Halbzeitbilanz der Großen Koalition - Diese Regierung in ihrem Lauf…

Die Halbzeitbilanz der Großen Koalition soll uns zufriedenstellen und die Bundesregierung vor Neuwahlen schützen. Ein Gutes hat das präsentierte Selbstzeugnis tatsächlich: Wir haben endlich wieder was zum Lachen

Schritt für Schritt in die zweite Halbzeit? / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Gestern vormittag ist mir etwas passiert, was mir noch nie passiert ist. Ich musste bei den 9-Uhr-Nachrichten im Radio laut lachen. Nachrichtensendungen sind normalerweise nüchtern, seriös und allzu oft traurig. Wann kommt es schon vor, dass sie einen Lachanfall auslösen? Ich wäre in meinem Frohsinn beinahe über eine rote Ampel gefahren.

Der Nachrichtensprecher hatte in dieser Art, die Nachrichtensprechern zu eigen ist, vermeldet, dass sich das Kabinett an diesem Vormittag treffe, um sich über einen Zwischenbericht der eigenen Arbeit zu beugen. Das 80seitige Papier als Tischvorlage komme zu einer positiven Bewertung.

Es wurde offenbar davon ausgegangen, dass die Regierung dieses Papier billigt, denn der Sprecher verwies darauf, dass es im weiteren Verlauf der so genannten Evaluierung der SPD zur Halbzeit der Legislatur als Grundlage dienen werde.

Eine Regierung der Untoten

So ähnlich muss das meinen Brüdern und Schwestern auf der anderen Seite der Mauer vor 30 Jahren gegangen sein. Wenn wieder darüber berichtet wurde, dass das Politbüro eine Planübererfüllung festgestellt habe und der ökonomische Sieg über den Klassenfeind unmittelbar bevorstehe.

Diese Regierung in ihrem Lauf halten jedenfalls weder New York Times noch Friedrich Merz oder Norbert Röttgen oder Roland Koch auf. Die große US-Zeitung schreibt von einer Zombie-Koalition, also einer Regierung der Untoten in Berlin, Merz findet deren Performance „grottenschlecht“, Röttgen hält die Regierung für einen „Totalausfall“ und Koch erkennt eine seltsame „Argumentationsenthaltung“ der Bundeskanzlerin als ein gewisses Problem.  

Im Café Kanzleramt

Allen könnte man (und tut man auch gerne) fiese und nicht der Sache gehorchende Motive für ihre Äußerungen unterstellen. Stünden sie nicht in einem auffallenden Einklang mit dem Wahlverhalten der Bundesbürger, wann immer ihnen in den vergangenen Jahren eine Wahlurne in den Weg gestellt wurde.   
 
Zur Orwellhaftigkeit der derzeitigen politischen Szenerie passt hervorragend ein Interview, das die Kollegen des Spiegel dieser Tage mit der Bundeskanzlerin führten. Ein Foto der Zusammenkunft zeigt, wie Merkel ihren Gästen in ihrem Büro im Kanzleramt Kaffee einschenkt, was sie immer tue, wie die Bildunterschrift aufklärt.

Irgendwann gibt man einfach auf

Alsdann fragen die beiden Kollegen nach Merkels Erinnerungen an die entscheidenden Tage der Merkel vor 30 Jahren, was man ja machen kann, wären da nicht die unzählig oft erzählten Anekdoten aneinandergereiht wie die Maschen eines Gebetsteppichs. Vor lauter Rührung über die Erzählungen der späten Angela Merkel von der frühen Angela Merkel muss den Kollegen die ein oder andere Frage zum aktuellen Geschehen schlicht entfallen sein. Wie sie die Angriffe auf ihre Wunsch-Parteichefin AKK und auch sich persönlich einschätzt. Wie es sein kann, dass sich in der Verteidigungsministerin und dem Außenminister zwei maßgebliche Mitglieder ihres Kabinettstisches über ein weltpolitisches Thema öffentlich schwerst zerstreiten und Deutschland weltweit zum Gespött machen.

Nichts davon. Immerhin die Bemerkung der Kanzlerin, der CDU-Wahlverlierer Mike Mohring dürfe in Thüringen natürlich mit Bodo Ramelow von der Linken reden, aber ebenso natürlich keine Koalition oder eine sonstwie geartete Kooperation eingehen, was schon die Nachfrage aufwürfe, wozu man dann reden soll, wenn das Ende schon fest steht.

Die wird aber nicht gestellt. Fairerweise muss man den Kollegen ihr vorauseilendes Aufgeben nachsehen. Auch auf diese Frage wäre wieder eine Satzpaarung gekommen, der zweiter Teil die Negation des ersten gewesen wäre. Das versucht man dreimal. Irgendwann gibt man auf.

„arbeitsfähig“ und „arbeitswillig“

Aber zurück zur lustigen Nachrichtensendung, seit der es mir viel besser geht als viele Monate vorher. Ich frage mich seit diesem Morgen nicht mehr, wo man die Chuzpe hernimmt, auch in so einem desolaten Zustand einfach immer weiterzumachen. Ich schaue auf die sonnige Seite des Lebens, wie die Monty Pythons schon empfohlen haben. Nehme die Wirklichkeit zur Kenntnis wie „Das Leben des Brian“ oder „Die Ritter der Kokosnuss“ mit jener berühmten Szene, in der zwei Ritter sich duellieren, und der eine, von Schwerthieben auf einen Torso reduziert, sagt: „Okay, einverstanden, einigen wir uns auf ein Unentschieden!“.

Ich muss an Chemical Ali denken, den früheren irakischen Verteidigungsminister, den sie Comical Ali nannten, nachdem er einen Einmarsch der amerikanischen Truppen in Bagdad vor laufender Kamera leugnete, während hinter ihm schon die US-Panzer zu sehen, jedenfalls zu hören waren. Ich denke viel an Stücke von Eugene Ionesco und an die bislang unerreicht absurd-komischen Geschichten eines Daniil Charms.

Es geht mir gut seither. Richtig gut. Lachen ist gesund. Frau Merkel hat im Anschluss an die Kabinettssitzung gesagt, die Regierung sei „arbeitsfähig“. Und „arbeitswillig“. An dieses Stück reicht kein Charms und kein Ionesco heran.

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