Greenpeace-Chefin im Außenministerium - Keine Demokratie ohne Lobbyismus

Für die Berufung der Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan ins Außenministerium hagelt es Kritik, besonders von CDU und CSU. Dabei sind derartige „Rollenwechsel“ Teil des politischen Systems.

Jennifer Morgan bei ihrer Vorstellung im Februar zusammen mit Annalena Baerbock / dpa
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Mit der Ernennung der Chefin von Greenpeace international, Jennifer Morgan, zur Sonderbeauftragten der Bundesregierung für internationale Klimapolitik ist Außenministerin Annalena Baerbock ein Coup gelungen. Sie selbst spricht von einer „Traumbesetzung“ für den Posten.

Und das nicht deshalb, weil Morgan im Unterschied zu hochrangigen Politikern der Bundesregierung als US-Amerikanerin fließend Englisch und außerdem exzellent Deutsch spricht. Es sind ihre langjährige internationale Erfahrung und das Netzwerk, auf das sie zurückgreifen kann, die sie interessant für die Arbeit in der Bundesregierung machen. Und natürlich ist das alles auch ein gelungenes Signal an das eigene grüne Milieu.

Wieviel Lobbyismus verträgt die Demokratie?

Indes dauerte es nicht lange, bis Lobbyismus-Vorwürfe im Raum standen. Ganz besonders dolle sprudelte es dabei aus dem CSU-Generalsekretär Markus Blume hervor. Er warf der Ampel nicht nur vor, dass Baerbock Greenpeace höchstpersönlich ins Auswärtige Amt befördere, sondern fragte sarkastisch: „Was kommt als Nächstes? Die Antifa zieht im Bundesinnenministerium ein und foodwatch berät das Landwirtschaftsministerium“?

Nicht einmal die taz wird richtig warm mit der Personalentscheidung. Zwar lässt sich gegen eine Greenpeace-Aktivistin ideologisch wenig sagen, aber irgendwie sei das „Prinzip Lobbyismus ein Problem für die Demokratie“. Und zwar deshalb, weil es eben ganz viele Menschen gäbe, die gar keine Lobby hätten. Diese Argumentation mutet indes etwas putzig an. Eigentlich hätte man ja meinen können, es sei geradezu der Sinn der Demokratie, dass die Wähler mit den Abgeordneten ihre eigenen Lobbyisten wählten.

Kritik nur an den angeblich falschen Lobbyisten

Die Kritik aus den Reihen der NGOs ist übrigens ziemlich spärlich. Bekanntlich sind es häufig sie, die sich öffentlich darüber echauffieren, wenn Politiker in die Wirtschaft wechseln oder Investmentbanker ins Finanzministerium. Diesmal aber heißt es: Still ruht der See. Ihre Kritik am Lobbyismus richtet sich für gewöhnlich ja auch nicht gegen den Lobbyismus an sich, sondern bloß gegen die angeblich falschen Lobbyisten.

Überhaupt verkennen die aufgeregten Debatten dieser Tage ein wenig das Wesen unserer Demokratie. Im Prinzip gibt es ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder man unterwirft die Politik dem Begriff der Wahrheit. Dann müsste man allerdings das richtige, gute Leben erkennen können und es für alle staatlich ins Werk setzen. Die alten Griechen dachten so.

Oder man hat Zweifel daran, dass so etwas wie das richtige, gute Leben überhaupt existiert - oder dass man es zweifelsfrei erkennen kann. In diesem Fall beschränken sich Politik und Staat darauf, gesellschaftliche Verkehrsregeln zu bestimmen und aufzupassen, dass die Bürger einander nicht die Köpfe einschlagen. Dieser Vorrang des Rechts vor dem Guten ist übrigens der Kerngedanke der politischen Philosophie seit der Aufklärung.

Lobbyismus ist der Kern der Demokratie

Der deutsche Doyen der pluralistischen Demokratietheorie, Ernst Fraenkel, hat sich im letzten Jahrhundert die Finger über diesen Sachverhalt wund geschrieben. Für ihn ist Demokratie letztlich nichts anderes als das Aushandeln von Macht um bestimmte Interessengruppen herum. Was dabei heraus kommt, ist ihm zufolge nichts anderes als ein „Kräfteparallelogramm“.

Lobbyismus ist demgemäß keine Gefahr für die Demokratie, sondern im Grunde ihr Kern. Jeder Wähler ist zunächst nichts anderes als ein Lobbyist in eigener Sache und mandatiert mit seiner Stimme einen Lobbyisten auf höherer Ebene, nämlich seinen Abgeordneten. Problematisch wird der organisierte Lobbyismus freilich dann, wenn sich Entscheidungsträger durch Geld oder Macht bestechen lassen und nicht mehr das tun, woran sie glauben oder wofür sie gewählt wurden.

Aber das ist im Falle Jennifer Morgans ja gar nicht der Fall. Es handelt sich daher um einen Taschenspielertrick, wenn der CSU-Generalsekretär unterstellt, mit ihr würde Greenpeace direkt ins Auswärtige Amt einziehen. Eine solche Unterstellung verfängt nur, wenn man zwischen Amt und Person nicht mehr unterscheidet. Die bisherige Greenpeace-Chefin ist aber nicht mit einer Organisation identisch, sondern sie wechselt von einer sozialen Rolle in eine andere.

Rollenwechsel müssen möglich sein

Dabei müsste ausgerechnet der Politiker Markus Blume wissen, wie sich Rollenwechsel anfühlen. Jedem Abgeordneten ist das sein täglich Brot. Schließlich repräsentiert er nicht nur diejenigen, die ihn gewählt haben und nicht nur alle Stimmberechtigten in seinem Wahlkreis, sondern, so bestimmt es das Grundgesetz in Artikel 38, das gesamte Volk. Gerade dieses Spannungsverhältnis macht es ja erforderlich, dass Entscheidungen eines Abgeordneten rechtlich allein seinem Gewissen unterliegen.

Wenn Rollenwechsel also nicht möglich wären, könnte folglich kein Parlament funktionieren und auch nicht die Demokratie. Die künftige Sonderbeauftragte der Bundesregierung für internationale Klimapolitik hat es dabei sogar leichter als jeder Abgeordnete: Denn freilich muss sie ihren Posten bei Greenpeace aufgeben, bevor sie in das Staatsamt wechseln kann.

Zwischen Amt und Person strikt zu unterscheiden hätte freilich auch eine andere Konsequenz. Man könnte sich dann nicht mehr so herrlich echauffieren, wenn Politiker in die Wirtschaft oder erfolgreiche Investmentbanker ins Finanzministerium wechselten. Letzteres dürfte für Jörg Kukies (SPD) übrigens ein ziemlicher wirtschaftlicher Abstieg gewesen sein. Offenbar gibt es selbst in der zeitgenössischen Demokratie ab und zu Leute, die nicht allein als Lobbyisten in eigener Sache unterwegs sind.

Hinweis auf einen möglichen Interessenkonflikt: Der Autor ist seit vielen Jahren Mitglied bei greenpeace.

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