Kinder und das Selbstbestimmungsgesetz - Trans-Operationen sind kein Weg zum Glück

Heute wird die Ampel ihr Selbstbestimmungsgesetz im Kabinett verabschieden. Psychotherapeuten warnen vor den Folgen der neuen Gesetzeslage für Kinder und Jugendliche.

Regenbogenflagge auf dem Reichstagsgebäude / picture alliance
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Nach dreimaliger Verschiebung will die Bundesregierung an diesem Mittwoch ihren Entwurf für ein sogenanntes „Selbstbestimmungsgesetz“ verabschieden und damit das parlamentarische Verfahren einleiten. Federführend sind die Ministerien für Familie und für Justiz. Lisa Paus (Grüne) und Marco Buschmann (FDP) sind sicher, dass diesmal nicht wieder ein Veto eines Ressorts dazwischenkommen wird, denn sie haben für den Mittag zu einem Pressestatement eingeladen.

Cicero präsentiert aus diesem Anlass vorab Auszüge aus einem noch unveröffentlichten Fachaufsatz der Psychotherapeuten Professor Dr. Volker Tschuschke und Dr. Alexander Korte mit besonderem Blick auf die Situation von Kindern und Jugendlichen und die heute schon in Umrissen erkennbaren Folgen der künftigen Gesetzeslage  („Sturm und Drang im Würgegriff der Medien – Die Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht“). Die beiden Experten glauben nicht, dass das geplante Selbstbestimmungsgesetz der überaus komplizierten und vielfältigen Problematik gerecht werden kann. Vielmehr warnen sie vor voreiligen und falschen Entscheidungen mit lebenslänglich schlimmen Folgen.

Zum Text: Straffungen und Auslassungen sowie der Verzicht auf Fußnoten dienen der Lesbarkeit für ein breites Publikum und sind nicht jeweils gekennzeichnet, wobei versucht wurde, sinnbewahrend vorzugehen. Erläuterungen der Redaktion befinden sich in eckigen Klammern. Die Zwischenüberschriften stammen ebenfalls von der Cicero-Redaktion. Für den wissenschaftlichen Diskurs maßgeblich ist alleine die für September vorgesehene Veröffentlichung des gesamten Beitrages in den beiden am Ende des Artikels genannten Fachzeitschriften. Dort auch weitere Angaben zu den Autoren.
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Das Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum Geburtsgeschlecht ist nicht neu, als Phänomen kann es bis in die antike Mythologie zurückverfolgt werden. Aber es war stets selten, wohingegen aktuell ein sprunghafter Anstieg von Abweichungen im Geschlechtsidentitätserleben bei Jugendlichen zu verzeichnen ist. Der [vollständige] Beitrag geht dieser Problematik anhand der Frage nach, inwieweit diese Entwicklung auch ein Resultat kultureller und vor allem aber medientechnologischer Umbrüche ist, die bedingen, dass Jugendliche sich im „falschen Geschlecht“ wähnen und im Extremfall eine Transition anstreben.

Gesetzesfolgen für Kinder und Jugendliche

Als besonders heikle, auch (fach-)öffentlich kontrovers und hochemotional diskutierte Punkte haben sich bislang die Themen „Hausrecht – Umgang mit Transpersonen in Frauen vorbehaltenen Bereichen“, das sogenannte Offenbarungsverbot, der „Umgang mit Transpersonen im Sport“ und vor allem die „Rolle und Rechte von Kindern und Jugendlichen“ herausgestellt.

Bei unter 14-Jährigen müssen allerdings die Eltern oder Sorgeberechtigten eine Änderungserklärung abgeben. Bei älteren Jugendlichen bedarf es der Zustimmung der Eltern, die jedoch im Falle, dass diese sich dem verweigern, durch das Familiengericht ersetzt werden kann, sofern die Änderung der Angabe zum Geschlecht und der Vornamen dem Kindeswohl nicht zuwiderläuft. Es stellen sich hier – unter anderem – sogleich die Fragen,

•    erstens, wer denn die Bewertung vornehmen soll, ob die Änderung der Angabe zum Geschlecht und der Vornamen dem Kindeswohl entspricht (oder diesem zuwiderläuft) und
•    zweitens, ob Kinder mit Vollendung des 14. Lebensjahres regelhaft in der Lage sind, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können?

