CDU und Konservatismus - Totgesagte leben länger

Der Aufstieg Angela Merkels in der CDU resultiert nicht aus einer Krise des politischen Konservatismus. Er ist die Konsequenz der Bildung eines neuen Establishments, das sich immer weiter vom Bürger entfernt. Eine Antwort auf Matthias Heitmann

Angela Merkel und Armin Laschet: alles dem eigenen Machterhalt untergeordnet / picture alliance
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Dr. Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Schriftsteller und Historiker, verfasste historische Sachbücher, Biographien und Essays, sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.

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Die Vorstellung, dass der Aufstieg Angela Merkels eine Folge der Krise des politischen Konservatismus ist, versucht die inhaltliche Entkernung der CDU zu erklären und läuft deshalb in die Irre, weil der Blickwinkel zu eng gewählt wurde. In der Darstellung des von mir geschätzten Matthias Heitmann wird die CDU auf einen konservativen Markenkern reduziert. In Wahrheit finden sich aber in der CDU unterschiedliche Strömungen und Richtungen, die ebenfalls an Einfluss verloren haben, beispielsweise der Arbeitnehmerflügel, beispielsweise die Mittelstandsvereinigung und selbst die christlichen Liberalen geraten immer stärker unter Druck, weil die CDU zu einer politischen Amöbe zu werden droht. 

Die CDU wird zu einer linken Partei

Niemand weiß mehr so recht, wofür die CDU eigentlich steht. Der stellvertretende Parteivorsitzende Armin Laschet hat unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung festgestellt: „Das Ziel der CDU kann nicht sein, alles, auch programmatisch, zu sammeln, das rechts von der politischen Linken ist.“ Rechts von der politischen Linken ist aber, wenn das Rechts-Links-Schema noch zutrifft, nichts anderes als die politische Mitte. Der Journalist Robin Alexander schreibt in der Welt: „Merkel begreift die Positionierung der CDU als Partei der Mitte hingegen als ihr Erbe: Sie will weit ins linke Spektrum ausgreifen." Der Widerspruch, den Alexander ungewollt formuliert, besteht darin, dass die CDU Partei der Mitte sein und zugleich weit ins linke Spektrum ausgreifen will, wodurch sie zu einer linken Partei wird, wie es auch aus Laschets Statement herausklingt. 

Das Problem der CDU besteht nicht in einem Rechtsruck, sondern darin, dass sich große Teile der Eliten – nicht der Bevölkerung – nach links bewegt haben. Jede Analyse der gegenwärtigen Situation verläuft sich, wenn sie bei der Krise des Konservativen ansetzt, und nicht den Blick richtet auf den Sieg der 68iger, deren langer Marsch durch die Institutionen ungemein erfolgreich war. Sie haben die Deutungshoheit über die Gesellschaft erobert und dominieren über die nachfolgenden Generationen, die ihrer Erziehung teilhaftig geworden sind, die Debatten.

Der Rechtsruck ist eine Schimäre

Wenn sich Armin Laschet und andere in der CDU dem „Rechtsruck“ entgegenstellen wollen, so muss man in diesem Zusammenhang sehen, dass der sogenannte Rechtsruck insofern eine Schimäre ist, weil es nicht darum geht, die CDU an den rechten Rand zu drücken, sondern sich dem Linksruck entgegenzustellen, für den Laschet steht. Seit Jahren erleben wir, dass die Achse der Gesellschaft immer weiter nach links verschoben wird und jeder Widerstand dagegen als Regression oder Rechtsruck denunziert wird. Das alles ist für die Mehrheit der Bürger nicht weiter von Belang. Diese Entwicklung nehmen sie nur, wenn überhaupt, als ewigen Streit der Intellektuellen wahr.

Doch wenn sich einschneidende Konsequenzen für das Leben der Bürger ergeben wie durch die Flüchtlingskrise, die eben nicht vorbei ist, sondern erst jetzt mit der Ankunft der Zuwanderer im Alltag eigentlich erst beginnt, dann gewinnen alle diese Auseinandersetzungen eine neue Brisanz, weil sie immer mehr Menschen erreichen. Es geht also nicht um das Konservative, sondern darum, ob die CDU auf eine von ihr mitverschuldeten Situation Antworten hat.

