Kampf gegen islamistischen Terror - „Unser moralischer Kompass zeigt uns eine klare Richtung“

Nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Dresden fordert CSU-Innenexperte Michael Kuffer eine Angleichung der Europäischen Menschenrechtskonvention an die Genfer Flüchtlingskonvention: Extremisten sollen auch in unsichere Herkunftsländer abgeschoben werden können.

Polizisten sammeln Spuren nach der tödlichen Messerattacke in Dresden Spuren / dpa
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Johanna Jürgens hospitiert bei Cicero. Sie studiert Publizistik und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsassistenz beim Inforadio des RBB.

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Michael Kuffer ist Rechtsanwalt und Politiker. Er sitzt als Abgeordneter für die CDU/CSU im Bundestag und ist Experte für Innen- und Sicherheitspolitik.

Es sind zwei Nachrichten islamistischer Taten in kurzer Zeit: Erst der Mord an Samuel Paty in Frankreich, jetzt stellt sich heraus, dass auch der Täter in Dresden mutmaßlich ein islamistisches Motiv hatte. Was macht das mit Ihnen? 

Das sind alles schockierende und unfassbar abscheuliche Taten. Es ist nahezu grotesk, dass Menschen, die wir vor Gewalt, Vertreibung und vielleicht gar dem Tod schützen, hier in Europa genau jenes verbreiten. Deshalb bin ich einfach tief bestürzt. Die Bevölkerung stellt uns nun zurecht bohrende Fragen, auf die wir nun Antworten geben müssen.

Der Tatverdächtige wird schon seit längerem vom sächsischen Landeskriminalamt (LKA) als islamistischer Gefährder geführt, soll auch für den IS geworben haben— wurde hier aber auch nach seiner Haftentlassung geduldet. Was ist da die aktuell geltende juristische Grundlage?

Die Grundlage ist die europäische Menschenrechtskonvention, die an dieser Stelle am strengsten ist. Das Ganze mündet dann ins deutsche Aufenthaltsgesetz und auf der Basis dieser Vorschriften gibt es eine Beschlusslage der Innenministerkonferenz, die eben einen Abschiebestopp nach Syrien grundsätzlich festschreibt. Die hat allerdings seiner Zeit auch darum gebeten, man möge untersuchen, ob man im Einzelfall, bei besonders schweren Straftaten und unter Berücksichtigung der Menschenrechtslage, im konkreten Fall doch Abschiebungen nach Syrien durchführen kann.

Und was steht dem im Wege?

Da haben wir aber eine sehr strenge Vorschrift in der europäischen Menschenrechtskonvention. Wir haben im internationalen Recht, in der Genfer Flüchtlingskonvention, eine ähnliche Vorschrift, die allerdings Ausnahmen kennt, anders als die europäische Menschenrechtskonvention. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention wäre ein Fall wie dieser, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, weil Terroranschläge, Mordanschläge drohen, ein Grund für eine Abschiebung, auch in einen Staat wie Syrien. 

Also verorten Sie das Problem auf europäischer Ebene? 

Ja, die europäischen Menschenrechtskonvention löst im Grunde den Konflikt zwischen den Sicherheitsinteressen des aufnehmenden Staates und den Menschenrechten des Betroffenen strikt zugunsten des Betroffenen auf. Und das ist aus meiner Sicht kritikwürdig. Diese Absolutheit ist, wie dieser Fall zum Beispiel zeigt, im Ergebnis völlig ungerechtfertigt. Deshalb brauchen wir auch auf europäischer Ebene eine Diskussion über diese Frage, ganz konkret über die Angleichung EMRK an die Genfer Flüchtlingskonvention.

Michael Kuffer 

Sie sagten am Donnerstag gegenüber der Bild-Zeitung: „Wer Gewalt und Tod nach Deutschland importiert, der muss auch Gewalt in seiner Heimat ertragen und Deutschland verlassen.“ Beziehen Sie sich dabei auf Gefährder oder auf bereits straffällig gewordene Islamisten? 

Die geltende Rechtslage, also unser Aufenthaltsgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention, unterscheidet insofern zwischen beiden nicht, als dass sie davon ausgeht, dass die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entscheidend ist. Das kann ein bereits Verurteilter, bereits straffällig Gewordener sein, bei dem Wiederholungsgefahr besteht und das kann einer sein, der als Gefährder eingestuft wird, weil die Gefahr besteht, dass eine solche Tat noch begangen wird. 

Also nicht „im Zweifel für den Angeklagten“?

Das ist doch auch die politische Diskussion, der wir uns stellen müssen: Die Menschen fragen uns doch, wie wir sie schützen. Selbstverständlich steht über allem die Menschenwürde, aber eben auch die Menschenwürde der Opfer und nicht nur die der Täter. Und insofern gibt es eben auch einen Schutzanspruch des Staates und über den müssen wir uns in der Frage Gedanken machen. Das ist in dieser Frage kein alleiniges Problem der Bundesrepublik Deutschland, sonst hätten wir es vermutlich schon gelöst. 

