Bildungsministerin Karin Prien - „Scholz musste ja einfach nur nichts falsch machen“

Seit Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) zu Armin Laschets Zukunftsteam gehört, sorgt sie für Schlagzeilen – zum Beispiel mit einem Gendererlass an Schulen. Gibt es keine wichtigeren Themen?

Karin Prien bei der Vorstellung des Zukunftsteams am 3. September / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Karin Prien (CDU) ist Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und in Armin Laschets Zukunftsteam für die Abteilung Bildung zuständig. In den vergangenen Wochen sorgte sie wiederholt für Aufsehen. Zum Beispiel mit einem Gendererlass an Schulen oder mit Kritik an Hans-Georg Maaßen. Bei Markus Lanz deutete sie an, sie würde lieber den SPD-Kandidaten wählen als ihren Parteikollegen – woraufhin dieser ihre Entlassung aus dem Zukunftsteam forderte. Über Maaßen möchte sie allerdings nicht sprechen, sagt sie vor dem Interview, dazu habe sie bereits alles gesagt.

Frau Prien, wie sehr glauben Sie auf einer Skala von eins bis zehn noch an Platz eins?

Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen werden. Vielleicht erst auf den letzten Metern, aber wir werden das schaffen.

Alle Umfragen sprechen deutlich dagegen.

Der Trend ist gebrochen und die Demoskopie ist in einer schwierigen Phase. Die vielen Gespräche, die ich täglich führe, und die Tatsache, dass wir am vergangenen Wochenende den Turnaround in den Köpfen geschafft haben, stimmen mich zuversichtlich. Jetzt ist allen klar geworden, dass wir die bessere Alternative für die nächste Legislaturperiode sind. Und zwar mit Armin Laschet, der im Triell argumentativ stark und menschlich überzeugend aufgetreten ist.

Laut Umfragen hat Scholz das Triell gewonnen.

Mein Eindruck ist, und das bestätigen die Umfragen, dass Armin Laschet die meisten Menschen positiv überrascht hat. Scholz musste ja einfach nur nichts falsch machen. Armin Laschet musste wirklich überzeugen. Und die Umfragen zeigen, dass ihm das bei vielen Menschen gelungen ist.

Haben Sie sich oder auch Herrn Laschet nicht gefragt, warum er das Zukunftsteam erst drei Wochen vor der Wahl vorgestellt hat, als die Briefwahl schon lief? Die Idee bestand schließlich schon im Mai.

Es ist müßig, darüber zu philosophieren, ob es zwei oder drei Wochen vorher sinnvoller gewesen wäre. Es ist jetzt so; und ich glaube, dass wir die Breite der Partei, aber auch die Breite an Zukunftsthemen abdecken, das ist ein gutes Signal.

Sie haben sich doch bestimmt gefragt, ob es vor der Briefwahl nicht besser gewesen wäre.

Ja, natürlich fragt man sich immer, was man anders und besser hätte machen können. Aber es ist jetzt, wie es ist, und wir machen das Beste daraus.

Wie sieht die Zukunft des Zukunftsteams nach der Wahl aus?

Nach der Wahl wird es erst einmal darum gehen, zu sondieren, welche Koalitionsoptionen bestehen, und es wird um Inhalte gehen. Ich gehe davon aus, dass ich als Co-Vorsitzende des Bundesfachausschusses Bildung und Forschung auch weiter intensiv mitarbeiten werde.

Als Teil des Zukunftsteams? Oder ist das nur für die drei Wochen vor der Wahl angelegt?

Nein, als Teil des Zukunftsteams. Die Notwendigkeit, in inhaltlichen Fragen zu beraten, wird ja nicht geringer werden, nachdem wir die Wahl hoffentlich als erster Sieger gewonnen haben werden.

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Und wenn es die Opposition wäre?

Ach, wissen Sie, darüber mache ich mir heute tatsächlich keine Gedanken.

Was genau ist denn das Zukünftige am Team? Friedrich Merz verbinden die meisten Menschen nicht gerade mit Frische.

Die Erfolge, die wir jetzt dringend brauchen im Bereich einer erfolgreichen Klimapolitik, sind ohne eine gute Wirtschaftspolitik nicht zu erreichen. Und vor allem werden wir klimapolitisch nichts erreichen, wenn wir nicht die Wirtschaft und die Gesellschaft bei dieser Transformation mitnehmen. Dafür ist Friedrich Merz ein guter Mann. Im Bereich Bildung geht es zum Beispiel darum, die Ebenen neu miteinander zu verschränken – also Bund, Länder und Kommunen –, damit es etwa bei der Digitalisierung der Schulen schneller und effizienter vorangeht.

