Katastrophenschutz per NINA-App - „Wissen, was kommt“

170 Menschen sind in der Flut in Rheinland-Pfalz und NRW gestorben, Hunderte werden noch vermisst. Dabei hatte es früh Warnungen gegeben. Auch über eine Warn-App des Katastrophenschutzes, die allerdings kaum jemand kennt. Schuld will keiner sein, am Ende muss wie so oft der Föderalismus als Sündenbock herhalten.

Zur Zeit kann man den Fluss Ahr nur mit dem Schlauchboot der Bundeswehr überqueren / dpa
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Uta Weisse war Online-Redakteurin bei Cicero. Von Schweden aus berichtete sie zuvor als freie Autorin über politische und gesellschaftliche Themen Skandinaviens.

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Vier Tage vor den starken Unwettern hatte die Europäische Flutwarnbehörde (Efas) schon Warnungen für die nun betroffenen Regionen Westdeutschlands herausgegeben. „Wer jetzt wann, wie, wo informiert wurde, da liegen mir jetzt keine Informationen vor“, sagte eine Sprecherin des Bundesverkehrsministerium, dem der Deutsche Wetterdienst untersteht, auf die Frage, warum die frühen Warnungen offenbar nicht weitergegeben wurden.

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, ist sich dagegen sicher, dass der Informationsfluss einwandfrei funktioniert hat. Der Deutsche Wetterdienst habe recht präzise Unwetterwarnungen ausgesprochen, „Unsere gesamte Warninfrastruktur hat vollständig funktioniert.“ Zwischen Mittwoch und Samstag hätte das BBK etwa 150 Warnmeldungen absetzen können, sagte Schuster am Montagmorgen im Deutschlandfunk.

Wer oder was ist NINA?

Ich bin mir nicht sicher, was mich mehr schockiert, die Ahnungslosigkeit der Ministeriumssprecherin oder die Chuzpe, mit der Armin Schuster erklärt, eigentlich alles richtig gemacht zu haben. Aber wie so oft, wenn etwas nicht funktioniert in Deutschland, muss der Föderalismus als Begründung herhalten: Katastrophenschutz ist Ländersache. Darauf, was die einzelnen Länder, vielleicht sogar Kommunen mit den Informationen anstellen, die Schusters Bundesbehörde ihnen korrekt zukommen lässt, hätte er keinen Einfluss. Zudem hätte das BBK ja auch Warnungen über NINA in den betroffenen Gebieten an die Nutzer versendet.

NINA wer? NINA steht für Notfall-Informations- und Nachrichten-App. Durch diese App empfangen Nutzer Push-Notifications über drohende oder bestehende Gefahrenlagen, zum Beispiel Großbrände oder den Austritt von Gefahrenstoffen wie Gasen, via Smartphone. Seit der Corona-Pandemie wurde die Anwendung noch um weitere Funktionen ergänzt. Eine praktische Sache, eigentlich. Nur müsste man überhaupt erst von der Existenz der App wissen, um sie sich auf dem Handy zu installieren.

Ich hatte vor der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW noch nie etwas von NINA gehört. Wie mir ging es auch dem Großteil der Redaktion und auch Millionen anderen Deutschen: 9,5 Millionen Nutzer habe die App, erklärte das BBK gegenüber Cicero. 600.000 Nutzer hätten sich die App im Zuge der Berichterstattung über die Flutkatastrophe seit vergangenen Mittwoch installiert. Zur Einordnung: Deutschlandweit gibt es insgesamt 61 Millionen Smartphonenutzer, die Corona-Warn-App wurde 27 Millionen Mal heruntergeladen. Letztere gibt es seit knapp einem Jahr, während NINA schon sechs Jahre alt ist.

Eine „Warninfrastruktur“, die keinen warnt

Insgesamt über elf Millionen Euro dürfte die Entwicklung und der Betrieb von NINA bisher gekostet haben. Man sollte meinen, dass das BBK entsprechend nicht daran sparen würde, die App auch unter denen bekannt zu machen, die sie am Ende installieren sollen und die sich vor Gefahren schützen sollen. Auf die Frage, wie NINA denn beworben wurde, damit Bürger sie auch nutzen, sagt das BBK gegenüber Cicero: Es habe PR-Material gegeben, das sich in erster Linie an Kommunen und Länder gerichtet habe. Über eine Emailadresse habe man das Material anfordern können.

Ferner sei 2019 zum Warntag auch ein Werbefilm veröffentlicht worden. Dieses Filmchen, das bisher von insgesamt 9.060 Nutzern auf Youtube angeschaut worden ist, will ich Ihnen nicht vorenthalten: In dem 39-sekündigen Clip taucht ein an Godzilla angelehnter lilafarbener Riesen-Dinosaurier aus dem Meer vor einer Großstadt auf. Laut stöhnend streift er durch die Wolkenkratzer. Als er das Dach eines Bürogebäudes abreißt, stellt er verdutzt fest, dass niemand mehr da ist. Bevor das Monster der Metropole den Rücken zukehrt und wieder im Meer abtaucht, wird Schrift auf weißem Hintergrund eingeblendet: „Wissen, was kommt.“ Ein zynischer Slogan, vor dem Hintergrund, dass wir aktuell um gar nicht oder nicht ordentlich weitergegebene Warnungen diskutieren.

Diejenigen, die von NINA tatsächlich schon gehört und die App installiert haben, bewerten die App dann auch eher durchschnittlich. Im Appstore bemängeln Nutzer ihre Trägheit, „Nach jeder Eingabe eines Standorts dreht die App Warteschleifen oder gibt Fehlermeldungen aus. Wurde so schon im März hier angemahnt. Mir bereitet es Angst, dass wir im Ernstfall über diese App gewarnt werden sollen“, schreibt ein User. Auch die verringerte Akkulaufzeit nach der Installation wird kritisiert, normalerweise würde der Akku einen gesamten Tag halten, nun aber nur noch acht Stunden. Im Playstore von Google wird bemängelt, dass viel zu häufig Wetterwarnungen kämen mit immer demselben Text. Somit sei nicht klar, ob es sich wirklich um ernste Gefahren handele. Obendrein seien die Informationen schon völlig veraltet: „Macht mit Sirenengeheule auf total allgemeine Hinweise aufmerksam, die man schon Tage, teilweise Wochen vorher überall finden kann.“

Erst in mehreren Jahren gerüstet für den Ernstfall

Ein weiteres grundsätzliches Problem der App, das dem BBK auch bewusst ist, hat sich auch aktuell in NRW und Rheinland-Pfalz gezeigt: Wenn Sendemasten ausfallen, kann auch die Übermittlung solcher Warnungen gestört werden. Da wären fest installierte Sirenen praktisch. Die gab es in Deutschland bis zum Kalten Krieg auch, nur wurden sie dann größtenteils abmontiert.

Aber Armin Schusters BBK hat auch hier einen Plan: 88 Millionen Euro lässt der Bund für die Installation von analogen Sirenen als Ergänzung zu digitalen Warnsystemen springen. Gemeinsam mit Bundesinnenminister Horst Seehofer wurde das in einem Reformprogramm vor zwei Monaten verkündet. Nur weiß Schuster schon jetzt, dass das Geld nicht reichen werde. Bis alle Sirenen deutschlandweit montiert sind, würde es im übrigen mehrere Jahre dauern.

Ich habe bislang Menschen, die zu Hause Notfallrationen für den Ernstfall bunkern, immer für Spinner gehalten. Jetzt habe ich es mir aber anders überlegt. Essen für zehn Tage, zwei Liter Wasser pro Person und Tag … Ob ich die App herunterlade, überlege ich mir noch.

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