Hass-Kolumne in der „taz“ - „Bösartig und vergiftend“

Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann erklärt im Interview, was er von der umstrittenen „taz“-Kolumne hält, warum er trotzdem Genosse bei der linken Tageszeitung bleiben will – und aus welchem Grund Horst Seehofer mit seiner angekündigten Strafanzeige falsch lag.

Der Agentur-Inhaber und ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann
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Kai Diekmann, Sie sind seit vielen Jahren Genosse bei der taz. Das heißt, Sie halten Anteile an einer Zeitung, die seit gut einer Woche mit einer Kolumne Aufmerksamkeit erregt, in der die Autorin vorschlägt, Polizisten als Abfall zu entsorgen. Können Sie so etwas vertreten?
Als Genosse bin ich natürlich nicht für die redaktionellen Inhalte der Zeitung verantwortlich. Da gibt es ja aus guten Gründen eine saubere Trennung. Als Chefredakteur von Bild war ja auch ich für die Inhalte verantwortlich – und nicht der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Verlags. Gleichwohl muss ich als Genosse der taz nicht mit den Inhalten einverstanden sein.

Wie kam die taz-Kolumne bei Ihnen an?
Ich halte sie unter journalistischen Gesichtspunkten schlichtweg für schlecht und hätte mir gewünscht, sie wäre nicht veröffentlicht worden. Ich schätze die taz ja auch deshalb, weil sie mitunter zwar geschmacklos ist, aber gleichzeitig geschmacklos gut. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass es in Deutschland zwei erfolgreiche Boulevard-Zeitungen gibt, nämlich eine ganz große namens Bild. Und eine ganz kleine namens taz. Als wir bei Bild damals getitelt haben „Wir sind Papst!“, titelte die taz „O Gott!“. Das fand ich zwar geschmacklos, aber eben gut. Geschmacklosigkeit gehört zum Boulevard dazu, allerdings muss sie Qualität haben. Das ist wie mit der Kunst von Martin Kippenberger. Die Polizisten-Kolumne dagegen war einfach nur schlecht.

Die taz-Chefredakteurin hat nach Erscheinen der Kolumne gesagt, es habe sich um Satire gehandelt. Ist das glaubwürdig – oder einfach nur ein hinterhergeschobener Rechtfertigungsversuch?
Ich habe das nicht als Satire empfunden. Wenn das inzwischen der Standard von Satire in der taz sein sollte, dann wäre es mit der Qualität dieser Zeitung in den letzten Jahren jedenfalls erheblich bergab gegangen. Satire muss ja immer auch einen humoristischen Aspekt haben; man muss darüber lachen können. Das habe ich in dem Fall nicht gekonnt. Es ist also erkennbar ein nachgeschobenes Argument, wenn es heißt „Satire darf alles“. Was ja übrigens auch inhaltlich nicht stimmt, denn Satire darf eben nicht alles. Das Recht auf freie Meinungsäußerung erfährt in Deutschland aus guten Gründen auch Grenzen. Vielleicht sollte ich bei einer der nächsten Genossenschaftsversammlungen der taz mal wieder auftauchen und das zum Thema machen.

Sie waren selbst mal einen Tag lang Chefredakteur bei der taz. Haben Sie eine Idee, wie solche Beiträge überhaupt den Weg zur Veröffentlichung finden können? Gibt es da keine Redaktion, die die Texte nochmal auf journalistische Mindeststandards hin abklopft?
Ich war tatsächlich mal einen Tag lang Chefredakteur bei der taz, aber eben auch nur einen Tag lang. Und das war im Jahr 2003 zum 25-jährigen Bestehen der Zeitung. Von innen kenne ich die Redaktion also ganz bestimmt nicht. Was da jetzt mit der Polizisten-Kolumne schief gelaufen ist, darüber kann ich deshalb nur mutmaßen. Womöglich lag es daran, dass auch die taz unter einem höheren Druck steht als früher. Dass also weniger Kollegen mehr Inhalte veröffentlichen müssen. Da versagt dann wohl an der einen oder anderen Stelle die Qualitätskontrolle.

