Kirchen und Covid - Immanuel oder Impfstraße

Für die christlichen Kirchen heißt Nächstenliebe in diesem Jahr, auch die Weihnachtsgottesdienste unter 2G-Regeln abzuhalten und einen Teil der Gläubigen damit auszuschließen. Ganz zeitgeistgemäß vermittelt sich das Gemeinschaftsgefühl dann über Impfaktionen - unter anderem im Kölner Dom.

Impfen als Gottesdienst, hier in der „Wunderblutkirche“ St. Nikolai in Prignitz / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Der Stern ist geläutert. Die Weisen können heimwärts ziehen. Dabei war im letzten Jahr noch Grund zur Hoffnung: „Impfen. Ein Akt der Nächstenliebe“ lautete damals die Titelzeile über der Ausgabe 53/2020 des traditionsreichen Wochenmagazins aus dem Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr. Zu sehen waren eine anmutige Maria, zudem Josef und das Christuskind sowie die drei Weisen aus dem Morgenland. Im Gepäck hatten die vor einem Jahr aber nicht einfach nur Gold, Weihrauch und Myrrhe, wie ehedem noch im elften Vers der Weihnachtsgeschichte nach Matthäus; ihre Gabe bestand vielmehr aus einem schlichten Fläschchen Cominarty – jenem Impfstoff also, mit dem Pfizer/Biontech ab Dezember 2020 die Welt beglücken wollten, um zu Jüngern zu machen alle Völker, die am Covid-19-Virus wohl längst verzweifelt waren.

Gerade mal ein Jahr ist seitdem vergangen. Der Stern aber ist in dieser Zeit untergegangen – der aus Bethlehem ohnehin, aber der über der Hamburger Sternschanze wohl irgendwie auch. „Was gibt uns jetzt noch Halt?“, lautete jüngst die verzweifelte Headline über dem Vorweihnachtstitel des Magazins, auf dessen Cover eine Sixtinische Madonna nebst lockigem Knaben in die Einsamkeit unserer Herzen schaute. Und daneben war nichts. Rein gar nichts. Niente. Kein Impffläschchen, keine Spritze, nicht mal eine letzte Ampulle Janssen von Johnson & Johnson. Eben einfach nur Leere. Wie damals bei Jesus in der Wüste.

Frohe Botschaft beim Drogisten

Dieses Nichts aber muss man aushalten können. Dann kann es einen am Ende verwandeln. Hatte nicht schon Martin Luther einst geschrieben, dass Gott nicht mehr als eine leere Tafel sei, auf der „nichts weiter steht, als was du selbst darauf geschrieben“? Mit dem Stern ist es vielleicht ganz ähnlich. Und mit der Erlösung sowieso: Aus der unendlichen Nichtigkeit unseres Daseins werden wir zu den Sternen berufen – per aspera ad astra.

Während sich das mystische Geheimnis unserer Existenz also selbst unter säkularen Kräften allmählich herumspricht, sind es in diesem Jahr ausgerechnet die Bischöfe und Pfarrer, ja selbst die neue EKD-Ratsvorsitzende Anette Kurschus, die die Frohe Botschaft eher beim Drogisten denn in der Inkarnation des Göttlichen im infektiösen Fleisch unseres nackten Daseins vermuten. „Alle, die in diesem Jahr zu Weihnachten einen Gottesdienst feiern wollen, werden dazu die Gelegenheit haben“, so verkündete Kurschus jüngst das Evangelium in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. Nur um dann einschränkend hinzuzufügen, dass sie in ihrer westfälische Landeskirche die 2G-Regel empfehlen und die Impfzertifikate prüfen lassen werde.

Ausschluss vom Tisch des Herrn

Kommet also her zu mir fast alle, die ihr mühselig und beladen seid. Und weil Pfarrerin Kurschus natürlich um die eigentümlich unchristliche Exklusion – oder heißt es in diesem Zusammenhang bereits Exkommunikation? –  geahnt haben wird, hat sie noch eine kleine Inkunabel beigefügt: „Wer darauf pocht, es sollten doch alle kommen können, muss auch selber alle im Blick haben und nicht nur sich selbst. Wir wissen längst: Wer sich impfen lässt, schützt auch andere.“

Nun ist selbst den Kindern der Welt hinlänglich bekannt geworden, dass Theologen eher der Heiligen Schrift denn der profanen Studienlage zu Covid-19 verpflichtet sind. Andernfalls wären der ganz sicher aufrecht um Nächstenliebe bemühten Anette Kurschus wohl nicht die vielen Studien (hier, hier und hier) und Experteninterviews entgangen, die das neue Impf-Dogma der EKD zumindest stark ins Wanken bringen. Keine Frage: Impfen hilft – vor allem hilft es aber einem selbst. Vorsichtshalber argumentiert Kurschus den Ausschluss vom Tisch des Herrn in der heiligsten aller Nächte daher auch noch mal theologisch durch: Der Grat zwischen Gott vertrauen und Gott versuchen sei sehr schmal, so ihre Mahnung in Richtung der ungeimpft herumirrenden Schafe, die mit ihrem Impf-Skeptizismus am Ende gar noch Gott herausfordern.

Katholische Lösung

Wäre da nicht am Ende vielleicht eine katholische Lösung irgendwie besser? In Köln etwa hat man den Claim von der Weihnachtsausgabe des letztjährigen Stern gleich mit in den Kanon der heiligen Worte und Taten aufgenommen: Impfen sei „ein Zeichen der Nächstenliebe, das wunderbar zum bevorstehenden Weihnachtsfest passt“, ließ dort Domprobst Guido Assmann seine Gläubigen wissen. Diese seien daher am Heiligen Abend zwischen 10 und 14 Uhr in den Dreikönigssaal des Doms eingeladen, um sich dort eine Erst-, Zweit- oder Booster-Impfung mit Biontech abzuholen. Weihnachten 2021. Impfstraße statt Immanuel. Der Stern ist gesunken. Die Weisen können heimwärts ziehen.

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