Corona-Infektion von Harald Hänisch - Ihr Stadtrat stirbt, die AfD schweigt

Ein sächsischer AfD-Stadtrat, der sich nach einer Querdenker-Demo mit Corona infiziert hatte, ist gestorben. Aber die Partei will den Tod weder melden noch bestätigen. Damit befeuert sie Gerüchte. Dieser Artikel hat im Dezember besonders viele Leser interessiert.

Ohne Maske auf der Demo: Der Tod eines mit Corona infizierten Parteimitglieds bringt die AfD in Erklärungsnot / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Zwei Tage, nachdem der Tod seines Parteifreundes bekannt wurde und alle rätseln, ob Harald Hänisch an Corona gestorben ist, hat Ingo Weitzmann sein Handy ausgeschaltet. Weitzmann sitzt seit 2019 für die AfD im Stadtrat von Böhlen im Kreis Leipzig. Sie sind zu dritt in der Fraktion. Die Partei ist die zweitstärkste, nach der SPD. 

Mit seinem verstorbenen Kollegen ist er noch bis vor kurzem gegen die Corona-Regeln der Bundesregierung auf die Straße gegangen, zuletzt am 19. November in Berlin und am 21. November in Leipzig. Neun Tage später wünscht er Hänisch auf der Facebookseite der AfD Böhlen „schnellst mögliche Genesung“ und „dass er uns bald wieder mit Rat und Tat zur Seite steht.“ Dieser Post wurde in der Nacht zum Sonntag gelöscht, und man würde Weitzmann gerne fragen, warum. Aber er ist nicht erreichbar, und deshalb brodelt in der 6.700-Einwohner-Stadt die Gerüchteküche. Dabei glaubt der Leipziger Grünen-Stadtrat und Rechtsanwalt Jürgen Kasek, den Grund zu kennen. 

Ein grüner Politiker macht den Fall auf Twitter publik 

Auf Twitter hat er am Samstagabend nach einem Telefonat mit Böhlens Vize-Bürgermeister Mirko Altmann (SPD)  die Nachricht vom Tod Hänischs und den Hinweis verbreitet, dass die Corona-Infektion nach der Demo in Leipzig am 21. November diagnostiziert worden sei. Ob Hänisch an den Folgen der Pandemie gestorben sei, wusste er da noch nicht. „Das hat mir abends noch ein Familienmitglied bestätigt“, sagt er dem Cicero. Auch diese Meldung hat er drei Stunden später an seinen Tweet drangehängt. Dass die Genesungswünsche inzwischen von der AfD-Facebookseite verschwunden sind, wundert ihn nicht. „Der AfD ist die Sache zu groß und zu heiß geworden. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“ 

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Die AfD und Corona, das ist ein Kapitel für sich. Ein Riss geht durch die Partei, er trennt Corona-Skeptiker und Corona-Leugner von den Anhängern des gemäßigten AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen. Der hatte sich beim jüngsten Parteitag entschieden von Mitgliedern distanziert, die Corona-Regeln wie die Maskenpflicht boykottieren. Auch Harald Hänisch war einer von denen. Jeden Montag lud er die Bürger von Böhlen „zu einem Spaziergang für den Erhalt unserer Grundrechte" ein. Eine Maske trug er dabei nicht. Corona war für ihn nicht gefährlicher als jede andere Grippe. 

Der Fall Hänisch bringt die AfD in Erklärungsnot 

Wenn es stimmt, dass ausgerechnet ein Corona-Skeptiker an Covid-19 gestorben ist, dann bringt das nicht nur die Drei-Mann-Fraktion in Böhlen in Bedrängnis, sondern auch die Mutterpartei. Dann muss sich die AfD insbesondere auch in Sachsen fragen lassen, wie es ihr Fraktions- und Parteichef Jörg Urban verantworten kann, bei Demonstrationen der sogenannten Querdenker ohne Maske mitzumarschieren und damit die Botschaft zu verbreiten, dass die Sicherheitsmaßnahmen überflüssig seien. 