Für „Beratung“ locken Fördergelder

Etwaige medizinische Maßnahmen, dies gilt es als Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben (und den vorausgegangenen Referentenentwürfen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP) anzuerkennen, werden nicht geregelt, es wird lediglich vermerkt – ohne dies näher zu präzisieren – , dass beabsichtigt sei, „die Beratungsangebote insbesondere für minderjährige Personen auszubauen und zu stärken“.

Die Verantwortung und Zuständigkeit dafür fällt unseres Erachtens erstrangig den therapeutischen und ärztlichen Fachgesellschaften zu. Dies sehen die politischen Entscheidungsträger und auch die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen zu LSBTIQ-Themen jedoch ganz anders – was bezogen auf letztere Gruppe nicht überraschen sollte. Denn zum einen entspräche die Übertragung dieser Aufgabe und Durchführung als Peer-Beratung dem Wunsch nach Entpathologisierung von „trans“. Zum anderen dürfte die Implementierung beziehungsweise der Ausbau entsprechender Beratungsangebote mit dem Fluss von Fördergeldern in nicht unerheblicher Höhe verbunden sein, wie sich aus der Gesetzesvorlage herauslesen lässt.

 

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Kindern unbedingt Zeit gewähren

Wir wissen aus Katamnese-Studien, dass sich die Selbstdiagnose „trans“ im Entwicklungsverlauf nicht weniger Kinder und Jugendlicher nachträglich als Fehleinschätzung herausstellt. Dies setzt allerdings voraus, dass dem Kind ein Entwicklungsraum und Zeit gewährt wird.

Ist es aber realistisch anzunehmen, dass die betroffenen Kinder im Falle einer frühzeitigen, bereits in jungen Jahren durchgeführten personenstandsrechtlichen Transition imstande sind, gegen die dadurch geschaffenen Fakten anzugehen, sprich die getroffene juristische Entscheidung mit all ihren Konsequenzen später wieder rückgängig zu machen und einen anderen, alternativen Weg einzuschlagen? Oder droht nicht vielmehr die Gefahr, mit einer ungeprüft durchgewunkenen (in Form eines Verwaltungsaktes vorgenommenen) Personenstandsänderung eine Persistenz [Dauerhaftigkeit] der Geschlechtsdysphorie zur Transsexualität als einzige Option für das Kind zu präjudizieren?

Früh vollendete Tatsachen schaffen?

[Wir teilen nicht den Optimismus, dass] eine niederschwellige Vornamens- und Personenstandänderung positiv dazu beitrüge, durch eine vollständige soziale Transition „Rollensicherheit und -klarheit“ zu gewinnen, die dann „zur Erhöhung der Sicherheit etwaiger medizinischer Behandlungsmaßnahmen“ führen sollte. Eine solche, unseres Erachtens nicht hinlänglich durchdachte Argumentation unterschätzt die normative Kraft des Faktischen. Ein weiterer Aspekt: Bisweilen kann die Begutachtung auch eine therapeutische Intervention sein, ähnlich der lösungsorientierten Intervention in familienrechtlichen Verfahren.

In Anbetracht der Tatsache, dass erfahrungsgemäß nicht selten zwischen den beiden Elternteilen kein Einvernehmen bezüglich der Frage einer vermeintlich transsexuellen Entwicklung ihres Kindes besteht, birgt die Beibehaltung der bisherigen Praxis eindeutige Vorteile, auch gegenüber einer etwaigen Regelung, die lediglich eine Beratung vorsähe.

Falsches Selbst im richtigen Körper

Immer wieder ist davon die Rede, die „Geschlechtsangleichung“ sei erforderlich und unhinterfragt zu ermöglichen, wenn man sich im falschen Körper befinde. Könnte es aber nicht vielleicht so sein, dass es sich um eine „falsche Psyche“ – um ein „falsches Leben“, ein „falsches Selbst“ – in einem „richtigen Körper“ handelt? Jedwede Prämisse, die a priori von einer naturalistisch oder essentialistisch gefassten Identitätsentwicklung ausgeht respektive diese zum Inhalt hat, basiert auf fundamentalen Missverständnissen über psychische Entwicklungsprozesse.

