NDR-Doku über Kevin Kühnert - Vom Kevin zum Kanzler

Innerhalb von drei Jahren hat Kevin Kühnert den Aufstieg vom Juso-Chef zum stellvertretenden SPD-Vorsitzenden geschafft. Wie, das beleuchtet eine sechsteilige Doku des NDR. Für die Nähe zum Politiker haben die Filmemacher einen hohen Preis gezahlt. Ihre Doku ist die Geschichte einer Heldenreise in Netflix-Ästhetik.

Kann Kevin Kanzler? / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Haben die Jusos noch alle Tassen im Schrank? Es ist eine Frage, die in den vergangenen zwei Jahren häufiger aufgetaucht ist. Mal ging es um die Forderung nach einer Kollektivierung von Großunternehmen, mal um die Wahl einer neuen Parteispitze, die die Gewichte in der SPD deutlich nach links verschoben hat. Und immer ploppte in diesem Zusammenhang ein Name auf, der sich als Synonym für linke Spinnereien eingebrannt hat: Kevin Kühnert. 

Der ehemalige Juso-Vorsitzende trinkt so viel Kaffee, dass seine Tasse tatsächlich eher selten im Schrank stehen dürfte. Genau genommen ist es ein Becher in SPD-Rot, auf dem steht: „Ích bin für diese Scheißstimmung verantwortlich.“ 

Vom pausbäckigen Studienabbrecher zum Rebell 

Das passt zu seinem Image als Heißsporn, Aufrührer und Rebell. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass der Kabarettist Dieter Nuhr Kühnert einen „pausbäckigen Studienabbrecher“ nannte. „Ein ungelernter Kevin, der nichts von der Welt kennt, außer seinen Partei-Apparat.“ Doch zumindest innerhalb dieses Apparates ist das Bild von ihm ein völlig anderes. 

Eine Vorstellung davon vermittelt die sechsteilige Dokumentation „Kevin Kühnert und die SPD“, die Katarina Schiele und Lucas Stratmann für den NDR gedreht haben. Sie haben den Nachwuchspolitiker drei Jahre auf Schritt und Tritt begleitet. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Denn die Kamera hält auch dann immer drauf, wenn Kühnert – wahlweise einen Kaffeebecher oder eine Kippe in der Hand – in Gesprächen mit seinem Pressesprecher Benjamin Köster oder mit Spiegel-Reportern seine strategischen Ziele absteckt.

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Kühnert, der Königsmacher 

Das macht die Faszination dieser Doku aus. In der Politik werden die Strippen normalerweise hinter den Kulissen gezogen. Hier geschieht es vor der Kamera. Es ist wie in der Netflix-Serie „House of Cards“. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Kühnert 2018 nach der SPD-Niederlage bei der Landtagswahl in Hessen die Entmachtung der damaligen Parteivorsitzenden Andrea Nahles einfädelt.

Er erlebt, wie er die beiden Außenseiter Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als neue Vorsitzende in Stellung bringt – als trojanische Pferde für den linken Kurs der Jusos. „In der aktuellen Parteispitze ist meine Position nicht die Mehrheit“, diktiert er einem Spiegel-Reporter in den Block. „Das heißt, wenn wir eine Produktionsstraße sind als Partei, bin ich nicht die erste Hand, vielleicht nicht mal die zweite, sondern die dritte und vierte. Das wäre anders, wenn zum Beispiel Nowabo und Esken gewinnen und wir dann von der Spitze her alles durchziehen.“

Kühnert, der Königsmacher. Der Visionär. Der Mann mit einem sicheren Gespür fürs Machbare. Der Stratege. Dieses Bild von sich will der Shooting-Star der Partei vermitteln.

Off-Kommentare waren nicht erlaubt  

Und die beiden Filmemacher finden dafür atmosphärisch dichte Aufnahmen. Kühnert, wie er mit dem Auto nachts durch Berlin kurvt, bunte Lichtpunkte spiegeln sich auf der Scheibe. Kühnert, wie er rauchend vor der Tür des Willy-Brandt-Hauses steht und in sein Handy tippt. Der Posterboy der Twitter-Republik. Kühnert, wie er bei Parteitagen flammende Reden hält und Applaus erntet. 

Off-Kommentare dazu gibt es nicht, Einzelinterviews mit Kühnert oder Gespräche mit seinen Kritikern auch nicht. Das war die Bedingung dafür, dass der SPD-Politiker die Filmemacher ganz dicht an sich herangelassen hat. Es ist ein hoher Preis, den sie dafür gezahlt haben. Denn ihre Doku ist keine reine Doku, es ist die Geschichte einer Heldenreise. Wer will, kann „Kevin Kühnert und die SPD“ als öffentlich-rechtliche Hofberichterstattung in Netflix-Ästhetik verstehen.   

Als Sympathieträger taugt er nicht 

Eine Aufnahme zeigt Kühnert, wie ihn Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in ihre Mitte nehmen. Es ist ein Bild wie aus dem Familienalbum. Sie könnten seine Eltern sein. Doch er ist es, der den beiden sagt, wo es langgeht. Sie müssten Leidenschaft für das neue Amt versprühen, um sich beim Casting gegen das Favoriten-Paar Scholz/Geywitz zu behaupten: „Ihr habt Lust!“, befiehlt er und drückt mit den Zeigefingern beide Mundwinkel nach oben. 

Die Kamera ist auch dabei, als er vor Freude auf- und abhüpft und fast schon hysterisch lacht, als sein Kalkül aufgeht. In der Stichwahl setzen sich seine Favoriten tatsächlich gegen das Paar Scholz/Geywitz durch. Die Kamera schwenkt auf eine strahlende Saskia Esken. Und man hört Kühnert aus dem Off seufzen. „Aaah, es wird alles sehr schwierig, aber wir werden auch viel Spaß mit ihr haben.“ 

Es ist diese Kaltschnäuzigkeit, die den Zuschauer an dem Protagonisten verstört. Als Sympathieträger taugt so einer nicht. Aber um von allen geliebt zu werden, macht er diesen Job ja auch nicht. Kühnert ist jetzt 30. Er ist jetzt stellvertretender Vorsitzender seiner Partei und einer der vielen Jusos, die neu in den Bundestag einrücken. Die Endstation ist das noch lange nicht. Mit der Doku empfiehlt er sich schon mal als Nachfolger von Olaf Scholz. 

Kevin for Kanzler. 

Die sechs Folgen der Doku „Kevin Kühnert und die SPD" stehen in der ARD-Mediathek. Die erste Folge strahlt der NDR heute abend um 0 Uhr aus. 

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