Klage gegen Abgeordnetenhauswahl - „Dit is nämlich nich Berlin, dit is die Berliner SPD“

In Berlin wird das Wahlergebnis in einigen Wahlkreisen vom Landesverfassungsgerichtshof überprüft. Und die Satirepartei Die Partei hat bereits eine Anfechtungsklage angekündigt. Ihr Vorsitzender, der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn, fordert im Interview, die Stadt unter Zwangsverwaltung zu stellen. Natürlich unter seiner Führung.

Martin Sonneborn vor dem Reichstaggebäude / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Martin Sonneborn ist Satiriker, Journalist und Politiker. Bei der Europawahl 2014 wurde er als Spitzenkandidat der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die Partei), deren Bundesvorsitzender er ist, zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt; 2019 zog er erneut ins Parlament ein.

Herr Sonneborn, Die Partei hat angekündigt, das heute verkündete vorläufige Endergebnis der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen anzufechten. Sind Sie ein schlechter Verlierer? Ihre angestrebte Machtübernahme in der deutschen Hauptstadt würde ja wohl auch eine Neuwahl nicht ermöglichen.

Eine unblutige Machtübernahme durch Die Partei funktioniert nur, wenn die demokratischen Spielregeln eingehalten werden. Das wurden sie aber bei dieser Wahl definitiv nicht. Wir erhalten auf unserer Seite chaoswahl.berlin Berichte über Unregelmäßigkeiten in einem Ausmaß, das mit demokratischen Standards nur schwer übereinzubringen ist: fehlende Stimmzettel, zu wenig Wahlkabinen, zum Teil zweistündige Wartezeiten, abgewiesene Wähler, falsche Stimmzettel, die sofort nach der Abgabe ungültig wurden, Stimmabgabe am späten Abend, Stunden nach Veröffentlichung erster Hochrechnungen, ein Scheiß-Marathon an dem Tag, Bezirke mit Wahlbeteiligung von bis zu 159 Prozent, eine auffällig hohe Zahl ungültiger Stimmzettel in 99 Wahlbezirken, 16-jährige Wähler, die Wahlzettel für die Bundestagswahlen erhielten – die Berichte sind ebenso unterhaltsam wie schockierend.

Martin Sonneborn / dpa

Dass bei dieser Wahl so einiges schiefgelaufen ist, bestreitet niemand. Woran hat das denn nach Ihrer Einschätzung gelegen? War es das Berlin-typische, allgegenwärtige Verwaltungsversagen oder wittern Sie gar finstere Machenschaften, um einen Erfolg von Die Partei zu verhindern?

Die typische Berliner Verwaltungsträgheit hat sicher eine Rolle gespielt. Und der brillante Plan von Innensenator Geisel, gleichzeitig einen Marathon, Wahlen und eine Volksabstimmung abzuhalten. Schaut man etwas genauer hin, stößt man schnell auf eine SPD-„Affäre“, in der die Landeswahlleiterin unter schmierigen Bedingungen an den Landesrechnungshof abgeschoben wurde. Ich weiß nicht, ob man von dort aus vernünftig eine Wahl leiten kann. Hier kommt einem die ganze Provinzialität, Verwaltungsinkompetenz und Vetternwirtschaft der Berliner SPD entgegen. Und natürlich eine geballte Ladung Filz, Mief und Postengeschacher. Dit is nämlich nich Berlin, dit is die Berliner SPD.

Diese Stadt ist mit dem bisherigen politischen Personal offensichtlich nicht regierbar. Wäre es nicht höchste Zeit, über eine Zwangsverwaltung nachzudenken? Durch den Bund, die EU, die OSZE, die UN oder wen auch immer?

Wir denken eher über eine Zwangsverwaltung durch Die Partei nach. Mit Hilfe gutwilliger Kollaborateure aus den Reihen von Linken und Grünen. Dürfte lustig werden.

Falls es tatsächlich zu Neuwahlen kommen sollte, müssten diese intensiv überwacht werden. Könnte man nicht russische Wahlbeobachter dazu einladen?

Am 26. September gab es vier Wahlbeobachter der OSZE in Deutschland. Das waren offenbar zu wenig. Bei der nächsten Wahl sollten die einen Kollegen mehr schicken.

Regierender Bürgermeister oder Bundeskanzler werden Sie in absehbarer Zeit ja nicht. Werden wir Sie also noch viele Jahre im EU-Parlament erleben oder peilen Sie einen weiteren Karriereschritt an, etwa Bundespräsident?

Ich werde dem EU-Parlament noch etwas erhalten bleiben. Ist ja sonst niemand dort, der die Selbstbelobigungen der EU-Führung ein bisschen konterkariert.

Die Fragen stellte Rainer Balcerowiak.

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