Sämtlichen neurobiologischen Erklärungsmodellen zur Transsexualität ist gemeinsam, dass sie davon ausgehen, diese werde durch ein gegengeschlechtlich funktionierendes oder strukturiertes Gehirn verursacht. Fakt ist jedoch: Die neurowissenschaftlich-genetische Forschung hat bislang keine wirklich überzeugenden Nachweise erbringen können, dass „Geschlechtsidentität“ biologisch bedingt (determiniert) und eine persistierenden Trans-Identifizierung auf eine vorrangig oder gar ausschließlich genetisch beziehungsweise hormonell bedingte Ätiologie [Lehre von den Ursachen der Krankheiten] zurückzuführen ist.

Identität muss sich erst entwickeln

Aus Sicht der Entwicklungspsychologie ist es komplett abwegig, davon auszugehen, dass Identität etwas sei, mit dem man zur Welt kommt. Schon die ersten ausführlicheren Monographien zum Konstrukt „Geschlechtsidentität“ (engl. gender identity) betonten deren bio-psychosoziale Grundlage. Im Zuge der psychosexuellen Entwicklung konstituiert sich ab dem Kleinkindalter ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Geschlecht, das sich im weiteren Verlauf, insbesondere in der Adoleszenz im Zusammenhang mit der Entwicklung der eigenen Sexualität und den ersten soziosexuellen Kontakten konsolidiert und individuell ausgestaltet.

Auch Ponseti und Stirn heben hervor, dass „Geschlechtsidentität“ stets das Ergebnis einer individuellen Bindungs-, Beziehungs- und Körpergeschichte ist. Identitätskonstruktion ist also ein (lebenslang anhaltender) Prozess, so dass geschlechtsbezogenes Identitätserleben ein (sic!) Teil der Persönlichkeit ist und wie „Geschlechtsidentität“ – wie Identität überhaupt – erst mühselig entwickelt werden muss.

Vorübergehende Reifungskrise

In der öffentlichen – und leider auch in der fachlichen – Debatte wird nahezu vollständig ausgeschlossen, dass es sich bei somatisch gesunden Jugendlichen mit funktionsfähigen Geschlechtsorganen und normalem hormonellen Haushalt, die eine „Geschlechtsangleichung“ anstreben, um eine psychische Verwirrtheit beziehungsweise Reifungskrise und somit eine vorübergehende Störung handeln könnte.

In diesem Sinne fragt auch Christoph Türcke, warum die Psychoanalyse das Trans-Narrativ nicht problematisiere, gehöre es doch zum psychoanalytischen Einmaleins, erst einmal das ganze psychische Feld abzutasten, aus dem heraus der Wunsch nach einer „Geschlechtsangleichung“ entspringen könne:

„Und selbst in Fällen, wo seine Herkunft verborgen bleibt, wo er sich partout nicht auflösen lässt, wo, gemessen an seinem schwer lastenden Druck, die Geschlechtsumwandlung als das kleinere Übel erscheint, müsste Fachkundigen klar sein, dass dieser Wunsch nicht aufhört, etwas Zwanghaftes, Auflösungsbedürftiges zu sein, und dass Personen, die sich einer Operation unterziehen, diese Zwangshypothese samt ihren unerschlossenen Ursachen in die neue Geschlechtsidentität mitnehmen. Nicht von ungefähr bleiben ja die meisten Umgewandelten weiterhin psychotherapiebedürftig.“

Mit dem sprunghaften Ansteigen der Transgender-Wünsche, so Türcke weiter, wachse in der psychoanalytischen Zunft auch die Neigung zu deren „Entpathologisierung“ und zur „Übernahme einer Dienstleisterrolle“, sodass das gut gemeinte Anliegen der Entpathologisierung zunehmend ins Gegenteil umschlägt:

„Diese gute Absicht […] kippt zunehmend ins Gegenteil. Heute verschaffen sich Trans-Aktivisten lautstark Gehör mit ihren moralisch aufgeladenen, politischen Forderungen, die eine Minderheit betreffen, denen sich die Mehrheit aber anpassen soll. Der Verdacht ist nicht ganz abwegig, dass sich Ärzte diesem Zeitgeist beugen, um ihre Sensibilität für soziale Gerechtigkeit zu beweisen und nicht als transphob zu gelten.“

Zweifellos werden diese Kinder und Jugendlichen von inneren Nöten geplagt, die Krankheitswertigkeit besitzen können. Wenn aber Therapeuten und Ärzte sich vorschnell auf eine Indikation zur medizinischen Transition festlegen, laufen sie Gefahr, die Betroffenen noch weiter in die Irre zu führen, liegt eine subjektiv verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit doch in der Natur psychischer Störungen.

