Landtagswahl in Hessen und die Folgen - Wie Not und Elend

Nach den desaströsen Ergebnissen der Landtagswahl in Hessen versprechen die Parteien der Großen Koalition Besserung. Doch aus der bundespolitischen Lethargie kann es jetzt nur noch einen Ausweg geben

Opfer der Bundespolitik? Volker Bouffier und Thorsten Schäfer-Gümbel / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Erst Bayern, dann Hessen. Es war die zweite brutale Klatsche, die die Wähler den Parteien der Großen Koalition innerhalb von 14 Tagen verpasst haben. Wieder rauschten die Balken am Wahlabend zweistellig nach unten. Minus 11,3 Prozentpunkte für die CDU, minus 10,9 Prozentpunkte für die SPD. Rumms. Wieder saß der Schock tief. Und wieder waren in den beiden Parteizentralen als Erklärung für das historisch beispiellose Debakel vor allem Durchhalteparolen zu hören. Immerhin leugnete niemand, dass nicht die Landespolitik, sondern die Bundespolitik daran schuld war.

Eines haben die Wähler bei den beiden Landtagswahlen in diesem Herbst unmissverständlich deutlich gemacht: Sie sind frustriert und wütend angesichts des Zustandes der Großen Koalition. Sie sehnen sich in Berlin nach einer Regierung, die regiert, die die Zukunftsfragen der Gesellschaft stellt und auch beantwortet: Migration, Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, Digitalisierung, Klimawandel. Und sie fühlen sich zugleich abgestoßen von drei Regierungsparteien, die sich permanent nur mit sich selbst beschäftigen.

Ein schwacher Trost für die CDU

Wie schon die CSU in Bayern, versucht sich auch die CDU in Hessen über den Absturz mit der Tatsache hinwegtrösten, dass größeres Unheil mit der Last-Minute-Mobilisierung von Anhängern verhindert wurde und der eigenen Spitzenmann Volker Bouffier aller Voraussicht nach Ministerpräsident bleiben kann. Denkbar knapp haben CDU und Grüne ihre Mehrheit im Landtag verteidigt. Dass die Grünen stattdessen zusammen mit SPD und FDP eine Ampelregierung bilden, ist unwahrscheinlich. Bei der SPD hingegen ging der freie Fall am Sonntag weiter. Dass die hessischen Sozialdemokraten im vorläufigen amtlichen Endergebnis sogar noch mit 94 Stimmen hinter den Grünen landeten, macht deren Demütigung perfekt.

Immerhin: Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles war am Abend der Hessenwahl besser vorbereitet als am Abend der Bayernwahl. Statt 87 Sekunden Gestammel eine scheinbar klare Absage: In der SPD müsse sich genauso etwas ändern, wie in der Großen Koalition. Von der Regierung forderte Nahles einen „vernünftigen Arbeitsmodus“ und einen „klaren, verbindlichen Fahrplan“, an dessen Umsetzung sich bis zum Herbst kommenden Jahres, also bis zur innerhalb der SPD verabredeten „Halbzeitbilanz“ entscheiden werde, ob die SPD in der Koalition noch „richtig aufgehoben“ sei. Und auch die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, „so kann es nicht weiter gehen“ und forderte eine „neue Arbeitskultur“ der großen Koalition.

Angst vor dem bundesweiten Absturz

Doch so sehr sich beide Politikerinnen bemühten, das Brodeln in beiden Parteien einzudämmen – hier einen unkontrollierten Aufstand der SPD-Basis gegen die Regierungsbeteiligung und dort eine unkontrollierte Diskussion in der CDU über die Zukunft von Angela Merkel – so waren die Beschwörungsformeln der Parteien nichts als Not und Elend. Von zwei Parteien, die in der Krise aneinander gekettet sind. Denn das einzige, was die Große Koalition nach den beiden Landtagswahlen dieses Herbstes noch zusammenhält, ist die gemeinsame Angst von CDU, CSU und SPD vor Neuwahlen. Denn solche hätten angesichts des aktuellen Zustandes der drei Parteien auch den gemeinsamen Absturz im Bund zur Folge.

Es wird der Großen Koalition kaum gelingen, die Stimmung noch einmal zu wenden, auch wenn sie in dieser Woche noch einmal einen Aufbruch verkündet. Wenn sie nach dem Willen der SPD einen verbindlichen Fahrplan für die Regierungsarbeit der kommenden Monate präsentiert, denn eigentlich gibt es diesen schon: in Form des Koalitionsvertrages. Es wird der Regierung auch nichts nutzen, wenn sie nach dem Willen der CDU drei Regierungsprojekten zu besonderer Priorität verhilft. Denn auch das könnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein politischer Aufbruch nicht in Sicht ist, dass diese Regierung am Ende ist. Sie hat sich politisch aufgerieben, personell ausgelaugt. Die Orientierungslosigkeit in den ehemaligen Volksparteien ist groß, der innerparteiliche Druck gewaltig. Tief hat sich die Krise seit der Bundestagswahl in sie hineingefressen und an der Spitze stehen drei angeschlagene Parteivorsitzende, deren Autoritätsverlust mit Händen zu greifen ist.

Rückzug und Nachfolgeregelungen

Es wird in der SPD weiter über den Ausstieg aus der Großen Koalition diskutiert werden. Wenn es Parteichefin Andrea Nahles gelänge, eine Panikreaktion der Basis und die Implosion der Partei zu verhindern und die Sozialdemokraten geordnet aus der Großen Koalition zurückzuziehen, dann hätte sie viel erreicht.

In der CDU wird seit Sonntag nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, sondern offen über die Merkel-Nachfolge diskutiert und zwar sowohl an der Parteispitze als auch im Kanzleramt. Die Diskussion wird in den Wochen bis zum CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg an Fahrt gewinnen.

In der CSU schließlich wird weiter am Stuhl von Horst Seehofer gesägt werden, denn zu viele Christsoziale haben mit dem Parteivorsitzenden und Bundesinnenminister noch eine Rechnung offen.

Solange die drei Regierungsparteien sich personell nicht erneuern und solange sie nicht neue politische Ideen präsentieren, wird der Druck in ihnen weiter wachsen. Und wenn sie nicht mehr die Kraft aufbringen, diese Veränderung von oben einzuleiten, dann wird sich dieser Druck irgendwann in den kommenden Wochen oder Monaten in den Parteien und auch in der Wählerschaft unkontrolliert entladen.

Man nennt es Demokratie

Solange CDU, CSU und SPD in der Großen Koalition aneinandergekettet sind, werden sie diese Kraft kaum aufbringen. Aus der bundespolitischen Lethargie gibt es deshalb nur den einen Ausweg: baldige Neuwahlen. Mit neuem politischem Personal, neuen programmatischen Ideen und politischem Streit über die Zukunftsfragen dieses Landes, sowie mit einem Wahlkampf, in dem deutlich wird, worin sich das Angebot der Parteien unterscheidet. Und wenn bei Neuwahlen andere Parteien zulegen, wenn die Grünen als neue bürgerliche Partei reüssieren und die AfD die Protestwähler am rechten Rand mobilisiert, dann ist das eben so. Man nennt es auch Demokratie.

Wenn CDU, CSU und CDU hingegen aus Angst vor dem Wähler noch drei Jahre weiter machen wie bisher, wenn sie aus dem Zustand der Bundesregierung und dem Frust und der Wut der Wähler keine Konsequenzen ziehen, dann hingegen könnte sich die Krise der ehemaligen Volksparteien zur Krise der Demokratie ausweiten. Mit unkalkulierbaren Folgen.

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