Wie genau soll das aussehen? Den Föderalismus wollen Sie ja beibehalten.

Das stimmt, der Föderalismus ist eine historische Errungenschaft, die uns weit gebracht hat. Aber ohne eine neue, intensivere Kooperation zwischen den Ebenen werden wir in Zeiten der sich extrem beschleunigenden technischen Entwicklungen nicht mehr bestehen können. Einen modernen Föderalismus, der dieses Miteinander im Blick hat – das ist eine der großen Aufgaben der nächsten vier Jahre.

Haben Sie konkretere Vorstellungen?

Wie die Aufteilung der Aufgaben und Zuständigkeiten in einem kooperativen Föderalismus zukünftig aussehen soll, das muss jetzt neu ausgehandelt werden. Dafür brauchen wir einen breiten politischen Prozess. Am Ende muss stehen, dass wir die bestmöglich ausgestatteten Schulen haben und dass wir zuverlässige Finanzierungsstrukturen auch über den Digitalpakt hinaus haben.

Bei Markus Lanz sagten Sie, wie unfassbar viel es derzeit bildungspolitisch zu tun gibt. Warum bringen Sie mit dem Genderverbot an Schulen ausgerechnet jetzt ein Thema ins Spiel, das enorm viel Platz in der Berichterstattung über Sie einnimmt und von Ihnen selbst als Nebenthema bezeichnet wird?

Ich habe nicht den Eindruck, dass das Thema an den Schulen so eine große Rolle spielt. Es spielt eine Rolle in den Feuilletons und in den Kommentarspalten. Die Schulen gehen sehr gelassen damit um. Ich habe lediglich die bestehende Erlasslage bekräftigt. Wir haben uns als Kultusministerien im Jahr 2006 darauf verständigt, dass das Regelwerk des Rates für deutsche Rechtschreibung für uns verbindlich ist, und diese Festlegung gilt nicht nur für Fragen des Genderns.

Wenn die Schulen gelassen damit umgehen, warum haben Sie das Thema überhaupt aufgebracht?

Ich habe das Thema nicht aufgebracht, die Debatte ist da. In vielen Schulen gibt es eine Verunsicherung zu dem Thema und da hat sich vieles verselbstständigt. Ich möchte einfach nicht, dass gerade jetzt, wo unsere Schulen nach Corona so massiv gefordert sind, wir die Debatte um das Gendersternchen in die Schulen tragen. Deshalb habe ich auf Nachfrage festgestellt, was die seit 2006 gültige Rechtslage ist.

Im Mai sagten Sie noch, Verbote passten nicht zur CDU. Schüler und Studenten dürften keine Nachteile erfahren, wenn sie nicht gendern. Jetzt machen Sie genau das unter umgekehrten Vorzeichen.

Wir brauchen ein einheitliches Regelwerk, nach dem an Schulen bewertet wird. Wie wir die deutsche Sprache lehren, darf nicht unverbindlich sein. Wenn es um Groß- oder Kleinschreibung geht, halten wir uns auch an Rechtschreibregeln und richten uns nicht danach, was jemand für politisch oder kulturell opportun hält.

Dennoch ist es ein explizit ausgesprochenes Verbot.

Aber es ist doch nichts Neues, dass wir nach einem verbindlichen Regelwerk lehren. Und es wird auch nicht die geschlechtergerechte Sprache untersagt, sondern lediglich die Nutzung von Sonderzeichen.

Was spräche dagegen, die Lehre den Rechtschreibregeln gemäß zu gestalten und die, die in Klausuren gendern wollen, gendern zu lassen, anstatt sie mit Notenabzügen zu bestrafen?

Noch mal: Wir haben ein bestehendes bundesweit anerkanntes Regelwerk, und wir haben uns dazu verpflichtet, diesem Regelwerk zu folgen. Wir stellen die Frage der Groß- und Kleinschreibung auch nicht nach Belieben jedes einzelnen Schülers oder Lehrers zur Disposition – warum sollten wir das jetzt an dieser Stelle tun?

Schwang wahlkampftechnisches Kalkül mit, als Sie das Thema aufgegriffen haben?

