Kritik an Wahlrechtsreform - Gysi plötzlich Seit’ an Seit’ mit Söder

Nach dem Wahlrechtsvorschlag der Ampel soll die Grundmandatsklausel gestrichen werden. Mit weitreichenden Folgen für insbesondere die Linke und die CSU. Das verspricht eine interessante Premiere zu werden: Zwei gänzlich Ungleiche gegen den Rest der Welt.

Linken-Politiker Gregor Gysi / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Es war im November 2021, kurz nach der für die Linkspartei mit 4,9 Prozent Zweitstimmen beinahe katastrophal ausgegangenen Bundestagswahl. Doch dank dreier Direktmandate profitierte die Partei – wie schon 1994 noch unter dem Namen PDS – von der Grundmandatsklausel. Die besagt, dass eine Partei mit drei Direktmandaten nicht mindestens 5,0 Prozent der Zweitstimmen erhalten muss, um in den Bundestag einzuziehen. Vielmehr wird sie auch mit weniger als 5 Prozent an der Sitzverteilung beteiligt. 

Die drei Direktmandate hatten Gregor Gysi im Wahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick, Gesine Lötzsch in Berlin-Lichtenberg und Sören Pellmann in Leipzig II errungen. Diese drei Wahlkreissieger bescherten ihrer Partei zusätzlich 36 Listenmandate. Folglich blieb die Linke in Fraktionsstärke im Parlament. 

Nach dem Muster der Linken

Kurz nach der Wahl beklagte Gysi auf einer Diskussionsveranstaltung in Berlin das schlechte Abschneiden seiner Partei. Zugleich outete er sich als Anhänger der Grundmandatsklausel. Die war unter Wahlrechtsexperten schon immer umstritten. Gysi machte sich – damals – indes keine Sorgen, dass diese abgeschafft werden könnte. Dabei bekannte er, dass er hier ganz auf die CSU baue.

Die hatte es am 26. September 2021 – umgerechnet auf den Bund – gerade noch auf 5,2 Prozent gebracht. 0,3 Prozentpunkte weniger und die Partei von Markus Söder wäre nach dem Muster der Linken nur dank ihrer Direktmandate in den Bundestag gekommen. Direktmandate hatte die CSU freilich im Übermaß. Sie gewann 45 der 46 bayerischen Wahlkreise. 
 

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Gysi meinte damals, die Grundmandatsklausel könnte eines Tages sogar zum Rettungsanker für die CSU werden, nicht nur für die Linke. Der Altstar der Linken begründete das so: Er rechne mit einem weiteren Schrumpfen der Volksparteien. Deshalb werde die CSU ihre hohen Stimmanteile in Bayern nicht behaupten können. Folglich werde sie mit einem Bundesergebnis unter 5,0 Prozent ebenso wie die Linke auf die Grundmandatsklausel angewiesen sein. Deshalb war Gysi in Bezug auf diese Vorschrift des Wahlrechts recht optimistisch. Da auch die CSU – wenn auch unausgesprochen – größtes Interesse an der Grundmandatsklausel habe, werde die auch erhalten bleiben.

Wie man sich doch täuschen kann. Nach dem Wahlrechtsvorschlag der Ampel soll die Grundmandatsklausel nämlich gestrichen werden. Danach bliebe allen Wahlkreissiegern der Einzug in den Bundestag verwehrt, deren Partei die 5-Prozent-Hürde nicht schafft. 2021 wäre nach dieser Regel nicht einmal Gregor Gysi in den Bundestag zurückgekehrt. 2025 könnte das dann sogar 40 oder mehr Wahlkreisgewinnern der CSU drohen

Rettung aus den bayerischen Bergen

CSU-Übervater Franz Josef Strauß hatte einst behauptet, in großer Not komme die Rettung aus den bayerischen Bergen. Das wird am Freitag bei der Abstimmung über das neue Wahlgesetz nicht der Fall sein. Da werden CDU/CSU und Linke von der seltsamen Allianz aus SPD, Grünen, FDP und AfD überstimmt werden. Doch hat die Linke bereits angekündigt, wegen der Ampel-Reform nach Karlsruhe zu ziehen; die CDU/CSU will das ebenfalls tun. 

Das verspricht eine interessante Premiere zu werden: Die Linke mit CSU und CDU „gegen den Rest der Welt“ – nicht gerade Seit‘ an Seit‘, aber doch inhaltlich auf derselben Linie. Wie heißt es doch bei Shakespare? „Misery acquaints a man with strange bed-fellows“ – Im Unglück macht man mit fremden Bettgesellen Bekanntschaft. Gilt auch für Gysi und Söder. 
 

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