Identitäten kommen und gehen

Die Psychoanalytikerin Alessandra Lemma, eine auf die Trans-Problematik spezialisierte Therapeutin, sieht nur sehr wenige Fälle, bei denen eine „geschlechtsangleichende“ Behandlung indiziert [angezeigt] sei. Sie betont die unreife und labile Durchgangsphase in der Pubertät und in der darauffolgenden Adoleszenz:

„Das subjektive Erleben des Geschlechts und der Prozess der Adoleszenz sind beide durch eine Fluidität und Unsicherheit gekennzeichnet. Adoleszenz ist eine Entwicklungsphase, in der die Überzeugung, alles sei machbar, genau hier und genau jetzt, die Omnipotenzgefühle der psychischen Vorgänge illustriert. In der Tat lässt sich das adoleszente Stadium wie eine Checkliste narzisstischer Pathologie lesen, aber […] die Fluidität und die Experimentiererei, die damit einhergehen, veranlassen uns, diesen Narzissmus und die Omnipotenz, die dieses Stadium mit sich bringt, etwas differenzierter zu betrachten. […] Das omnipotente Greifen nach allen möglichen Identitäten kann genauso schnell verworfen wie durch ein neues Verlangen ersetzt werden, das besser zu passen scheint.“

Es gibt bislang zu wenige Studien, die die Langzeitfolgen von „geschlechtsangleichenden“ somato-medizinischen Maßnahmen untersucht haben. Die wenigen, die einen ausreichend langen und damit ernstzunehmenden zeitlichen Follow-Up und möglichst objektiv verfügbare Daten zugrunde legen, verweisen darauf, dass es keinen psychischen Vorteil nach sex reassignment surgery (SRS) – auch als GRS (gender reassignment surgery) bezeichnet – gibt: durchschnittlich nicht weniger Arztbesuche, nicht weniger Hospitalisierungen, nicht weniger Angststörungen oder Suizidversuche, sondern, notabene, eher mehr als vor der „Geschlechtsangleichung“!

Mehr Suizide nach Operation

Zudem bleiben Patienten nach erfolgter medizinischer Transition eine Risikogruppe, die sehr lange psychotherapeutische Begleitung benötigt. Zwar verweisen verfügbare seriöse Quellen zum einen auf die echte psychische Not hinter dem transsexuellen Wunsch, können zum anderen aber nicht belegen, dass begehrenskonforme Behandlungen im Schnitt Verbesserungen bewirken, sondern im Gegenteil, sie verursachen teils mehr Unglück, als vor der Behandlung zu konstatieren war:

„2011 erschien in Schweden eine repräsentative, bevölkerungsgestützte Langzeitstudie, in der die Daten von 324 transsexuell lebenden Personen ausgewertet wurden, die alle eine „Geschlechtsumwandlungsoperation“ hinter sich hatten. Die Studie kommt zu dem Schluss: Die Selbstmordrate bei den operierten transsexual lebenden Personen war fast zwanzigmal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Etwa ab dem zehnten Jahr nach den Operationen stieg die Suizidrate rasant an (Heyer, 2016).“

Abschied vom Machbarkeitswahn

Die unhinterfragte Größenfantasie, alles sei machbar, eben auch eine sogenannte Geschlechtsumwandlung, ist eine Größenfantasie des pubertären Entwicklungsabschnitts und sollte Psychotherapeuten nicht dazu verleiten, eine unbewusste Kollusion [ungutes Zusammenspiel] mit ihren Patienten einzugehen. Jugendliche blenden die lebenslangen Folgen einer somato-medizinischen Transitionsbehandlung in der Regel aus.

Eine operative „Geschlechtsangleichung“ bringt unvermeidbar Verstümmelungen am Körper mit sich. Damit werden, nebst Verlust der Fertilität [Fruchtbarkeit], die anatomischen Voraussetzungen für sexuelle Erregung und Befriedigung von ihrer funktionalen Seite her beschädigt, zumindest beeinträchtigt, falls nicht sogar zerstört.

