500 Intellektuelle - Das falsche Zeichen

In unserer Februar-Ausgabe, die am Donnerstag, dem 27. Januar, erscheint, veröffentlichen wir zum siebten Mal die Liste der 500 einflussreichsten Intellektuellen des Landes. Auf Platz 91: die Soziologin und Publizistin Necla Kelek. Am 11. Oktober 2021 schrieb sie auf „Cicero Online“ über die Entscheidung der Kölner Stadtverwaltung, in 35 Moscheen den Muezzin-Ruf zum Freitagsgebet zuzulassen. Ein fatales Signal, fand Kelek.

Henriette Reker (M), Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, sitzt am Tag der offenen Moschee in der Ditib-Zentralmoschee / dpa
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Autoreninfo

Necla Kelek, 1957 in Istanbul geboren, kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Die promovierte Sozialwissenschaftlerin ist Autorin zahlreicher Bücher zum Islam und Vorstandsfrau von Terre des Femmes

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Auf Wunsch der islamischen Verbände wie dem von der türkischen Regierung angeleiteten Moscheebetreiber Ditib, der islamistischen Milli Görüs oder dem die Muslimbrüder vertretenden Zentralrat der Muslime, hat die Kölner Stadtverwaltung zugestimmt, dass ab sofort in den 35 Moscheen in Köln an jedem Freitag per Lautsprecher mit folgendem Ruf zum Gebet gerufen werden darf: „Allahu Akbar / Allah ist groß! Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt. Ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Allahs ist. Auf zum Gebet! Auf zum Heil! Allahu Akbar, Allahu Akbar.“

Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker hält den Modellversuch für „ein Zeichen des Respekts“ vor „berechtigten religiösen Interessen“ der Muslime. Für mich nimmt Frau Reker damit einseitig Partei für einen politischen Islam.

Gebetsruf durch Extremisten diskreditiert

Der Gebetsruf ist nicht wie das Glockengeläut der Kirchen eine vertonte Erinnerung an einen stattfindenden Gottesdienst, sondern ein Glaubensbekenntnis und ein Statement des politischen Islam, der in den vergangenen Jahren in vielfacher Weise leider auch missbraucht wurde. Der Ruf „Allahu Akbar“ ist nicht nur ein Ruf zum Gebet, sondern ist auch durch islamistische Terroristen zum Schlachtruf des Dschihad geworden. Auch die Taliban haben mit „Allahu Akbar“-Rufen gerade Afghanistan erobert.

Wenn heute jemand auf der Straße, einem Bahnhof oder vor einem Fußballstadion „Allahu Akbar“ ruft, zucken die Menschen zusammen, fühlen sich bedroht und fürchten Bombenterror oder eine Messerattacke. Somit scheint der Gebetsruf durch extremistische Muslime selbst diskreditiert und auch zum symbolischen Ruf des Terrors geworden zu sein. Die muslimischen Verbände selbst unternehmen nichts gegen diesen Missbrauch, so wie sie nichts gegen „Extremisten/Terroristen“ aus den eigenen Reihen tun, oder Stillschweigen darüber herrscht.

Gelehrte sind gefordert

Vielleicht sollten die Islamgelehrten in die eigene Geschichte zurückgehen und überlegen, ob sie den Gebetsruf nicht modernisieren sollten und wie zu Zeiten Mohammeds überlegen, ob es nicht angemessener wäre, mit Widderhorn oder Schlaghölzern zum Gebet zu rufen. Die Gelehrten sind aufgerufen, friedliche Mittel der Darstellung ihrer Religion in einer lebendigen, offenen Gesellschaft zu finden. Sie sind herausgefordert, ihre Moscheen und Gemeinden von innen her zu reformieren. Wir sollten sie dabei bestärken, und nicht, wie gerade in Köln geschehen, ihre Politik bestätigen.