Sachsen gilt als Hot Spot in der Pandemie. Nirgendwo steigt die Zahl der Infizierten so steil an wie hier. Wer diesen Trend ignoriert und behauptet, die Politik übertreibe die Gefahr, um die Freiheitsrechte der Bürger einzuschränken, stellt die eigene Politik über die Gesundheit und das Leben anderer. 

Gefährdet Populismus den Kampf gegen die Pandemie? 

Am stärksten betroffen sind Regionen, in denen die AfD bei der letzten Landtagswahl besonders gut abgeschnitten hat. Einen kausalen Zusammenhang kann man daraus nicht ableiten, aber eine Korrelation vielleicht schon, sagt Matthias Quent, Direktor des Institutes für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Er analysiert gerade, ob Populismus und Extremismus die Bekämpfung in der Pandemie gefährden. 

Der Fall Hänisch ist deshalb so brisant, weil er Quents These zu belegen scheint. Harald Hänisch wäre der erste bestätigte Corona-Tote der AfD. Und die Art, wie die AfD damit umgeht, verrät viel darüber, wie sie mit Irrtümern umgeht. Offiziell hat die Partei bislang nicht mal seinen Tod gemeldet oder bestätigt. Dieter Berndt, der parteilose Bürgermeister von Böhlen, weiß nicht, ob ihn das traurig oder wütend machen sollte. Er sagt, vom Tod des AfD-Politikers habe er erst aus den Medien erfahren.

Kein Wort über den Tod auf der AfD-Facebookseite  

Er hätte sich eine offizielle Bestätigung der Partei gewünscht, wenn nicht von der Fraktion in Böhlen, dann doch von der AfD im Kreis oder von der Landespartei. Er verstehe nicht, warum die Partei das Thema einfach aussitze. „Damit feuert die Partei die Gerüchteküche doch erst recht an.“ 

Wohin das führt, zeigt ein Blick auf die Facebookseite der AfD-Fraktion Böhlen. Das Foto einer brennenden Kerze am ersten Advent, das ist der letzte Post der Partei. Ein Abschiedsgruß an den verstorbenen Hänisch oder Worte des Trostes oder der Anteilnahme für seine Familie? Fehlanzeige. Einige Leser finden das befremdlich. „Wie kann man den Tod eines Kollegen einfach außer Acht lassen?“, fragt eine Frau. „Schämt Euch!“ 

Als „Kameradenschweine“ beschimpft  

Andere Leser werden deutlicher. „Es ist so traurig, sich als Alternative zu bezeichnen, aber völlig desolat zu reagieren“, schreibt einer. „So kann es gehen mit Krankheiten, die es gar nicht gibt“, ätzt ein Mann. Dass der Post mit den Genesungswünschen an Harald Hänisch nachträglich gelöscht wurde, kommt nicht gut an. Als „Kameradenschweine“ müssen sich Ingo Weitzmann und sein Parteifreund Hans-Jürgen Krebs beschimpfen lassen. 

Noch hämischere Kommentare kann man auf der Facebookseite der Leipziger Querdenker lesen. Auch in ihren Reihen soll es jemanden geben, der nach der Teilnahme an einer Demo künstlich beatmet werden musste. So hatte es der Leiter der Leipziger Uniklinik, Christoph Josten, bei einer Pressekonferenz verkündet. Die Querdenker streiten das aber ab. Von „Fake News“ ist die Rede. „Wir waren geschockt, als wir das in der Leipziger Volkszeitung gelesen haben“, sagt der Betreiber der Leipziger Facebookseite, Nils Wehner, dem Cicero. Er habe den ganzen Tag herumtelefoniert. Fehlanzeige. Weder aus Leipzig, Berlin noch aus Stuttgart habe es jemanden erwischt. 

Aber wenn es so wäre, hätte er es dann kommunizieren können, ohne das Gesicht zu verlieren? „Ja“, behauptet Wehner. Aber er persönlich demonstriere auch nicht gegen die Maskenpflicht, sondern gegen „Eingriffe“ in seine Grundrechte. Er ermahne die Teilnehmer jedes Mal, sich selbst zu schützen. Er sagt: „Diese Appelle kommen leider immer weniger an.“   

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