Checkliste: Motive des Patienten

Eine tiefenpsychologische oder psychoanalytische Behandlung stellt naturgemäß die Arbeit an den Motiven in den Fokus:

  • Warum sucht der Patient die Behandlung auf? Warum kommt er genau jetzt?
  • Geht es ihm primär oder ausschließlich um eine Bestätigung oder Unterstützung seines transsexuellen Begehrens und Wunsches nach sozialer Transition – etwa, weil die Eltern (wie im neuen sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“ vorgesehen) zustimmen müssen und der Patient im Therapeuten einen Verbündeten in dieser Angelegenheit sucht?
  • Geht es ihm um Zweifel an seiner Entscheidung, ist er ambivalent, sucht er Entscheidungshilfen, was sind seine Fantasien, wieso meint er, kommt er überhaupt zu dieser Thematik?
  • Hat er bereits eine Vorstellung oder zumindest eine vage Ahnung davon, in welcher Zeit er eine Klärung herbeiführen will bzw. wieviel Zeit er bereit ist, zu investieren?
  • Hat er eine Vorstellung davon, was die Ziele psychodynamischer Behandlungen sind?
  • Weiß er, wie diese Behandlungsform im Prinzip arbeitet, wie ist er genau zu mir oder zu meiner Einrichtung gelangt?
  • Wurde er geschickt oder kommt er aus eigenem Antrieb? Ist er selbst- oder fremdmotiviert?

Mit diesen Fragen klären sich entscheidend die dem Patienten zugänglichen Motive und auch, ob eine psychodynamische, das heißt konfliktorientierte, aufdeckende Behandlung eine ausreichend günstige Prognose hat. In der Behandlung von geschlechtsdysphorischen Kindern und transidentifizierten Jugendlichen sollten selbstverständlich stets die Eltern in den psychotherapeutischen Prozess einbezogen werden.

Wenn Eltern aus allen Wolken fallen

Die Arbeit mit den Eltern birgt eine Reihe von Schwierigkeiten. Sollten die Eltern „aus allen Wolken gefallen“ sein ob des Begehrens ihres Sohnes oder ihrer Tochter, stellen sich ganz andere Probleme, als wenn bereits längere Zeit seit ihrer Kenntnisnahme vergangen ist. In einigen Fällen sind Eltern getrennt und aus konfliktreichen Gründen heraus ist der eine oder der andere Elternteil nicht bereit, mit dem Ex-Partner an der Therapie teilzunehmen.

Oder beide Elternteile vertreten konträre Auffassungen bezüglich des Transitionswunsches ihres Kindes. Oder beide Elternteile sind strikt abgeneigt, einer „geschlechtsangleichenden“ Behandlung ihres Kindes zuzustimmen. Wie dann aber verfahren, wenn mindestens ein Elternteil sich empört abwendet oder sogar dagegen arbeitet? Womöglich tun sich hier schwerere familiäre Konflikte auf, bei denen es sich um die eigentlichen Probleme handelt und die sich am besten in einer systemischen Behandlung bearbeiten ließen.

Trans-Trend als Krisensymptom

Nicht jeder unter dem Mantel vermeintlicher Progressivität und Toleranz daherkommende Trend und nicht alles, was auf öffentlicher Bühne den Zeitgeist und den Mainstream dominiert, dient dem wissenschaftlichen Fortschritt und im konkreten Fall dem Wohl von Kindern und Heranwachsenden. Es gibt auch kulturelle und zivilisatorische Krisen, die in Verfallserscheinungen münden können. Dies drückt sich derzeit an vielen Stellen als Krise der westlichen Zivilisationen und der Demokratie aus.

In einer Demokratie – und speziell in einer wissenschaftlichen Kontroverse – muss es möglich sein, Fakten zur Kenntnis zu nehmen und eine sachbezogene, inhaltliche Auseinandersetzung zu führen, anstatt der Empfehlung radikaler Aktivisten zu folgen, jeden Widerspruch, jede Form von Kritik und damit jede Diskussion mit personenbezogenen Anwürfen, Denunziationen, systematischen Cancelling oder gar Drohungen kleinzuhalten und auf diese Weise den Diskurs zu verweigern.
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Der vollständige Beitrag erscheint demnächst in der Zeitschrift Sexuologie 30 (1–2) 2023 sowie in einer leicht gekürzten Version in der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 2023, 51 (5).

Die Autoren:
Univ.-Prof. emer. Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Psych. Volker Tschuschke, ehemals Lehrstuhlinhaber im Fach Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum der Albertus Magnus-Universität zu Köln, Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker.
Dr. med. Alexander Korte, M.A, Leitender Oberarzt, Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität München.

Cicero-Autor Jens Peter Paul hat den Beitrag bearbeitet und eingeleitet

 

 

 

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