Klima-Wahlkampf der Grünen - Mehr Schein als Sein

Das Wahlprogramm der Grünen will sich ambitioniert präsentieren. Doch dahinter befinden sich teils unnötige Forderungen, mangelnde Weitsicht und eine unklare Zukunftsperspektive. Völlig schwammig wird das Programm, wenn es um internationale Klimapolitik geht.

Die Klimaziele der Grünen sind zu schwammig / dpa
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Tim Vollert ist SPD-Mitglied und engagiert sich bei der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“.

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Letzte Woche ist etwas passiert, das von den Medien nur wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Forscher konnten erstmals bestätigen, dass der Westantarktische Eisschild unwiederbringlich abschmilzt. Damit haben wir einen „Point of no return“ erreicht, der den Meeresspiegel in den nächsten Jahrzehnten um drei Meter ansteigen lassen kann.

Unabhängig von unseren Bemühungen um die Klimaneutralität werden wir das nicht verhindern können. Man kann eigentlich nicht mehr vom Aufhalten der Klimakrise sprechen, sondern nur noch von Schadensbegrenzung. 

Die Grünen bleiben unkonkret

Zumindest wird der Weckruf in Deutschland langsam gehört. Zur Bundestagswahl 2021 stehen in den Programmen der Parteien bereits wesentlich ambitioniertere Klimaziele als noch 2017. Ganz vorne dabei selbstverständlich die Grünen.

Für das 1,5-Grad Ziel reicht es bei ihnen trotzdem nicht. Und das hat etwas mit der unkonkreten Klima-Außenpolitik in ihrem Wahlprogramm zu tun. Denn die deutsche Politik mag sich nicht wirklich am Pariser Klimaabkommen orientieren, aber die meisten Länder hängen noch viel weiter hinterher. Dadurch steuert die Erde gerade auf eine Erwärmung von mindestens 3 Grad zu.

Länder wie Saudi-Arabien und Brasilien stehen sogar für eine Erwärmung von 4 Grad. Eine solche Veränderung würde einen Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter bis 2100 und 10-20 Meter bis 2300 zur Folge haben.

Da überrascht es, dass die Grünen so unkonkret bleiben. Ihr Wahlprogramm: Sie wollen alle Abkommen einhalten und insbesondere Staaten in Afrika finanziell stärker im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen. Zweifelsohne wichtig, gegen mehr Geld werden sich die betroffenen Länder wohl auch nicht wehren. Mit der Forderung nach internationaler Unterstützung sind die Grünen auch nicht alleine. 

Des Weiteren wollen sie verbindliche internationale Klimaziele, sagen jedoch nicht, ob sich diese am Pariser Abkommen orientieren sollen und wie diese Verbindlichkeit aussehen soll. Sollten diese Ziele zu tief gesetzt sein, könnte man den mangelnden Klimaschutz anderer Staaten legitimieren und wirtschaftliche Sanktionen untergraben. Beim Umweltschutz scheint es nach Außen keinen Plan für eine harte Haltung zu geben. 

Auf der Weltbühne mithalten 

Was ist mit den Bolsonaros dieser Welt, die keine Fördermittel für einen guten Klimaschutz brauchen, sondern weiterhin von der Zerstörung unserer Zukunft profitieren wollen? Nachdem Bidens US-Regierung bekannt gegeben hat, dass der internationale Klimaschutz bei ihr oben auf der Agenda steht, hat Japan angekündigt, keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr mit Billigkrediten zu unterstützen. Man möchte auf der Weltbühne nicht das Gesicht verlieren. Ein Beispiel für die Effektivität einer harten Klima-Außenpolitik.

Dass die Grünen auf internationaler Ebene schwammig sind, ist insbesondere deswegen enttäuschend, weil Andere der Klimaschutzpartei zeigen, wie es geht. Die SPD nimmt explizit das Mercosur-Abkommen mit Südamerika als Beispiel und fordert feste Umweltschutzbestimmungen und Sanktionsmechanismen für die Außenpolitik der EU. Die Linke macht zwar wieder den Westen zum alleinigen Schuldigen, setzt im Kampf gegen Überfischung und Abholzung aber auf harte Konsequenzen für die großen Konzerne. 

Weder besonders noch radikal

Vielleicht fehlt für die Grünen bei dem Thema die Strahlkraft. Mögliche Sanktionen und Streit im Außenhandel liest sich nicht so schön wie eine reine Unterstützung für die schwächeren Staaten. Ein Trend der innenpolitisch auch besteht. Der Verbrennungsmotor hat es zwar mit klaren Zahlen ins Programm geschafft. 2030 wollen die Grünen nur noch Neuzulassungen für Elektroautos. Das wirkt vielleicht auf manche radikal, ist es aber nur scheinbar. Die deutschen Autohersteller haben jedoch bereits angekündigt, Anfang des nächsten Jahrzehnts nur noch Elektroautos zu produzieren. Schon gegen 2026 könnten diese in der Produktion die Mehrheit sein. 

Diese Forderung ist also weder besonders, noch ist sie radikal oder notwendig. Die Konkurrenz zeigt sich wieder ambitionierter: 2030 will die SPD mindestens 15 Millionen Elektroautos auf der Straße. Momentan sind es rund 600.000. Die FDP wiederum fordert gar keine Quote, überlässt es also dem Markt. Die Forderung der Grünen hat eine stärkere Symbolkraft, ein größerer Nutzen als bei den Liberalen entsteht dadurch aber nicht. 

Mangelnde Ehrlichkeit 

Auch in Hinsicht auf die Klimaneutralität Deutschlands bleiben die Grünen schwammig. Die SPD und die FDP wollen die Neutralität bis 2050 erreichen. Das passt zumindest zum Ziel des Pariser Abkommens, bis 2050 global klimaneutral zu sein, verpasst aber eindeutig das 1,5 Grad Ziel. Die Linke ist mit 2040 schon ambitionierter, wird aber wahrscheinlich auch keine große Rolle bei der Umsetzung spielen. Und welches Ziel haben die Grünen? Man verzichtet darauf sich festzulegen.

Vielleicht, weil man sich eher bei der SPD wiederfinden würde als bei den Linken. Dass kein Ziel im grünen Wahlprogramm steht, zeugt von mangelnder Ehrlichkeit gegenüber dem Wähler. 

Die Grünen setzen lieber auf Symbolik und schreiben, man orientiere sich am 1,5 Grad Ziel. Dafür müssten ihre Forderungen aber wesentlich radikaler sein. Im Moment verärgert man also keine potenziellen Wähler und kann Forderungen als ambitioniert verkaufen, ohne dass jemand nachrechnet, ob diese reichen, um die eigenen Ziele zu schaffen. 

Auch der Rest würde schmelzen

Deutschland würde unter den Grünen grüner werden. Und unbedingt besser machen es die anderen Parteien auch nicht. Aber wenn im eigenen Programm bereits Untätigkeit als Weg zum 1,5 Grad Ziel verkleidet wird, ab wann sind dann zum Beispiel Koalitionsverhandlungen mit der CDU ein Erfolg? Der Westantarktische Eisschild ist vermutlich nicht mehr zu retten. Aber mit dem angeblich klimafreundlichsten Wahlprogramm Deutschlands würde der Rest genauso schmelzen.

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