Hochwasserkatastrophe - „Der Zusammenhalt ist riesig“

Bad Münstereifel gehörte Mitte Juli zu den am stärksten betroffenen Hochwassergebieten in Nordrhein-Westfalen. Im Interview mit „Cicero“ berichtet Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian (CDU) vom aktuellen Stand der Aufräumarbeiten und warum sie trotz der schweren Zerstörungen optimistisch in die Zukunft blickt.

Wiederaufbau in Bad Münstereifel / dpa
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Jonas Klimm studierte Interdisziplinäre Europastudien in Augsburg und absolvierte ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Frau Preiser-Marian, Ihre Stadt Bad Münstereifel war im Juli besonders heftig von der Hochwasserkatastrophe betroffen – Häuser wurden weggespült, Straßen und Brücken zerstört, fünf Bewohner von Bad Münstereifel kamen ums Leben. Sie selbst sprachen von „Verlusten, die man mit Geld nicht wieder gut machen kann“. Deshalb zunächst mal die Frage: Wie geht es den Bürgerinnen und Bürgern von Bad Münstereifel rund vier Monate nach der Hochwasserkatastrophe?

Pauschal kann ich das nicht beantworten, jeder ist natürlich auf unterschiedliche Weise betroffen. Die Angehörigen der Verstorbenen haben eine große Trauerarbeit zu bewältigen. Es gibt auch nach wie vor viel Bedarf nach psychologischer Seelsorge. Dadurch, dass Bad Münstereifel so kleinstädtisch und familiär geprägt ist, haben wir aber einen großen Vorteil. Jeder kennt jeden, der Zusammenhalt ist riesig. Das bringt Trost und Unterstützung untereinander. Daneben haben natürlich nach wie vor viele mit den enormen Schäden zu kämpfen. Die Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten bestimmen den Alltag der Menschen.

Sabine Preiser-Marian / privat

Wie gehen die Aufräumarbeiten voran, und wie gestaltet sich die Versorgungslage vor Ort?

Da muss ich zwischen der historischen Kernstadt und unseren zahlreichen Ortsteilen unterscheiden. In der Innenstadt wurden viele alte Fachwerkhäuser komplett überflutet. Die müssen nun wiederhergestellt werden. Hier kommen wir insgesamt gesehen aber gut voran. Unser Ziel als Stadt ist es, im Sommer kommenden Jahres alles zumindest wieder soweit hergerichtet zu haben, dass die Geschäfte und die Gastronomie wiedereröffnen können und die Touristen kommen. In den Ortsteilen gestaltet es sich hingegen sehr unterschiedlich. Entlang der Erft, dem Hauptgewässer in Bad Münstereifel, hat das Hochwasser elf Wohnhäuser komplett weggeschwemmt, viele andere Gebäude wurden schwer beschädigt. Es gibt Familien, die schon voll beim Wiederaufbau sind, weil sie sofort Geld von der Versicherung bekommen hatten und Handwerker zur Verfügung standen. Andere sitzen noch da und werden mit Gas notversorgt.
 
Wo leben denn die Menschen, die momentan noch nicht in ihre Häuser zurückkehren können?

Unsere Kommune hält in der Regel Wohnraum für Geflüchtete bereit, dort sind die Flutopfer zum Teil untergebracht. Andere sind bei Familienmitgliedern oder in Ferienwohnungen. Alle Flutopfer werden gut versorgt und wo es geht von unserer Kommune unterstützt.

Als Reaktion auf die Hochwasserkatastrophe hat die Bundesregierung zusammen mit den Länderregierungen Wiederaufbauhilfen auf den Weg gebracht. Insgesamt handelt es sich dabei um 30 Milliarden Euro für die Flutgebiete, für den Wiederaufbau in Nordrhein-Westfalen stehen rund 12,3 Milliarden bereit. Kürzlich berichtete der WDR, dass die Auszahlung der Gelder aus dem Wiederaufbaufonds des Landes NRW nur sehr langsam angelaufen sei, zu langwierig und kompliziert seien die Verfahren. Zahlreiche Flutopfer warteten demnach auf die dringend benötigte Hilfe. Wie läuft die Auszahlung der Gelder in Bad Münstereifel?

Zunächst möchte ich die Soforthilfen nicht unerwähnt lassen, die direkt nach der Flutkatastrophe vom Land NRW zur Verfügung gestellt wurden. Die 3,7 Millionen Euro haben die Not von 1800 Haushalten zumindest etwas gelindert.
 
Zurück zum Wiederaufbaufonds. Haben Sie Beschwerden über zu langwierige Verfahren aus der Bevölkerung erhalten?

Natürlich hört man schon mal ein Stöhnen, es dauere alles zu lange und sei viel zu zäh. Das Problem ist aber nicht das Verfahren an sich. Es muss natürlich etwas bürokratisch sein, man muss die Voraussetzungen ja auch prüfen. Das ist beim Einsatz von Steuergeldern absolut legitim. Das größere Problem ist derzeit eher, Gutachter zu bekommen. Viele Menschen brauchen so einen Gutachter, die sind aber rar gesät. Um die Wiederaufbauhilfe bei einem Schaden von über 50.000 Euro zu erhalten, benötigt man aber die Bestätigung des Gutachters. Und bei den meisten liegen die Schäden nun mal über diesem Wert.

Die schrecklichen Bilder der Verwüstung haben viele Menschen bewegt, innerhalb weniger Wochen wurden in ganz Deutschland mehrere hundert Millionen Euro gespendet. Mittlerweile ist die Hochwasserkatastrophe medial wieder aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Haben Sie die Sorge, dass das Schicksal der Flutopfer in Vergessenheit geraten könnte und die Spendenbereitschaft weiter nachlässt?