Immer weiter vom Bürger entfernt

Matthias Heitmann übersieht mit seiner Fixierung auf das Konservative, dass die CDU mit dem gleichen Problem wie die SPD kämpft, das darin besteht, dass sie nicht mehr weiß, für wen sie Politik macht, wessen Interessen sie vertritt. Der Vizevorsitzende der CDU behauptet im Interview, dass die SPD „gerade deshalb in der Krise ist, weil sie glaubt, dass ihre Gremien- und Funktionärsmentalität ihre Wähler widerspiegelt.“ Doch sitzt Laschet mit dieser Einschätzung im Glashaus. Denn auf die Bemerkung, dass die Mehrheit der CDU-Mitglieder sich rechts von der Partei verorten, hat er nur ein Achselzucken übrig, denn eine Volkspartei müsse sich entscheiden, ob sie sich selbst oder „die Gesellschaft und ihre Wähler“ repräsentiere.

Und genau hier liegt das Problem der CDU: Machterhalt um jeden Preis. Denn erstens kann eine Volkspartei nicht die ganze Gesellschaft „repräsentieren“, dann würden wir nur noch eine Einheitspartei benötigen. Und zweitens repräsentiert eine Partei nicht ihre Wähler, sondern sie wird von Bürgern gewählt, weil sie bestimmte Antworten auf die Frage gibt, wie sich die Gesellschaft entwickeln soll. Und drittens werden die Wähler von Abgeordneten und nicht von Parteien repräsentiert.

Der Aufstieg Angela Merkels in der CDU resultiert nicht aus einer Krise des politischen Konservatismus, sondern ist Konsequenz der Bildung eines neuen Establishments, das sich immer weiter vom Bürger entfernt. Verkürzt gesagt verbindet Angela Merkel mit Katrin Göring-Eckhart mehr, als beide mit ihren Wählern und sogar mit ihren Parteimitgliedern. Heitmann konstatiert eine „zurückgehende Anziehungskraft der Parteiendemokratie“. So weit würde ich nicht gehen. Richtig ist, dass wir eine Arteriosklerose des politischen Systems verzeichnen, was Dynamik und Durchlässigkeit betrifft, wie sie Heiner Flassbeck exzellent beschrieben hat. Es ist die Abhängigkeit der Mandatsträger von ihren Parteien und der hohe Konformitätsdruck, der besonders in dem „Kanzlerwahlverein“ CDU herrscht. Diese beiden Momente hat sich Angela Merkel geschickt zu Nutze gemacht und in einer existentiellen Krise der CDU kühn und mit Fortune agiert. 

Eine neue Form des Bonapartismus

Wenn man sich soweit vom Wähler entfernt hat, dann wird verständlich, weshalb „die Hinwendung der Eliten zu einer dem Wählerzugriff weitgehend entzogenen neuen Ebene politischen Agierens: der Europäischen Union“ so konsequent erfolgt, wie Heitmann sie zu Recht diagnostiziert. Es scheint, dass sich in den Volksparteien eine besondere Form des Bonapartismus breitgemacht hat. In der SPD wehrt man sich dagegen. In der CDU kehrt man das unter dem berühmten Teppich. Die Parteispitze der CDU scheint sich nicht mehr für ihre verschiedenen Flügel zu interessieren. Das trifft das Konservative scheinbar am härtesten, doch im Grunde alle. Sie hat alles dem eigenen Machterhalt untergeordnet. Man wird sich stärker um die CDU sorgen müssen, denn die Vermeidung der Auseinandersetzung, wie man sie in der SPD erlebt, könnte eines Tages zur Implosion führen.

Es wäre dies der Tag, an dem zum Erstaunen auch von Matthias Heitmann der politische Konservatismus neues Leben und neue Kraft gewinnt, allein deshalb weil Bürger dieses Landes ihre Lebensverhältnisse geschützt wissen möchten und Eltern nicht befürchten wollen, dass es ihren Kindern einmal schlechter gehen wird als ihnen. Mit diesem Konservativismus wird die CDU immer stärker rechnen müssen. Hat er vielleicht nicht durch seine Krise den Aufstieg von Angela Merkel ermöglicht, so könnte er vielleicht ihren Sturz verursachen, weil er an praktischer Bedeutung gewinnt.

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