Jens Spahn über Migration - „Wir brauchen das Signal, dass wir Zuzug begrenzen“

Nach einem Auftritt in der Talksendung „Hart aber fair“ erntet Unions-Fraktionsvize Jens Spahn harsche Kritik. Ein Vorwurf lautet, er habe Push-Backs an der EU-Außengrenze gefordert. Im Interview pocht der CDU-Politiker auf eine offene und ehrliche Debatte über Migration.

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Jens Spahn ist Unions-Fraktionsvize. Seit 2002 sitzt er für das Westmünsterland im Bundestag.Von 2018 bis 2021 war er Bundesgesundheitsminister. Er ist Mitglied des CDU-Präsidiums. 

Herr Spahn, Ihr Auftritt gestern bei „Hart aber fair“ hat für Aufsehen gesorgt. Sie wollen Zuwanderung an den EU-Außengrenzen erschweren. Wie soll das genau passieren?

Europa braucht Kontrolle darüber, wer einreist. Das geht nur an den Außengrenzen. Aktuell entscheiden Schleuser und Schlepper darüber, wer Europa betritt. Gleichzeitig senden wir die Botschaft: Wer es einmal nach Europa geschafft hat, hat große Chancen zu bleiben. Beides führt dazu, dass sich zu viele Menschen auf den Weg machen und dafür ihr Leben riskieren. 

Der Vorwurf lautet, Sie würden illegalen so genannten „Push-Backs“ das Wort reden, also unerlaubte Zurückweisung von Asylbewerbern. Was fordern Sie?

Wir wollen humanitäre Hilfe leisten. Gleichzeitig stoßen unsere faktischen Aufnahmekapazitäten vielerorts an ihre Grenzen. Wir müssen diese Realität anerkennen. Unsere Möglichkeiten sind endlich. Deshalb braucht es neben entschlossener Hilfe auch das Signal, dass wir den Zuzug begrenzen. Eine Möglichkeit ist, Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen und Menschen ohne Anrecht auf Schutz an den Außengrenzen zurückzuweisen.  

Was wird passieren, wenn die Grünen an Ihrer Haltung der „offenen Grenzen“ festhalten?

Ich würde mir wünschen, dass wir die Debatte entlang sachlicher Argumente führen. Wie lange schaffen wir es noch, mit Einwanderung dieser Größenordnung umzugehen? Das schließt eindrücklich ein, den Menschen, die zu uns kommen, gerecht zu werden: bei der Wohnsituation, Sprachkursen, Kinderbetreuung, psychologischer Hilfe und vielem mehr. So wie es jetzt ist, geht das vielleicht noch ein paar Wochen, möglicherweise Monate, vielleicht sogar ein Jahr. Langfristig aber sicher nicht. Daraus müssen wir doch Konsequenzen ziehen. Im Interesse aller.
 

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Im Internet geht die Auseinandersetzung weiter. Ein grüner Bundestagsabgeordneter sieht die Union „am Tiefpunkt“ und ist „entsetzt“. Andere sprechen von „menschenverachtendem Gerede“. Was läuft falsch an der Debatte?

Diese Reflexe sind nicht neu und offensichtlich nicht lösungsorientiert. Mein Eindruck ist aber, dass das zunehmend Einzelfälle sind. Denn auch im linken Spektrum wächst die Einsicht, dass es so nicht dauerhaft weiter geht. Überlastung verhindert Integration. Wir brauchen eine sachliche Debatte darüber.

Was entgegnen Sie auf den Vorwurf, Sie würden eine AfD-Rhetorik bedienen?

Das ist der erkennbare Versuch, eine sachliche Debatte zu verhindern. Wenn der Bundeskanzler sagt, dass Menschen, die keinen Anspruch auf Schutz haben, abgeschoben werden müssen – ist das dann AfD-Rhetorik? Mit solchem Unfug kommen wir doch nicht weiter. Im Gegenteil: Wenn wir diese Debatten nicht offen und ehrlich führen, stärkt das die extremen Rechten.

Sie warnen davor, dass sich der Kontrollverlust, den es bei der Flüchtlingskrise 2015/2016 gegeben hat, nicht wiederholen darf. Gibt es für eine andere Flüchtlingspolitik Mehrheiten im Bundestag?

Das wird sich zeigen. Der Kanzler hätte das Thema längst zur Chefsache machen müssen. Der Hilferuf vieler Kommunen wurde zu lange ignoriert, der letzte Flüchtlingsgipfel blieb ohne konkretes Ergebnis. Mein Eindruck ist, dass in der Ampel das Bewusstsein wächst, dass die Zeit des Wegduckens vorbei ist.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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