Absolut nicht. Ich habe es nicht aufgegriffen, sondern wurde danach gefragt. Sie erwähnten ja bereits, dass ich schon im Mai meinen Standpunkt dazu deutlich gemacht habe.

Da war auch schon Wahlkampf.

Für mich nicht. Ich habe mich zu diesem Punkt im Mai und auch vor einigen Wochen in einem Abendblatt-Interview geäußert. Diese Sätze wurden ausgerechnet am Samstag nach der Vorstellung des Zukunftsteams von einer schleswig-holsteinischen Zeitung aufgegriffen, und zwar ohne mein Zutun. Es war nicht meine Absicht, das Thema im Kontext meiner Zukunftsthemen noch mal prominent zu platzieren. Wie Sie wissen, kann man sich als Politikerin Überschriften nicht aussuchen.

Es fällt nur auf, dass das Thema in der CDU gerne aufgegriffen wird, um hinterher zu beklagen, die Linken würden einen Kulturkampf betreiben. Christoph Ploß aus Hamburg hat es so in die überregionalen Medien geschafft, Friedrich Merz hat mit einem polemischen Tweet für Wirbel gesorgt, Sie haben nach Ihrem Genderverbot bei Twitter ebenfalls gegen die „versammelte Linke“ polemisiert. Profilieren Sie und Ihre Partei sich gerne mit dem Thema?

Nein, ich habe in dieser Debatte immer dafür plädiert, die Dinge nicht zu hoch zu hängen und sich der Grundidee des Genderns nicht grundsätzlich zu verwehren. Die identitätspolitische Debatte wird von Links befeuert und ich stelle fest, dass viele Menschen es als ausgesprochen unangenehm empfinden, wenn eine bestimmte Art zu sprechen eingefordert wird.

Deswegen wirkt es ja so, als würden Teile der CDU das Thema gezielt aufgreifen, um schnelle Zustimmung zu erheischen.

Naja, die Frage ist doch, wie man miteinander umgeht in einer Gesellschaft. Warum sollte man eine Debatte über ein gesellschaftspolitisches Thema dieser Art nicht führen dürfen?

Es ist eben widersprüchlich, zu sagen, das Gendern sei ein Nebenthema, das zum Kulturkampf aufgebauscht werde, und es dann selbst polemisch zu bedienen.

Manchmal ist es so, dass ein Kulturkampf von einer Seite begonnen wird. Dann muss man entscheiden, in welcher Form man ihn aufgreift. Es gibt ein großes Unbehagen gegen eine durch Identitätspolitik aufgezwungene Veränderung unserer deutschen Sprache. Dass dieses Unbehagen von einer der großen Parteien aufgegriffen wird, ist nicht nur legitim, sondern notwendig.

Frau Prien, bei allem Respekt vor Ihnen und Ihrer Arbeit: Ihnen muss doch auffallen, dass die Antworten in diesem Interview zum Großteil aus Phrasen bestehen.

Mir fällt vor allem auf, dass Sie wieder und wieder Fragen stellen, die darauf abzielen, die Antwort zu bekommen, die in ihr Vorurteil passt. Wenn die Rechtslage klar ist, aber man als Schulaufsicht in solch einem Konflikt auch dafür Sorge trägt, dass der Kulturkampf nicht in der Schule ausgetragen wird, dann mag die Erläuterung des Offensichtlichen Ihnen vielleicht als Phrase vorkommen, es zeigt aber sehr gut, weshalb dieser Erlass notwendig war.

Derzeit stichelt Ihre Partei gegen eine mögliche linke Regierung, Stichworte wie „Sozialismus“ und „rote Socken“ fallen. Was spricht gegen Rot-Rot-Grün?

Von mir hören Sie weder „Sozialismus“ noch „rote Socken“. Ich halte das nicht für zeitgemäß, aber es geht natürlich um eine Richtungsentscheidung.

Sie haben zumindest eine Äußerung gegen Rot-Rot-Grün retweetet, man solle nicht „das Land einer Regierung ausliefern, in der Sozialisten sitzen“.

Die Linke hat ein sozialistisches Selbstverständnis. Aber die eigentliche Frage ist doch: Wollen wir weiterhin ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Unternehmen kultivieren und ihnen androhen, sie in der Substanz zu besteuern? Oder machen wir uns als Gesamtgesellschaft, einschließlich Wirtschaft und Unternehmen, daran, die Probleme des Klimawandels und der Demographie anzugehen? Ich bin davon überzeugt, dass Annalena Baerbocks Satz, Verbote seien ein Innovationstreiber, so nicht aufgeht.