Also Versehen statt Absicht?
Das wäre zumindest meine Hoffnung. Dass sich da also niemand Gedanken darüber gemacht, sondern das Stück einfach rausgehauen hat. Das hätte nicht passieren dürfen.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie ausgerechnet als Bild-Chefredakteur Genossenschaftsanteile an der taz erworben haben?
Die taz hat sich schon immer intensiv mit mir beschäftigt. Deswegen ja auch die Einladung, zum 25. Geburtstag einen Tag lang die Redaktion dort zu leiten. Es war damals eine Aktion, bei der die „Lieblingsfeinde“ der taz die Jubiläums-Ausgabe gestalten sollten. Da waren außer mir selbst also auch Leute wie Peter Boenisch, Rudolf Scharping und Hans-Olaf Henkel dabei – und wir haben es als „Lieblingsfeinde“ geschafft, dass Helmut Kohl der taz sein erstes und einziges Interview gab. Es war übrigens die meistverkaufte taz-Ausgabe aller Zeiten. In der Folge davon habe ich dann von der taz die Einladung erhalten, Genossenschaftsanteile zu zeichnen.

War das ernst gemeint?
Ich hoffe zumindest, dass es wegen des großen Erfolgs der „Lieblingsfeinde“-Ausgabe ernst gemeint war. Wahrscheinlich hat es sich aber nur um ein Versehen gehandelt. Jedenfalls habe ich damals die Gelegenheit genutzt und tatsächlich Genossenschaftsanteile gezeichnet.

In welchem Umfang?
Also, es waren jedenfalls Genossenschaftsanteile zu je 500 Euro das Stück. Und die habe ich im Laufe der Jahre sogar noch aufgestockt. Allerdings kann ich gar nicht so genau sagen, wie viele es inzwischen geworden sind.

Kann man diese Anteile eigentlich auch zurückgeben, wenn man sich mit der taz überhaupt nicht mehr identifiziert?
Da bin ich völlig überfragt. Ich habe von Leuten gehört, die jetzt wegen der Polizisten-Kolumne wohl ihre Anteile zurückgegeben haben. Ich selbst würde das aber nicht tun.

Warum nicht?
Weil ich die taz über viele Jahre hinweg für einen wirklich spannenden Titel gehalten habe. Diese Zeitung hat es immer wieder geschafft, tolle Journalisten hervorzubringen. Ich habe den Fotografen Daniel Biskup von der taz zu Bild geholt. Oder auch den Journalisten Robin Alexander, als ich Chefredakteur der Welt am Sonntag war. Die taz war immer schon ein Becken für großartige Talente. Außerdem brauchen wir eine Zeitung, die unbequem ist, die verrückte Dinge macht – und die manchmal auch geschmacklos ist. Gerade deswegen braucht die taz nicht nur Fans in ihrer Genossenschaft, sondern auch harte Kritiker wie mich.

Haben Sie sich als Genosse je aktiv eingebracht bei der taz?
Ja, habe ich. Nicht nur mit schriftlichen Anfragen an das Management, sondern ich bin auch mindestens einmal bei einer Jahresversammlung der taz-Genossenschaft aufgetreten. Da habe ich kritische Fragen zur Geschäftsentwicklung gestellt. Zuletzt habe ich immer mal wieder gefragt, was eigentlich aus meinem Denkmal an der Außenfassade des ehemaligen taz-Gebäudes in Kreuzberg werden soll. Wobei mir schon klar ist, dass sich diese große Skulptur nicht ganz einfach in die Glasfassade des neuen taz-Hauses integrieren lässt.

Es geht um das Diekmann-Denkmal mit dem Riesen-Penis.
Ganz genau. Das ist ein Ort, der aktiv aufgesucht wird. Insbesondere von japanischen Touristen. Mich hat es immer stolz gemacht, wenn die davor standen und es fotografiert haben. Vor einem Jahr habe ich mal meine Kinder dorthin geführt.