Dass die Kölner Oberbürgermeisterin das per Lautsprecher verkündete Glaubensbekenntnis als Zeichen für „das friedliche Zusammenleben“ sieht, verunsichert vor allem die Menschen muslimischen Glaubens, die ihren Glauben als Privatsache ansehen und sich gegen Instrumentalisierung ihrer Religion wehren. Hat Frau Reker die vielen Tausend säkularen Kölner Musliminnen und Muslime gefragt, ob sie das wollen, oder waren nur die türkischen Religionsattachés ihre Gesprächspartner? Haben Verbände wie die Ditib Respekt vor demokratischen Institutionen gezeigt? Ich vermute nicht. Erinnert sei an die Eröffnung der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld durch den türkischen Staatspräsidenten Erdogan, zu dem noch nicht einmal der damalige Oberbürgermeister Schramma eingeladen war.

Frauen werden nicht zum Gebet gerufen

Und vor allem, wen ruft der Muezzin zum Gebet? Die Männer. Die muslimische Gemeinschaft ist eine in Männer und Frauen geteilte Gesellschaft. Frauen werden nicht zum Gebet gerufen. Sie können, wenn sie denn unbedingt wollen, in separaten Nebenräumen, auf dem Balkon beten, sodass die Männer sie nicht sehen und von ihnen gestört werden.

Und wo bleibt der Respekt der Oberbürgermeisterin vor der Freiheit, vor Religion geschützt zu werden? Was sagt sie zu den Argumenten von Mina Ahadi, die vor den Mullahs aus dem Iran flüchten musste, und sich wie viele andere Geflüchtete durch den Muezzin-Ruf traumatisiert fühlt? Mina Ahadi schreibt am 9. Oktober in einem offenen Brief an Frau Reker: „Wir – Männer und Frauen aus islamischen Ländern – sind nach Deutschland geflohen und haben hier Schutz vor religiöser Verfolgung gefunden. Nicht wenige von uns haben in ihren Herkunftsländern öffentliche Hinrichtungen Andersdenkender erlebt, während der islamische Gebetsruf erschallte…“.

Archaisches Weltbild

Ich hoffe inständig, dass Frau Reker unseren Ruf hört! Sie sagt Vielfalt, schreibt Gendersternchen vor und sieht zu, wie in den Moscheen, den „Männerhäusern“, ein archaisches Weltbild gelebt wird. Sie beschwört eine Vielfalt, die in der Realität, besonders in den Moscheen, weder gelebt noch erwünscht ist. Damit nimmt sie die Ängste und Freiheitswünsche ihrer Stadtbevölkerung leider nicht wahr.

Und ist damit auch nicht alleine. Sie steht in einer Gebetsreihe mit den ersten Vertretern der bundesdeutschen Islampolitik – etwa neben unserer noch amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, die seit Jahren Islamismus aus ihrer Wahrnehmung ausgeblendet hat, an rechte Gefahr erinnert, aber noch nicht einmal den Opfern des islamistischen Terrors angemessen kondoliert, oder Innenminister Horst Seehofer, der sich in der als Debattenforum gegründeten Deutschen Islamkonferenz von säkularen Stimmen getrennt hat, und die Konferenz zu einer Subventionsverteilungsplattform für legalistische Islamisten gemacht hat. Aber auch SPD und Grüne halten immer noch an Staatsverträgen wie etwa mit der Schura und dem Islamischen Zentrum in Hamburg fest, statt eine Debatte zu Reformen von Menschenrechten für Mädchen und Frauen zu führen.

Deutsche Politiker unterwerfen sich den Islamverbänden

Mit Bedauern stelle ich fest, dass deutsche Politiker Symbolpolitik in Sachen Islam betreiben. Sie unterwerfen sich immer wieder den politischen Forderungen der Islamverbände in der Hoffnung, sie zu befrieden, um sie als demokratische Partner zu gewinnen. Aber noch nie war es so wichtig, auf inhaltliche Auseinandersetzung zu setzen, damit Reformen, die dringend für unser friedliches Miteinander nötig sind, auch gelingen. Es ist an der Zeit, die säkularen Kräfte in der islamischen Gemeinschaft zu stärken.

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