Grüne im Aufwind - Hosianna, Annalena!

„Die wollen eine andere Republik“, warnte einst Helmut Kohl vor den Grünen. Doch nicht eine andere Republik soll das grüne Deutschland werden, sondern eine Erziehungsanstalt.

Die Volkserzieherin Annalena Baerbock / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Eigentlich hatte man sich an die beiden gewöhnt: die kecke Kommissarin und den kuscheligen Kommissar – den täglichen „Tatort“ aus Berlin. Es war, wie am Sonntagabend ja seit je, gruselig und trotzdem gemütlich. 
Und nun das! 

Die Erhöhung der Kommissarin zur „heiligen Baerbock“, wie auf Spiegel Online zu lesen war. Also nicht länger Kommissarin, sondern Gebenedeite, begleitet auf dem Weg ins Kanzleramt vom getreuen Habeck, ihrem Josef, dessen Rolle sich allerdings erschöpft hat, seit das heilige Paar die schützende Herberge der Großmedien genießt. 

Grün Hui, Schwarz Pfui

Vom Titel Nr. 17 des Spiegels – das im Geiste seines Gründers Rudolf Augstein schreibt, was ist – war abzulesen, was sein soll: Annalena, die „Frau für alle Fälle“, beide Hände selbstgewiss in die Hüften gestützt, das Lächeln verschmitzt spöttisch, der Blick frischwärts nach vorn gerichtet, in Deutschlands Zukunft.
Eine Offenbarung. 

Auf dem Titel Nr. 16 des Hamburger Magazins wurde inszeniert, was nicht sein soll: CSU-Kämpe Söder und CDU-Kämpe Laschet mit zerschlagenen Gesichtern, blaues Auge, blutige Wange, überpflasterte Nase, Spuren des „Bruderkriegs“. Zwei zerknitterte alte, weiße Männer, Deutschlands Vergangenheit. 
Eine Verhöhnung. 

Skurriles Demokratieverständnis

Kann die Botschaft, die den Grünen jede Marketing-Agentur erspart, auch anders gelesen werden? Zum Beispiel als Verachtung von Demokratie? Die Kür der Klima-Kanzlerkandidatin erfolgte durch Absprache: zwischen den beiden Anwärter*innen, also im denkbar kleinsten Kungelkreis – geschwisterlich-einvernehmlich. 

Die CDU/CSU hingegen, klassische Volkspartei, erkor ihren Kanzlerkandidaten in Konflikt und Kampf, mit Debatte und Argumentation. Was die Machtmedien zwischen Rhein und Ostsee als Schlammschlacht verächtlich machten, war diskursive Aufwallung nach fast 16 Schweigejahren unter Merkels Fuchtel – demokratische Renaissance bürgerlicher Parteikultur. 
Vorbeugend erzählte der Spiegel der Republik bereits mit dem Titelbild von Nr. 15, weshalb der arme Armin aus Nordrhein-Westfalen für das ernste Amt in Berlin nicht taugt: unbeholfen mit den Armen rudernd und das Gleichgewicht verlierend als von Asterix adaptierter „Häuptling Wirdsonix“. Damit ist alles gesagt, was ist, was vor allem nicht sein soll. Was nicht sein darf. 
Doch, doch, es ist durchaus denkbar, dass Annalena Baerbock die Fähigkeit zur Kanzlerin auf neue Weise verkörpert.

Die Ausstrahlung

Körperlichkeit jedenfalls signalisiert sie gern: begabte Trampolin-Springerin in Kindheit und Jugend, Fußballspielerin mit fast schon professionellem Körperspiel, strammer, geradezu männlich selbstgewisser Auftritt, Verkörperung als Ausdruck von Authentizität – den Fans des Gendersternchen-Feminismus ist ein Star geboren! 

Laschet dagegen, der geradezu undeutsch Unstramme, der Zweifler und Zögerer, der Zuhörer statt Verkünder – wen soll ein solches Profil vom Hocker reißen? 

In der Tat lässt sich ein unbeschriebenes Blatt am besten beschreiben: Baerbock beflügelt die Fantasie aller Grünen in den Redaktionen, vom Amtsblatt der linksliberalgrünen Glaubenskongregation an der Isar bis zum mächtigsten Meinungsmachermagazin an der Elbe.