Nein, überhaupt nicht! Wir haben ständig hochrangigen Besuch von der Landespolitik, kürzlich war auch der neue Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zu Besuch. Rundfunk und Fernsehen habe ich am laufenden Band hier. Ich habe noch gar nicht das Gefühl, dass das Interesse nachlässt. Medienvertreter sagen mir auch, sie kämen gezielt zu mir, weil sie nicht wollten, dass das Interesse abflacht. Dafür bin ich unglaublich dankbar. Das spiegelt sich auch in der Spendenbereitschaft wider, die nach wie vor sehr hoch ist.

Kurz nach der Hochwasser-Katastrophe war auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bad Münstereifel, um sich selbst ein Bild von der Situation vor Ort zu machen. Was hat sie Ihnen mitgegeben?

Sie wollte Ihre Anteilnahme zeigen. Man hat ihr angemerkt, dass sie sehr schockiert war ob der Schäden. Die Leute waren einfach nur tief traurig und verzweifelt. Merkel wollte sie trösten und ihnen Mut machen. Das ist ihr auch gelungen. Sie hat sich wirklich Zeit genommen, um mit den Menschen zu sprechen. Und sie hat mir versprochen, dass sie wiederkommen werde. Auch wenn sie dann nicht mehr Bundeskanzlerin ist. Als ich sie später noch auf einer Konferenz in Hagen getroffen habe, hat sie mir vom Podium aus zugerufen: „Richten Sie der Frau mit dem kleinen Café aus, wir haben etwas gemacht, um ihr zu helfen.“ Das war für mich das Zeichen, dass ihr die Einzelschicksale wirklich wichtig waren.

Nun hat der Deutsche Wetterdienst vor einiger Zeit einen Bericht veröffentlicht, nach dem die Starkregenereignisse weiter zunehmen werden. Wie werden Sie die künftige Bebauung den veränderten Wetterbedingungen anpassen?

Unser Ziel beim Wiederaufbau der städtischen Infrastruktur ist es, den Hochwasserschutz zu berücksichtigen und Hochwasserschutzmaßnahmen gemeinsam mit dem Wasserverband voranzutreiben. Kurz vor dem Hochwasser hatten wir einen Kindergarten gebaut, den hatten wir bereits einen halben Meter höher gelegt, als es ein HQ 100 (Pegelhöhe, die ein Gewässer durchschnittlich einmal in 100 Jahren erreicht, Anmerkung der Redaktion) erfordert. Trotzdem wurde der Kindergarten in der ersten Etage komplett zerstört.

Wie sieht der Plan für die nächsten Monate aus?

Wir sind mitten im Wiederaufbau. In der Kernstadt soll das Wirtschaftsleben mit dem City-Outlet, Einzelhandel und der Gastronomie im nächsten Sommer wieder hochfahren. Das ist ein enormer Kraftakt. Wir hatten ja keine Straßenbeläge und Leitungen mehr, Strom und Gas musste wiederhergestellt werden. Außerdem wollen wir Natursteinpflaster möglichst barrierearm verlegen, wir stehen kernstädtisch komplett unter Denkmalschutz. Wir ermitteln derzeit die Schäden für den Wiederaufplan, der als Grundlage für die Wiederaufbauhilfe der Kommune steht, rechnen aber momentan alleine für die Innenstadt mit einem Betrag von rund 300 Millionen Euro. Das bekommen wir dann hoffentlich vom Land bewilligt.

Wann, denken Sie, wird der Moment kommen, in dem das Leben in Bad Münstereifel wieder seinen gewohnten Gang geht?

Tja, das ist die große Frage. Das eine ist das Wirtschaftsleben in der Kernstadt. Dort hoffen wir im Sommer wieder so weit zu sein, dass wir Touristen empfangen können. Das andere ist das Leben in unseren vielen Ortsteilen. Es gibt so viele Baustellen, sei es, dass eine Brücke weggerissen wurde oder die Telefonie bis heute immer wieder ausfällt. Bis alles abgearbeitet ist, was die Flut verursacht hat, das wird fünf bis zehn Jahre dauern.

Das sind die ökonomischen und städtebaulichen Aspekte. Aber wann werden die emotionalen Wunden der Katastrophe verheilt sein?

Der Mensch ist darauf ausgelegt, dass Wunden irgendwann verheilen. Die Frage ist, wie kann jeder im Nachgang mit den Folgen umgehen. Entscheidend ist natürlich, was man an Verlusten hat. Fürchterlich sind die Todesopfer, die zu beklagen sind. Aber auch sonst haben die Fluten so viel vernichtet. Wenn ich mir nur vorstelle, was alles verloren ging: Bilder, Schriftstücke, Briefe, an denen man gehangen hat. Ganze Lebensgeschichten. Es bedeutet, quasi wieder bei Null anzufangen.

Das geht Ihnen persönlich sehr nahe. Blicken Sie trotzdem mit Optimismus in die Zukunft?

Immer, ich bin ein optimistischer Mensch. Klar habe ich auch Tage, wo ich sage, ich kann nicht mehr. Aber dann gehe ich abends ins Bett, stehe am nächsten Tag wieder auf, und es geht weiter. Das ist auch, was man von mir erwartet. Ich versuche mich selbst auch an Kleinigkeiten hochzuziehen. Neulich konnte ein Friseur wiedereröffnen, das sind die Lichtblicke. Dann freue ich mich mit den Leuten.

Die Fragen stellte Jonas Klimm.

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