Und wie fanden sie die Erektion ihres Vaters?
Sie haben ziemlich gekichert.

Hat sich die taz eigentlich verändert, seit Sie dort Genosse wurden?
In den vielen Jahren hat es bei der taz einige Wechsel in der Chefredaktion gegeben, und wenn sich die Zeitung in dieser Zeit nicht verändert hätte, wäre das auch nicht gut. Ich gestehe aber, dass ich die taz nicht mehr so regelmäßig zur Kenntnis nehme wie während meiner Zeit als Chefredakteur von Bild.

In der aktuellen Dienstags-Ausgabe der taz wird in einer Kolumne namens „Wahrheit“ gemutmaßt, Ihr Nachfolger als Bild-Chefredakteur, Julian Reichelt, würde an Rinderwahnsinn leiden. Muss man als Bild-Chef mit solchen Sachen leben? An gleicher Stelle wurde ja mal in der taz geschrieben, Sie hätten sich einer Penis-Verlängerung unterzogen.
Mit der „Wahrheit“-Kolumne begann damals ja meine intensivere Liebesbeziehung zur taz. Es ging da übrigens um eine vermeintliche Penis-Operation, die auch noch missglückt wäre. So etwas muss man aushalten als Bild-Chefredakteur – egal, wie dumm, geschmacklos oder auch witzig das ist. Es gab damals wirklich viele gelungene Satiren über mich, insbesondere in der Titanic. Die Rinderwahnsinn-Satire über Julian Reichelt dagegen halte ich weder für gelungen, noch für originell oder gar witzig. Aber wie gesagt, so etwas muss man aushalten, weil man als Bild-Chef ja auch nicht zimperlich ist, wenn es ums Austeilen geht.

Allerdings. Ist da die Bild überhaupt das richtige Medium, um die taz wegen der Polizisten-auf-den-Abfall-Kolumne zu kritisieren?
Wie gesagt, wer austeilt, muss auch einstecken können. Das gilt auch für die taz.

Innenminister Horst Seehofer hat am Wochenende in Bild angekündigt, er werde Strafanzeige gegen die Autorin der taz-Kolumne stellen. Inzwischen scheint er von diesem Plan abgerückt zu sein. War Seehofer da ein bisschen voreilig?
Natürlich fällt es mitunter schwer, Dinge unter das Recht auf Meinungsfreiheit zu subsummieren, die nicht nur geschmacklos sind, sondern auch bösartig und vergiftend. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob es in diesem Fall sinnvoll ist, mit juristischen Mitteln dagegen vorzugehen. Zumal die taz-Kolumne dadurch auch noch aufgewertet wird und jetzt zu einer Solidarisierung von Meinungsmachern aus Medien und Kultur mit der Autorin führt. Dadurch wird eine Aufmerksamkeit geschaffen, die dieses schlechte Stück Journalismus niemals verdient hätte.

Sie sind Miteigentümer der Agentur Storymachine, die auch auf Krisen-PR spezialisiert ist. Was würden Sie Seehofer jetzt raten?
Wir reden grundsätzlich weder über unsere Kunden noch über unsere Nicht-Kunden. Ich kann nur aus meiner Erfahrung als Bild-Chefredakteur sagen: Mir sind sehr wenige ähnlich gelagerte Fälle in Erinnerung, bei denen Politiker in juristischen Auseinandersetzungen mit Journalisten erfolgreich gewesen wären. Auch viele Dinge, die etwa Jan Böhmermann so von sich gibt, finde ich weder geistreich, noch witzig oder satirisch. Aber es sind Sachen, die man trotzdem aushalten muss. Was ja nicht heißt, dass man sie nicht kritisieren dürfte. Solchen Provokationen mit dem Strafrecht beikommen zu wollen, ist der falsche Weg.

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