Laut dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) entlasten die Reformvorschläge von FDP und Unionsparteien die höheren Einkommensklassen deutlich, während die Programme von SPD, Linke und Grünen besonders für untere und mittlere Einkommen einen Zuwachs beim verfügbaren Einkommen aus Netto-Lohn und Sozialtransfer bedeuten. Die Mitte profitiert demnach am wenigsten von der Union. Warum sollten Arbeitnehmer CDU wählen, wenn sie nichts davon haben?

Auch wir entlasten kleine und mittlere Einkommen, insbesondere Familien und Alleinerziehende. Bei der Einkommenssteuer geht es am Ende um die Frage, ob wir den kleinen und mittelständischen Unternehmen durch eine übermäßige Besteuerung das Kapital wegnehmen, das sie brauchen, um in die großen Zukunftsthemen zu investieren und Arbeitsplätze zu sichern. Ebendas wären die Folge einer erhöhten Vermögens- und Einkommensbesteuerung. Wenn wir jetzt die Steuerschraube anlegen, dann würgen wir die Innovationskraft ab, die wir so dringend brauchen.

Das Klassiker-Argument: Arbeitnehmer müssen für eine Partei stimmen, von der sie konkret nichts haben, um ihre Arbeitsplätze nicht zu gefährden.

Doch, sie haben etwas davon. Wir alle haben etwas davon. Denn entweder schaffen wir es, Deutschland als Industrieland zu erhalten und unseren Wohlstand trotz der großen Herausforderungen zu stabilisieren. Oder wir schaffen es nicht. Das wird für Arbeitnehmer und Angestellte von ganz entscheidender Bedeutung sein. Diese Attitüde, grundsätzlich gegen Unternehmen und letztlich gegen die Innovation zu sein, ist ein kapitaler Irrtum.

Die Attitüde, Wirtschaftswachstum bedeute automatisch Wohlstand für alle, ist die vergangenen 16 Jahre nicht aufgegangen.

Wirtschaftswachstum bedeutet sichere Jobs, sichere Jobs bedeuten mehr Wohlstand. Wir haben den Sozialstaat in den vergangenen 16 Jahren weiter ausgebaut. Es ist mitnichten der Fall, dass die vergangenen Jahre durch den Abbau von Sozialleistungen gekennzeichnet gewesen wären.

Die acht Millionen Menschen im Niedriglohnsektor dürften das anders sehen.

Wir kommen von einer Arbeitslosenquote von über elf Prozent Anfang der 2000er-Jahre. Wir haben die Arbeitslosigkeit in Deutschland in 16 Jahren CDU-geführter Bundesregierung fast halbiert. Insofern würde ich das als eine außerordentlich positive Entwicklung bezeichnen, was wir auf dem Arbeitsmarkt in den letzten 16 Jahren geschafft haben. Und das trotz der Finanzkrise, der Eurokrise und der großen Zuwanderung und der Pandemie. Es gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft. Das ist genau das, was in den letzten Jahren gut gelungen ist.

Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sagt etwas anderes.

Nein, das sagt er eben nicht. Es wird immer behauptet, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland größer wird. Das ist mit Zahlen überhaupt nicht belegt. Natürlich gibt es immer noch zu viel Armut in unserem Land und natürlich müssen wir mehr für Kinder oder zum Beispiel Alleinerziehende tun, aber es geht den Menschen Jahr für Jahr besser. Wer soziale Gerechtigkeit will, der muss vor allem in Bildung investieren. Weil es nicht darum gehen kann, mit immer mehr Umverteilung soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

Zusammengefasst: Sie setzen auf Wirtschaftswachstum und sagen, dass das Soziale von alleine mitschwingt.

Falsch zusammengefasst. Wir setzen darauf, dass die Wirtschaft wächst, damit Jobs gesichert werden. Damit Investitionen getätigt werden, damit uns der Kampf gegen den Klimawandel gelingt. Damit wir mit dem Erwirtschafteten das Soziale finanzieren können. Durch gute Bildung und Stützung derer, die Unterstützung benötigen. Das Erfolgsrezept bleibt die soziale Marktwirtschaft, seit die CDU 1949 die Soziale Markwirtschaft zum Leitbild ihrer Wirtschaftspolitik gemacht hat.

Die Fragen stellte Ulrich Thiele.

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