Die Grünen wollen regieren - Habeck, glatt rasiert

„Wir sind kein Experiment mehr, wir wollen nur noch regieren“, suggerieren uns die Grünen. Das ist eine raffinierte Täuschung. Denn in Wirklichkeit regieren die einstigen Revoluzzer schon längst.

Im Biedermeier-Wohnzimmer der Grünen / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Bleibt das Bild ein Rätsel? Oder liefert es des Rätsels Lösung? Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Doppelspitze der deutschen Grünen, haben sich für den Video-Parteitag in Szene gesetzt: Auf einem orange-braunen Sofa, hinter schwarzen Tischchen, flankiert von Stehlampe und Gummibaum, unter Familienfotos und einem Poster der Bewegung. Sie hochhackig gestiefelt, im knappen, fuchsiafarbenen Kleid, er im Anthrazit-Anzug mit offenem Hemdkragen und schwarzen Arbeitsschuhen, beide auf einem kreisförmigen grauen Teppich vor undefinierbar gemusterten braunen Stellwänden. Nur das Hirschgeweih an der Wand fehlt. Aber das wäre Humor, ja Ironie, fast schon Selbstironie. Mithin nichts, was im Repertoire grüner Selbstdarstellung bisher Platz hatte. 
Was also soll das Theater? 

Das Jahr, an das die Kulisse erinnert, ist nicht 2020. Eher fühlt sich der Betrachter, so ihm die Stilgeschichte der bundesrepublikanischen Generationen geläufig ist, in die Sechziger des vergangenen Jahrhunderts versetzt, knapp nach Konrad Adenauer, kurz vor Willy Brandt, mitten in die Wirtschaftswunder-Ära. 

Was wollen die Grünen da? 

Vielleicht lässt sich das Bilderrätsel mit Blick auf Robert Habeck entschlüsseln: Kein Kapuzenpullover, kein Strubbelkopf „just out of bed“, kein Fünf-Tage-Bart, nichts mehr, was an Gammler oder Revoluzzer denken ließe. Ganz im Gegenteil: glatt rasiert und gekämmt im Konfirmandenanzug – die Adrettwerdung des alternativen Kanzlerkandidaten. 

Keine Experimente

Leider ist Helmut Kohls Strickjacke für Habeck nicht mehr zu haben, da als historisch wertvolles Museumsstück bereits anderweitig vergeben. 

Grüne möchten gefallen, wo sie bisher Naserümpfen provozierten: mit Biedermeier fürs Digitalzeitalter. 

Salon und Person stehen für Restauration. 

Apropos Helmut Kohl. Der warnte einst: „Die Grünen wollen eine andere Republik.“ Wollen sie die nicht mehr? Wollen sie noch hinter Kohl zurück? 

„Keine Experimente“, lautete zu Adenauers Zeiten der emblematischste aller CDU-Wahlslogans. Von „Reklamefritzen“ erdacht, wie sich der Alte aus Rhöndorf über seine Werbefachleute lustig machte.
Werbefachleute werden auch den Grünen bei der Parteitagsinszenierung zur Seite gestanden haben. Ihre visuelle Botschaft soll helfen, den Stuhl von Adenauer und Kohl zu erobern. Indem sie suggeriert: „Wir sind kein Experiment mehr. Wir wollen keine andere Republik. Wir wollen nur noch regieren.“

Die BRD ist ein anderer Staat

Das aber ist eine raffinierte Täuschung, denn die Grünen regieren längst! Zwar nicht im Kanzleramt, aber in der Kulturszene: Ja, die Grünen orchestrierten das Multikulti-Larifari, in das schließlich auch Linksliberale und Sozialdemokraten einstimmten. Zu den Folgen zählen Einwanderer-Clans, die Dresdens historische Kronjuwelen entwendeten und sich auf Berlins Straßen gewalttätige Revierkämpfe liefern. 

Dieses übergriffige Milieu wucherte heran unter dem wohlgefälligen Blick der Grünen und ihrer Klientel. Man delektierte sich geradezu daran. Amüsiert betrachtete man es als Manifestation großstädtischer Multikulturalität. Bis es sich zur bewaffneten Gegengesellschaft formiert hatte. 
Als besonders pittoresk galt das grün-bunte Leben in Berlin-Kreuzberg, ebenso in den entsprechenden Vierteln anderer migrationsbereicherter Städte. Und noch immer gilt die grüne Schutzbehauptung: Verdacht gegen die Clans sei Generalverdacht gegen Zugewanderte, sei – Rassismus. 

Auch die moralische Überhöhung aller Migranten zu Schutzsuchenden und Flüchtlingen geht auf das grüne Konto. Die unkontrollierte Einwanderung, das Laufenlassen von Gefährdern auf deutschen Gehsteigen, die Hemmung der Polizei, streng aufzutreten, die ganze Angst des Rechtsstaats, dezidiert Rechtsstaat zu sein, entschlossen Law and Order durchzusetzen – alles Folgen einer gesellschaftlichen Stimmung, die maßgeblich von den Grünen propagiert und gepflegt wurde. 

Helmut Kohls Befürchtung ist mittlerweile kulturelle Realität: Die Bundesrepublik ist, was die öffentliche Alltagskultur in den Großstädten betrifft, ein anderer Staat. 

Wozu die Vernarrtheit in die Figur des Ein­wanderers?

Natürlich hat man das alles nicht so gemeint. Natürlich wollte man das Gute – das Bunte. Wer in die Zukunft blickt, sieht indessen eher schwarz. Zum Beispiel der Welt-Kolumnist Alan Posener: „Als multikulturelles Experiment ist Berlin-Kreuzberg gescheitert.“ Kreuzberg ist überall in der Republik gescheitert. 

Und nun will die Partei, die all dies programmatisch begleitet, begünstigt und befördert hat, erneut in die Regierung, vielleicht sogar ins Kanzleramt. 

Dabei gälte es doch und zunächst, Vergangenheit zu bewältigen und Abbitte zu leisten. 

Robert Habeck verspricht, scheinbar geläutert, Rechtsstaatshärte in der Migrationsfrage – doch seine Partei weigert sich immer noch, die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsländer einzustufen. Damit verhindert sie die Rückführung von Migranten, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten. 

Wozu die Vernarrtheit in die Figur des Ein­wanderers? Sie ist nur zu erklären aus den 
romantischen Wurzeln der Grünen tief in der Vergangenheit: in den deutschseligen Zeiten von Wandervogel und Turnvater Jahn – Romantik mitten in der wilhelminischen Militär- und Bürokratiemonarchie. 

Sehnsucht nach der guten alten Zeit

Damals erschienen Bildungsdeutschen auf der Suche nach Alternativen zum autoritären Zeitgeist Natur und Natürlichkeit als Alpha und Omega des wahren Lebens, als Utopie einer Gesellschaft ohne Unrast und Unrat der brutal industrialisierten, der modernen Welt – deutsche Kulturnation statt westliche Zivilisation, wie Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ nobel polemisierte. 

Nun ist er endlich in greifbare Nähe gerückt, der unbefleckte Mensch. Der Migrant als Antithese zum deutschen Spießer. Koranschüler statt Konsumidiot: Rousseaus „edler Wilder“.

So ist denn der Parteitagsauftritt von Annalena Baerbock und Robert Habeck im wohligen Wohnzimmer mit Replica-Möbeln und neu-altem Wandschmuck Sinnbild der Sehnsucht nach Geborgenheit in einer besseren alten Zeit – die es so nie gegeben hat.

Die Grünen weisen dorthin den Weg.

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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