Koalitionsvertrag - Wie Zimt und Zucker

Wird die Große Koalition wie aus Zimt und Zucker sein? Ein Sahnehäubchen ist zumindest das gleichnamige Café an der Spree. Hier ist für jeden etwas dabei, genau wie bei der Groko. Von Sabine Bergk

Sie sind zimtig, sie sind zuckrig: Franzbrötchen gleichen dem Koalitionsvertrag / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Am Schiffbauerdamm, kurz vor der Spreebiegung zum Kanzleramt, steht das schönste Kaffeehaus der Gegend: „Zimt und Zucker“. Politiker, Journalisten, Theatermacher und Touristen mischen sich hier täglich. Das Mobiliar ist alt, die Wände sprechen Bände, die Atmosphäre ist herzlich, offen und sonnig – ganz untypisch für Berlin. Auf der Speisekarte stehen fast nur Leckereien. Im „Zimt und Zucker“ ist für jeden etwas dabei und alles ist einfach ungeheuer ansprechend und lecker.

Kein Wunder, hier befindet man sich an der Sonnenseite der Spree und zu der guten Speisekarte fügt sich eine weltoffene Atmosphäre. Nirgendwo kommt man besser mit seinem Tischnachbarn ins Gespräch als im „Zimt und Zucker“. Das freundliche Gespräch, das in Berlin sonst so schwer zu finden ist, scheint hier im Raum wie ein Dampfer verankert zu sein. In menschlich warmer Atmosphäre schmeckt es einem doppelt so gut. 

Sorgen fallen lassen im „Zimt und Zucker“

Für mich ist das „Zimt und Zucker“ legendär. Der tutende Spreedampfer vor der Tür, die pariserische Atmosphäre der genieteten Friedrichstraßenbrücke, die kleinen Holzstühle und das rote Plüschsofa, auf dem man sich wie bei Janosch zu Hause fühlen kann. Wer sich in Berlin nicht verankert fühlt, dem geht es hier gut. Hier kann man alle Sorgen fallen lassen.

Am Tag der Einigung auf einen Koalitionsvertrag ging ich instinktiv ins „Zimt und Zucker“. Mit der Aussicht auf ein Käsecrêpe mit Salatbeilage, aus dem schließlich doch, dem Sonnenschein geschuldet – ähnlich wie so manche Verhandlung zu veränderten Ergebnissen geführt hat – im Endergebnis ein mit Erdbeeren und Mandelsplittern garnierter Apfelstrudel mit Vanilleeis wurde. Es war ein gleißender Tag, Berlin zeigte sich von der besten Seite. Unter der S-Bahn-Brücke keiften sich Kleidersammler an und kämpften um ihre Tagesbeute. Über dem Stromkasten, direkt an der Brücke, hing eine verlassene Barbourjacke. 

Groko wie Zimt und Zucker: für jeden was dabei

Ein heller Tag, mit der speziellen Berliner Vielfalt, die man gesehen und erlebt haben muss, da man sie sich ansonsten kaum vorstellen kann. In den Vasen auf den Kaffeehaustischen steckten blaue Disteln und Kirschblütenzweige, als hätte sich das Kratzige mit dem Dekorativen zusammengetan und fände im Glashals der schmalen Vase zu einer zeitbefristeten Einheit. 

Liest man den Koalitionsvertrag, geht es einem ähnlich wie im „Zimt und Zucker“. Ein allgemeines Wohlsein breitet sich aus. Für jeden ist etwas dabei. Ein paar Disteln stehen auch auf dem Tisch. Ansonsten klingt das, was die Parteien schwerfällig ausgehandelt haben, nach unbegrenzten Möglichkeiten und Mitteln. Friede, Sicherheit, Wohlstand, Innovation und ein gemeinschaftliches Miteinander werden beschworen. Es ist, als wollte man sich an dem Sonnenschein des Einigungstages festhalten und die dahinter brodelnde Gefahr nicht sehen. Den Auftakt bildet eine kräftig gebackene Brüssler Waffel, ganz klar die Handschrift von Martin Schulz. Anschließend werden so viele gute Speisen aufgetischt, dass man denken könnte, die Koalitionsverhandlungen hätten im Kaffeehaus stattgefunden

„Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene – ins Kaffeehaus!“ Das Zitat des österreichischen Dichters Peter Altenberg könnte nicht nur die Speisekarte, sondern auch die Präambel des Koalitionsvertrages zieren. „Du hast 400 Kronen Gehalt und gibst 500 aus – Kaffeehaus!“ Der Wohlstand feiert sich noch einmal kräftig selbst. Ob uns diese sonnige Vielfalt erhalten bleibt, werden wir Anfang März sehen. In grenzenloser Freundlichkeit haben auch die destruktiven Kräfte freies Spiel. Ob es der Regierung gelingt, die eigenen Reihen zu überleben, bleibt eine Zitterpartie. Das „Zimt und Zucker“ hingegen wird eine Instanz an der Spree bleiben. 

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