Kardinal Marx - Der Schein-Altruist

Reinhard Marx überträgt 50.000 Euro an die Seenotrettungsinitiative „Lifeline“ – und zwar aus Mitteln des Bistums. Juristisch mag das in Ordnung sein. Doch der Kardinal überdehnt damit seine Kompetenzen auf unchristliche Weise. Von Alexander Kissler

Kardinal Marx gibt sich gerne generös –"scheinaltruistisch", wie Alexander Kissler findet / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Theologisch ist die Sache einigermaßen klar: Der Freisinger Erzbischof, Kardinal in München und Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, ist ein Heuchler. Was nämlich steht geschrieben im Neuen Testament, beim Evangelisten Matthäus? „Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen; sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden.“ Marx stellt seine Wohltätigkeiten und was er dafür hält, ins Schaufenster. So nun auch die Zuwendung von 50.000 Euro an den Dresdner Verein „Mission Lifeline“, der sich der Seenotrettung im Mittelmeer verschrieben hat.

Jubel aus dem Erzbistum 

Große Freude herrscht darob in der Leitung des Erzbistums. Vom offiziellen Account der Diözese beim Kurznachrichtendienst Twitter wurden zwischen dem 8. und 10. Oktober insgesamt sieben Tweets zur jubilierenden Weiterverbreitung der frohen Botschaft abgesetzt, angefangen beim Dankeschön des deutschen „Lifeline“-Kapitäns Claus-Peter Reisch für die „überaus großzügige Unterstützung durch das Erzbistum München-Freising für die nächste Mission“. 

Und damit begannen die Fragen, die bis heute nicht beantwortet, die Probleme, die bis heute nicht gelöst sind. Das enorme Geld, das auf das Konto einer umstrittenen, durch aggressives Selbstmarketing ebenso wie durch posaunenhaftes Moraltremolo glänzenden deutschen Organisation fließt, einer Organisation, die reichlich unbekümmert ist um die Folgekosten ihrer Rettungseinsätze für die aufnehmenden Länder – dieses Geld stammt ergo nicht aus der Privatschatulle des durch den Freistaat Bayern mit monatlich rund 13.000 Euro (Besoldungsgruppe B10) fürstlich bezahlten Bischofs.

Erfüllung des „Hirtendienstes“? 

„Überaus großzügig“ war der Geistliche mit dem Geld anderer Leute, dem Geld der Gläubigen. Ist er dazu berechtigt? Geben überzeugte Christen und Konventionskatholiken ihr Geld, damit durch ein und denselben Scheck ein kardinales Ego aufgepolstert und ein linkspolitisches Mandat wahrgenommen wird?

Unter den Bedingungen des deutschen Staatskirchenrechts dürfte die kirchliche Mittelverwendung legal sein. Das Erzbistum teilt mit: „Dem Erzbischof von München und Freising stehen Haushaltsmittel aus dem Etat des Erzbistums bereit, die er für soziale, caritative, weltkirchliche Zwecke ausgeben kann. Ziel ist es, mit diesen Mitteln zügig und unbürokratisch zu helfen. Die fraglichen 50.000 Euro stammen aus diesem Etatposten.“

Die im vergangenen Jahr bei einem Überschuss von 115 Millionen Euro auf 3,368 Milliarden Euro angewachsene Bilanzsumme des München-Freisinger Bistums gereicht Dax-Konzernen zur Ehre. Die Kirchensteuereinnahmen stiegen um 8,5 Prozent auf 590 Millionen Euro. Allein der Etat des „Erzbischöflichen Stuhls“, der die „Mittel zur Erfüllung der mit dem Hirtendienst des Erzbischofs verbundenen Aufgaben“ bereitstellt, beträgt rund 54 Millionen Euro. Früher hieß es: Unterm Krummstab ist’s gut leben. Heute passt: Mit der Kirchensteuer lässt sich‘s gut regieren.

„Spende“ als Ausdruck des marxschen Scheinaltruismus

Welchen Charakter hat der Vermögensübertrag von einem kirchlichen Etatposten zu einem privaten deutschen Verein, der sich zudem dem Vorwurf einer Beihilfe zur illegalen Menschenschlepperei ausgesetzt sieht? Handelt es sich, wie in mehreren Meldungen zu lesen stand, auch auf katholischen Seiten, um eine „Spende“ des Bischofs? Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wie das Erzbistum kann nicht spenden, ein Staat kann es auch nicht.

Kein Cent, den der Kardinal etwa privat durch Buchverkäufe verdient haben mag, kommt „Lifeline“ zugute. Es sind ausschließlich Etatmittel, Haushaltsmittel des Bistums, dessen finanzielles Wohlergehen auf der Fiskaltreue der Gläubigen beruht. Der Begriff der Spende suggeriert jenen Scheinaltruismus, auf den es Marx angelegt hat.

Ein Beispiel kirchlicher Barmherzigkeit?

Darum gibt die Bild-Zeitung die Intention der Geldtransaktion korrekt wieder, wenn sie im Sinn ihres Gastautors, aber sachwidrig heute titelt: „Marx spendete 50.000 Euro“. Nein, hat er nicht. Marx selbst nimmt in seinem Bild-Beitrag für sich in Anspruch, durch die hinaustrompetete Tat ein Beispiel christlicher Barmherzigkeit gegeben zu haben. „Unser Auftrag als Christen“ sei „die Barmherzigkeit“. Da irrt der Sozialethiker insofern, als christliche Barmherzigkeit freiwillige Tat des einzelnen ist und Attribut Gottes. Wer fremde Gelder ungefragt und zu stark umstrittenen Zwecken einsetzt, der handelt aus eigener Machtvollkommenheit.

Juristisch nicht, aber moralisch und theologisch werden durch den Vermögensübertrag vom Erzbistum an „Lifeline“ kirchliche Mittel zweckentfremdet. Ein beifallgieriger Priester überdehnt seine ekklesiale Autorität. Wer künftig nicht durch seine Kirchensteuerpflicht zum Mäzen eines neuen Marxismus werden will, dem bleibt nichts anderes übrig, als aus dieser Körperschaft auszutreten und katholisch zu bleiben.

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