Der Geist

Gegenspieler Laschet indes eignet sich nur noch für die Exegese seiner politischen Lebensschrift. Frisches hat er nicht vorzuweisen. Lediglich Erfahrung als Regent eines 18-Millionen-Landes, immerhin mehr als zweimal die Schweiz, dabei erfolgreich als Ausmister einer verluderten rot-grünen Regierungszeit, vertraut mit den Liberalen als Koalitionspartner, geübt im Umgang mit Andersdenkenden von konservativ bis links im Kabinett wie im persönlichen Umfeld, neugierig auf das, was er nicht schon selber weiß und denkt, ein geeichter Demokrat nicht nur im Kopf wie Merkel, sondern in Geist und Wesen. 
Was soll, was will so einer im Land, das Pluralismus reflexartig als Chaos, Streit und Spaltung wahrnimmt, Parteilichkeit als Bedrohung, Dissens als moralisches Delikt? 

Wie anders wirkt da doch der Führungsanspruch der grünen Galionsfrau, die ausdrücklich auch „die Fabrikarbeiter“ zu repräsentieren gedenkt! Wer hat ihr bloß das Wort Fabrikarbeiter beigebracht?
Sei’s drum, die Grünen sind für alle da, die sich unterordnen: 

Das grüne Diktat

Zum Beispiel ihrem Klimadiktat, das die Lebenskosten pekuniär prekärer Haushalte so verteuert, dass ihnen nur der Verzicht bleibt – wenn nicht bereits Verbote die neue heile grüne Welt garantieren: nicht mehr fliegen, nicht mehr Auto fahren, nicht mehr Fleisch essen, Sparmodus fürs Heizen, fürs Haushalten überhaupt. 

Zum Beispiel ihrem Migrationsdiktat, das die nationalen Interessen der Bundesrepublik der Multikultimoral opfert: offene Grenzen für Einwanderer jedweder Art und Unart, Staatsbürgerschaft als Automatismus, neue Segnungen des Sozialstaats sonder Zahl. 
Das grüne Füllhorn überdies als Kraftspender für Trüppchen, die sich neuerdings als Minderheiten inszenieren, von trans über nonbinär bis of Color. 

Ist denn gar nichts Gutes zu sagen über die Bewegung, die der träg-zufriedenen Bundesrepublik in jüngster Vergangenheit so viel Bewegung abgezwungen hat? Doch. Eben dies. Die Bewegung. 

Die Umerziehungstruppe

Helmut Schmidt, weiß Gott einer der vernunftbegabtesten Spitzenpolitiker und mit Sicherheit der intellektuellste Kanzler, kommentierte früh grüne Gedanken mit Spott – Visionäre sollten zum Arzt gehen. Helmut Kohl, der alltagskluge Kanzler von Wiedervereinigung und Euroeinführung, bedachte die Grünen bei ihrem Einzug in den Bundestag mit der alarmistischen Analyse: „Die wollen eine andere Republik.“ Unter Gerhard Schröder schließlich kam es zur erfolgreichen Koalition mit originellen grünen Bewegern, von Joschka Fischer bis Jürgen Trittin – die bunteste Truppe, die das demokratische Deutschland bisher im Kabinett versammelt sah. 

Warum sollte es anders sein, anders werden unter Baerbocks Führung? Der Bocksgesang einer solchen Regierung wäre ein fataler, ungebrochen durch eine der Demokratie verpflichteten SPD, ungebrochen durch eine der Marktwirtschaft verpflichteten CDU/CSU: reines Hosianna – Chorgesang eines neuen Deutschlands, wie es die evangelisch-moralisch grundierte grüne Grande Göring-Eckardt schon mal visionär verkündet hat. 

Helmut Kohls Warnung muss umgedeutet werden: Nicht eine andere Republik soll das grüne Deutschland werden. Nein, auf die Einrichtung einer Erziehungsanstalt läuft das Programm der Bewegung hinaus – in evangelikalem Ernst. 

Die westliche Kommerzzivilisation, 1949 unter Einfluss der demokratischen Siegermächte im Grundgesetz festgelegt, weicht endlich, endlich wieder der ebenso hohen wie tiefen deutschen Moralkultur. Die passende Bibel für die elitär von oben herab herrschende Akademikerkaste wären Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“, in denen die kulturelle Überlegenheit des Kaiserreichs mit Blick auf die schäbige französisch-englische Geschäftigkeit gefeiert wird. 
Die Grünen – Deutschlands deutscheste Deutsche.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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