Kevin Kühnert - Eiskalter Abräumer

Kevin Kühnert mag unschuldig wirken, doch er ist die härteste politische Persönlichkeit, die die SPD derzeit zu bieten hat. Das Ausnahmetalent wartet nun auf den richtigen Moment. Sein Hauptproblem: Er sägt am Ast, auf dem er sitzt.

Weiche Züge, harte Reden: Kevin Kühnert / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Von Gerhard Schröder stammt das Wort, er habe als Bundeskanzler genau das verhindert und bekämpft, was er als Juso-Chef gefordert hatte. Bei Kevin Kühnert geht das schneller. Und er kann beides zugleich: Forderungen erheben, wie etwa den Austritt aus der Groko und das Gegenteil davon. Wenn es sein muss, im Stundentakt. Ich, ein Groko-Gegner? Iwo. Ich, ein Groko-Befürworter? Iwo. Blitzschnell geht das. Und beide Male klatscht der Saal. Lüge? Geschmeidigkeit! Quecksilber ist eine zähe Melasse gegen ihn.

Kevin Kühnert, 30 Jahre alt, ist eine politische Ausnahmeerscheinung, eine Begabung, ein Talent, wie es nur alle 20 Jahre in einer Partei auftaucht. Mit seinem weichen Kindergesicht und den Kulleraugen darin sieht er aus wie ein unschuldiges Engelchen. Dabei ist er der begabteste Politiker, den die SPD im Angebot hat. Rhetorisch gewitzt, von Skrupeln befreit und von grundlegenden Überzeugungen und Sachkenntnis kaum belastet, hat er die SPD um seinen Finger gewickelt, bis ihr schwindelig wurde. Kühnert würde es auch schaffen, dem Papst ein Doppelbett zu verkaufen.

Kühnert wird eiskalt abräumen

Er ist ein Populist aus dem Bilderbuch. „Der junge Studentenführer offenbarte da erstmals die prägenden Charakteristika seiner späteren Politik – das Talent, die Stimmung der Öffentlichkeit aufzunehmen, und die Entschlossenheit, die Gunst der Stunde zu nutzen“, schreibt der blitzgescheite Ivan Krastev in seinem neuen Buch – aber nicht über Kevin Kühnert auf dem SPD-Parteitag, den dieser mit einer Sockenrede zu seinem machte. Sondern über den jungen Viktor Orbán, bei dessen Rede zur Umbettung des Leichnams von Imre Nagy, die seine Karriere begründete. Orbán war, nur nebenbei bemerkt, ein glühender Anhänger des italienischen Philosophen und Marxisten Antonio Gramsci.

Kühnerts weiche Züge stehen in krassem Kontrast zur Härte seiner Reden. Er hat Andrea Nahles, selbst Juso-geschult, politisch beseitigt und jetzt, weil noch zu jung, zwei Pappkameraden an die Spitze der SPD gehievt. Sich selbst hat er zum Stellvertreter wählen lassen, eine ideale Pole Position für den nächsten Angriff. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sollten sich keine Sekunde etwas vormachen: Wenn der Zeitpunkt in seinen Augen gekommen ist, wird Kühnert sie ebenso eiskalt abräumen wie Andrea Nahles und letztlich auch Sigmar Gabriel.  

Die härteste Persönlichkeit der SPD

Nach seiner Wahl auf dem Parteitag und einigen abermaligen Pirouetten in der Frage des Verbleibs der SPD in der Großen Koalition hat Kühnert öffentlich darüber sinniert, dass er möglicherweise den Juso-Vorsitz alsbald abgeben werde. Das kann er auch. Die Jusos haben ihm als Trägerrakete bis hierher gedient, jetzt werden sie dem elastischen Kevin Kühnert in ihrer Halsstarrigkeit eher lästig und zum Problem. Also flanscht er die ausgebrannte Trägerrakete ab, die nur noch unnützer Ballast wäre.

Das kann man alles moralisch verwerflich finden. Aber Moral ist keine wirkliche Kategorie in der Politik, und Dankbarkeit auch nicht. Dieser junge Mann in seiner jungenhaften Hülle ist die härteste Persönlichkeit, die die SPD im Augenblick zu bieten hat. Der letzte dieser Art hieß Sigmar Gabriel, aber dem fehlte es am Ende an den entscheidenden zehn Prozent allerletztem Willen zur Macht. Einzig Gerhard Schröder kann in den letzten 30 Jahren als Vergleich für den jungen Mann mit dem Stirnspoiler herhalten.

Ein Produkt der postmodernen Wohlstandsgesellschaft

Und eine Einschränkung muss dann eben doch sein: Schröder hatte eine harte Nachkriegs-Biografie und eine solide Ausbildung. Das Leben und das Studium haben ihn gebildet und geformt. Kühnert ist ein klassisches Produkt einer postmodernen Wohlstandsgesellschaft, in der das Twitter-Blendwerk die Substanz ersetzt. Aber vielleicht ist die Kunst des Twitterns in dieser flüchtigen Welt des Social Media auch wichtiger als ein abgeschlossenes Jura-Studium, wie sich am amtierenden Präsidenten der größten Demokratie der Welt erweist.

Es kann Kühnert eigentlich nur noch eines passieren: Dass sich die SPD unter seinem maßgeblichen Zutun zugrunde gerichtet hat, bevor die Zeit für ihn gekommen ist.

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