Wie sollte Ihrer Meinung nach ein solcher Beschluss aussehen, der einerseits vorsieht, dass islamistische Gefährder auch in Kriegsgebiete abgeschoben werden können, andererseits aber alle anderen Asylbewerber aus diesen unsicheren Herkunftsländern, die sich nichts zuschulden kommen lassen, einen Aufenthalt ermöglicht?

Letztlich geht es darum, dass wir Personen, die hier entweder schwere Straftaten begangen haben oder bei denen zu befürchten ist, dass sie schwere Straftaten begehen werden, abschieben und den Aufenthalt beenden. Das ist im Übrigen nur fair gegenüber den vielen Menschen, die hier herkommen und Schutz suchen und nicht im Sinn haben, hier Straftaten zu begehen. Das ist besonders im Sinne der unbescholtenen Asylbewerber. Denn es ist doch auch für den gesellschaftlichen Diskurs toxisch, wenn beides immer vermischt wird.

Wo ziehen Sie da die Grenze?

Ich meine damit nicht, dass jemand aus Unachtsamkeit oder aus Versehen eine fahrlässige Tat begeht oder meinetwegen auch eine geringfügige Vorsatztat. Hier geht’s doch wirklich um schwere Gewalttaten. Hier geht’s um Terroristen, um Gewalttäter und gegebenenfalls um Mörder und da sollten wir die Diskussion auch nicht komplizierter machen, als sie ist. Ein bisschen können wir uns doch, trotz der komplizierten Rechtslage, auch auf unseren moralischen Kompass verlassen und der gibt uns an dieser Stelle eine ganz klare Antwort.

Der Tatverdächtige wurde am 29. September aus der Haft entlassen, stand dann unter Führungsaufsicht. Trotzdem konnte er sich ein Messer besorgen und wenige Tage später diese Tat begehen. Ist die Verantwortung da auch bei den Behörden zu suchen? 

Mir geht es jetzt nicht darum, die Verantwortung zuzuweisen und Schuldige zu benennen. Da bin ich in diesen Fällen immer sehr vorsichtig, solange man noch nicht den gesamten Sachverhalt kennt. 

Kevin Kühnert beklagte im Spiegel das Schweigen der politischen Linken zum islamistischen Terror. Er erklärt das damit, dass diese „dem vom rassistischen Ressentiment lebenden politischen Gegner keine ungewollten Stichworte liefern wollen“. Wo positionieren Sie sich da in diesem Spannungsfeld? 

Zunächst einmal bin ich Kevin Kühnert dankbar und habe Respekt, dass er das anspricht. Denn es ist in der Tat besorgniserregend. Es schwingt ja immer der Verdacht mit, dass nach unterschiedlichen politischen Motiven selektiert wird. Und das Zweite, das Sie ansprechen: Liefern wir den Rechtsextremen damit Stichworte? Na ja, mir wäre es lieber, wir würden ihnen keine Grundlage liefern, indem wir solche Fälle bestmöglich bearbeiten können. Die Frage „Was ist eine richtige politische Entscheidung?“, mache ich normalerweise nicht davon abhängig, wie bestimmte politische Gruppen auf beiden Seiten damit umgehen. Deswegen bleibt eine politische Entscheidung trotzdem richtig. Diese Schmutzfinken werden immer was finden, womit sie ihr Geschäftsmodell betreiben können, nämlich Erregung und Provokation – da ist es relativ egal, was wir machen. Ich bin dafür, dass wir diese Frage sachlich diskutieren und Dinge, die aus dem Lot geraten sind, wieder zurechtrücken. 

Jetzt kann man viel fordern - welche konkreten politischen Schritte wollen Sie einleiten, um genau diese Forderungen auch umzusetzen? Und wen sehen Sie da in der Verantwortung?

Die Innenministerkonferenz hat bereits im Dezember 2019 in einem Beschluss auch einen Auftrag an die Bundesregierung ausgesprochen. Und ich denke, dass es wert ist, an dieser Frage weiter zu arbeiten. Zu schauen: Wo kann man mit der aktuellen Rechtslage, insbesondere auf europäischer Ebene, trotzdem im Einzelfall abschieben? Es gibt ja auch in Syrien sichere Regionen. Ich denke schon, dass wir da auch auf Bundesebene nacharbeiten können und müssen. Und der zweite Schritt ist eine Diskussion auf europäischer Ebene: Neben Deutschland und anderen Mitgliedstaaten ist besonders Frankreich schwer betroffen. Wir sollten deshalb gemeinsam auf europäischer Ebene eine Diskussion dazu anzustoßen. Es ist wert und höchste Zeit, das anzugehen.  

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