Grünen-Jubiläum - Piep, piep, piep

Bündnis 90/Die Grünen haben in Berlin gemeinsam mit dem Bundespräsidenten ihr 30- und 40-jähriges Bestehen gefeiert. Die rot-rot-grüne Harmonie überwog. Selbst Joschka Fischer wirkte wenig grummelig. Doch ausgerechnet der wahrscheinliche Koalitionspartner in spe hat gekniffen

Ausgelassen und angekommen: Die Grünen feiern mit dem Bundespräsidenten / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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So vergeht Jahr um Jahr,
Und es ist mir längst klar,
Dass nichts bleibt,
Dass nichts bleibt, wie es war

Als die Band im Motorwerk in Berlin-Weißensee, angeführt vom Annenmaykantereit-Sänger Henning May den alten Hannes-Wader-Klassiker „Heute hier, morgen dort“ anstimmt, liegen sie sich alle in den Armen: Robert Habeck, Claudia Roth, Annalena Baerbock, Michael Kellner und viele mehr singen vor den zahlreichen Kameras lauthals mit. „Zeiten ändern sich – Wir ändern sie mit“, ist in großen Buchstaben auf einem Banner über der Bühne zu lesen.

Die Grünen, die große Partei der Veränderung, und alle haben sich lieb, die altgewordenen Gründer der Partei und jene, die die Fackel weitertragen. Es passt alles an diesem Abend. Alles passt so gut, dass es etwas langweilig wirkt, fast arriviert.

Westdeutsche Dominanz

Da ist der Parteivorsitzende Robert Habeck, der nicht vergisst, sich vor den mutigen Ost-Bürgerrechtlern von Bündnis 90 zu verneigen, mit denen sich die Grünen vor 30 Jahren vereinigten. Für alle, die es vergessen haben: Die Partei heißt bis heute Bündnis90/Die Grünen. Doch trotz aller Verneigungen (der Politikansatz der Ostler, „aus dem Zentrum der Gesellschaft denken“, hätte sich grundsätzlich von dem der Grünen unterschieden, wie Habeck lobt), kann auch an diesem Abend auch der Auftritt der ehemaligen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Marianne Birthler, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Partei westdeutsch dominiert ist. Immerhin schlägt sie vor, dass die Partei ihren langen Namen verkürzt in „Bündnis Grüne“.

Aber an diesem Freitagabend in Berlin dominiert die gutgelaunte Nostalgie: Man witzelt über das Chaos der ersten Jahre, und da dürfen sie alle gönnerhaft lachen, die Joschka Fischers und Fritz Kuhns und Jürgen Trittins in den ersten Reihen. Selbst der Konflikt um die Zustimmung zum Kosovo-Einsatz 1999 ist nur noch eine Anekdote aus einer Zeit, die eine ganze Ära zurückzuliegen scheint. Als sich später der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede auf den internen Streit der Grünen bezieht, spricht er von einer „schmerzhaften Erfahrung für die Grünen“, Realpolitik machen zu müssen. Joschka Fischer, dem damals ein roter Farbbeutel ans Ohr geworfen wurde und das Trommelfell reißen ließ, verzieht keine Miene. Nur seine Arme verschränkt er Fischer-typisch und klemmt sie unter seine Achseln.

Kaum Platz für Selbstkritisches

Ein wenig Kritik muss dann aber doch sein, weshalb die Parteivorsitzende Annalena Baerbock daran erinnert, dass beim Gründungsparteitag erst der 12. Redner einer Rednerin war. Aber auch da ist die Partei ja inzwischen auf den Trichter gekommen.

Keine Erwähnung findet an diesem Abend, was für krude Vögel die Grünen am Anfang in ihren Reihen hatten, von denen sie sich im Laufe des ersten Jahrzehnts freimachen mussten: Zum einen die Fraktion, die für eine Legalisierung sexueller Beziehungen mit Minderjährigen eintrat, zum anderen rechte Ökobauern wie Baldur Springmann oder Nationalisten wie August Haußleiter. Letzterer wurde 1980 zum Grünen-Sprecher gewählt und zog noch 1986 als Abgeordneter für die Partei in den bayerischen Landtag ein.

Luisa trifft auf Ströbi

Amüsant ist der Auftritt des körperlich sehr gealterten aber geistig hellwachen Christian Ströbele, der die 60 Jahre jüngere Luisa Neubauer, Sprecherin von Fridays For Future und Grünen-Mitglied, freundlich daran erinnert, worin der große Unterschied zwischen den Protesten seiner Generation und den heutigen Klimaprotesten besteht: „Wir hatten in den 60er Jahren alle gegen uns: die Polizei, die Medien, die Politik, die Menschen an den Straßenrändern. Heute ist die ganze Welt für euch.“

Ströbele, den Robert Habeck nur Ströbi nennt, mahnt sie und die anderen Demonstranten zur Geduld. Man könne nicht nach vier oder fünf Demonstrationen darüber verzweifeln, dass sich nichts geändert habe. „Langer Atem“, das ist es, was die Jungen von den Alten lernen könnten. Neubauer kommt übrigens gerade von Gesprächen mit der Siemens-Führung, bei denen CEO Joe Kaeser ihr einen Posten im Aufsichtsrat anbot. Den sie aber brüsk zurückweist: „Wir haben keine Zeit für so ein Postentheater.“ Am Montag wolle sie sich zur Kaeser-Offerte nochmal ausführlich äußern.

