf Plakaten gezeigt, dann wieder ernst blickend als Krisenmanager – begleitet mit den Worten „Verantwortung in schwierigen Zeiten“.

Dieses Hin und Her, mal freundlich und mal ernst, mal solidarisch und mal kritisch zur Bundesregierung, schadet dem Ministerpräsidenten offensichtlich nicht. Es wird ihm nicht als Halbherzigkeit oder Unentschiedenheit angelastet, sondern offenbar als Stärke und Beweis für eine erfolgreich vermittelnde Position. Dass Weils Einfluss in Berlin dann doch nicht so groß sein kann, denn in diesem Fall hätte es ja gar keines öffentlichen Rüffels aus Hannover bedurft, hat dem Ministerpräsidenten erkennbar bisher nicht geschadet.
 
Hilfsversprechen fruchten offenbar: Wenn Stephan Weil gefragt wird, ob in der Zeit der Krise alle den Gürtel enger schnallen müssen, wird er das pauschal immer bejahen. Aber sobald es ums Detail geht, zieht er mit Hilfsversprechen über das Land und verteilt Wohltaten. Er sei „kein Fan der Schuldenbremse“, bemüht sich der SPD-Politiker immer wieder in aktuelle Diskussionen einzuflechten – wohlwissend, dass die Aussichten auf deren Abschaffung schlecht stehen. Aber diese Vorbemerkung dient für ihn als Einleitung zu allerlei Versprechen: Es soll in neue Wohnungen, in die Sanierung von Hochschulen und Krankenhäusern, in neue Verkehrswege und Infrastruktureinrichtungen investiert werden. Es sollen die Lehrergehälter angehoben und die Bedingungen für den Unterricht verbessert werden. Investitionen in die Pflege und das Gesundheitssystem seien auch zwingend. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist kürzlich völlig zu Recht vermerkt worden, dass in Niedersachsen nur selten über den Zwang der Rückzahlung höherer Schulden diskutiert werde. Weil nutzt diese allgemeine Unbeliebtheit des Themas Haushaltskonsolidierung nicht nur für seine Politik, er baut sein Programm darauf sogar auf.

Eine schwarz-grüne Perspektive exisitert in Niedersachsen nicht

In der Krise wollen die Leute Stabilität: Die unbestrittene Popularität von Stephan Weil ist das eine, hierin liegt sicher eine Begründung für die guten SPD-Werte in den Umfragen. Auf der anderen Seite ist schon bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen eine Neigung festzustellen gewesen, die Amtsinhaber als Garanten für Stabilität zu wählen. Schon lange, bevor mit dem russischen Angriff auf die Ukraine eine neue, noch heftigere Krise ausgebrochen war, hatte Weil seine Arbeitshypothese für die Landtagswahl auf dem SPD-Bezirksparteitag in Hannover ausgegeben: „Sicherheit im Wandel“. Das war am 9. Oktober 2021, ein Jahr vor der Landtagswahl. Schon damals war für Weil klar: Er will die Menschen dort abholen, wo sie mit ihren Bedürfnissen und Ängsten zu erreichen sind –  bei der Sehnsucht nach Beständigkeit und Ordnung in Zeiten des Chaos. Und ein Ministerpräsident, der dort schon lange sitzt und für Ruhe und Gelassenheit steht, ist der beste Garant dafür, dass wenigstens in der Politik alles beim Alten bleibt.
 
Der Herausforderer von der CDU ist kein Menschenfischer: Anders als der zugängliche, in seiner Bescheidenheit und Bodenständigkeit sympathisch wirkende Ministerpräsident hatte der Herausforderer von der CDU sichtlich Mühe, sein charakteristisches Profil zu finden. Bernd Althusmann ist ein erfahrener Politiker, war Kultusminister und hat lange Erfahrungen in der Parlamentsarbeit, als Wirtschaftsminister leistete er einen guten Job. Aber die zugespitzte Botschaft fiel ihm schwer. Er kann mitreißend reden – um dann beim nächsten Mal wieder fahrig und unkonzentriert zu wirken. Das Grundproblem, einerseits Teil von Weils Regierung zu sein und andererseits für eine Abkehr von Weils Politik zu werben, konnte er nicht wirklich überzeugend auflösen. Seine Popularitätswerte wuchsen, seine Schlagfertigkeit im TV-Duell mit einem erschöpft aussehenden Weil überraschte Freund wie Feind. Zum Schluss des Wahlkampfes hin wurde Althusmann richtig gut und zupackend. Doch die Aufholjagd in den Umfragen, die auch viele Skeptiker im Unionslager von den Führungsqualitäten Althusmanns überzeugt hätten, zeichnete sich im Wahlkampf bis dahin noch nicht ab. Sollte die CDU am Wahlabend deutlich hinter der SPD bleiben, wäre nicht nur Rot-Grün so gut wie sicher als nächste Regierung. Dann dürfte es auch einen Generationswechsel in der CDU geben, der dann vermutlich drastisch ausfällt.
 
Die Grünen sind in Niedersachsen links: Ein Manko war für Althusmann von Anfang an, dass die schwarz-grüne Perspektive, die eine zentrale Grundlage für eine Ablösung der SPD aus der Regierungsverantwortung wäre, nie wirklich bestanden hat. Phasenweise klangen die Grünen so, als wenn sie dafür offen wären. Auch viele Jüngere in der CDU knüpfen an dieser Stelle an, sie beginnen, Fäden zu den Grünen zu knüpfen. Aber das kommt sehr spät und ist in keiner Form vergleichbar mit den unendlich intensiveren Verbindungen zwischen Sozialdemokraten und Grünen in Niedersachsen. Ein strukturelles Problem kommt hinzu: Der Realo-Flügel, der in anderen Grünen-Landesverbänden für Pragmatismus ebenso steht wie für eine Annäherung an die CDU, ist inzwischen bei den niedersächsischen Grünen hoffnungslos in der Minderheit. Das war vor zehn oder 15 Jahren noch ganz anders. Inzwischen aber haben die Linken das Sagen – und das sind Leute, die es auch in ihren Fan-Gruppen schwer hätten, auf die Christdemokraten zuzugehen. Dieser Zustand hat sogar die niedersächsische FDP so sehr beeindruckt, dass sie inzwischen als Wahlziel eine Beteiligung an Rot-Grün offensiv anpeilt. Sie preist für Hannover ausgerechnet die Ampel an, die in Berlin für so viel Unmut sorgt.

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