Der ambivalente Ex-Außenminister

Joschka Fischer, der in der Partei heute keine Rolle mehr spielt, fühlt sich dann in seiner knorrigen Altherrenart dazu bemüßigt, den Saal dafür zu begeistern, Verantwortung zu übernehmen. Weiß er überhaupt, mit wem er da redet? In diesem Saal gibt es niemanden, an den sich diese Mahnung richten könnte. Die Grünen regieren in elf Bundesländern mit, und die zwei Bundesvorsitzenden sind so heiß darauf, auch in Berlin in Regierungsämter zu kommen wie sonst keine Parteichefs in diesem Land.

Doch obwohl das Verhältnis zu seiner Partei immer viel gelitten hat, was er auch offen zugibt, begeistert er noch. „Verdammt noch mal. Es reicht nicht zu fordern: 'Wir haben keine Zeit mehr'. Es ist eine Verpflichtung für seine Forderungen auch Mehrheiten zu gewinnen“, knarzt er ins Mikrofon und bekommt Applaus.

Rot-rot-grüne Gästeschaft

In der zweiten und dritten Reihe sitzen Saskia Esken und Kevin Kühnert, ohne Norbert Walter-Borjans. Eingeladen von ihrem einstigen Juniorpartner. Sie selbst liegen in Umfragen längst abgeschlagen hinter den Grünen. Kühnert und Esken überreichen den beiden Grünen-Chefs einen Präsentkorb mit roter Paprika und grünen Gurken, mit Tofu- und richtigen Würsten. „Das beste aus beiden Welten“, soll es sein. Das wichtigste Gimmick aber ist eine hölzerne Grillzange mit der Aufschrift „Damit es nicht schwarz wird“ ist. Zwinker Zwinker.

Die SPD ist ohnehin stark vertreten: Vizekanzler Olaf Scholz ist da, Fraktionschef Rolf Mützenich und natürlich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Für die Linke sitzen Petra Pau und Dietmar Bartsch auf Ehrenplätzen. Durch Abwesenheit hingegen glänzt die eingeladene FDP-Führung (nun ja, auf die sind die Grünen seit dem Jamaika-Debakel eh nicht mehr gut zu sprechen). Richtiggehend peinlich ist dagegen das Fernbleiben der CDU.

Man hört, Annegret Kramp-Karrenbauer hätte kurzfristig abgesagt, angeblich soll Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig dagewesen sein. In Erscheinung tritt er aber nicht. Er hätte ja nicht gleich mit Präsentkorb kommen müssen, aber von Selbstbewusstsein der Volkspartei CDU hätte ein Paul Ziemiak gezeugt, der aus der zweiten Reihe heraus gönnerhaft die Party des möglicherweise zukünftigen Juniorpartners beklatscht hätte.

Steinmeier mit letzter Leidenschaft

In ausgiebigem verbalem Klatschen übt sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, bei dessen Rede man zuweilen den Eindruck gewinnt, er hätte seinen unterschriebenen Mitgliedsantrag schon in der Tasche. „Die Grünen haben das Land verändert – und das Land hat die Grünen verändert. Deutschland ist offener geworden und vielfältiger, menschlicher und moderner in diesen 40 Jahren“, sagt er. Und dass es den Grünen gelungen sei, das Bild dessen zu verändern, was eine politische Partei ist und sein kann. Doch mit dem Erfolg wachse auch die Verantwortung, die Gesellschaft zusammenzuhalten, sagt er.

Freilich, Steinmeier beeilt sich, seine Überparteilichkeit zu betonen, parteiisch sei er nur „für die Demokratie.“ Allen, die vor dem Untergang der Demokratie warnen, rät er: „Schaut auf diese Partei!“ Olaf Scholz in der ersten und Saskia Esken in der zweiten Reihe mögen sich gefragt haben: Wann hat Frank-Walter Steinmeier wohl zuletzt mit solcher Leidenschaft über die deutsche Sozialdemokratie gesprochen?

Das Protokoll hätte es ihm erlaubt noch länger zu bleiben, heißt es aus Kreisen der Grünen. Doch noch bevor die Party wirklich losgeht, ist Frank-Walter Steinmeier verschwunden. Vielleicht wird er der letzte SPD-Bundespräsident gewesen sein. Nichts bleibt wie es war.

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