Gesellschaftlicher Frieden in Gefahr - Die Corona-Pandemie als finanzieller Spaltpilz

Die Corona-Pandemie spaltet die Gesellschaft auf eine neue Art. Nicht Links gegen Rechts, nicht arm gegen reich. Die Trennungslinie verläuft zwischen denen, die über ein sicheres Einkommen verfügen und jenen, die der Shutdown in existentielle Nöte treibt. Entsprechend polarisiert das Land.

Die Schulen sind geschlossen, doch im öffentlichen Dienst sind die Gehälter gesichert / picture Alliance
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Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Der 75-jährige Lehrer, der jeden Monat dreieinhalb Tausend Euro Pension überwiesen bekommt, gehört im Zweifel zu jenen zwanzig Prozent, welche die Kontaktbeschränkungen eher noch verschärfen wollen. Schon allein, weil er altersbedingt zur Risikogruppe zählt.

Der 55-jährige Kneipier oder Unternehmer, dem die Kosten davonlaufen und die Umsätze wegbrechen, zählt danach zur Minderheit, die auf einen viel schnelleren Exit drängt. Aus der Warte eines Bediensteten beim Staat lassen sich mögliche Lockerungen, wie sie von den Politikberatern der Akademie Leopoldina jetzt vorgeschlagen und von den Regierungen nun nur zögerlich umgesetzt werden, leicht mit dem Argument kontern: Kein Risiko!

Schwere Zeiten für Selbstständige

Gesundheit geht vor! Man tritt den Lehrerverbänden sicher nicht zu nahe, wenn ihre Einwände gegen eine stufenweise Wiederöffnung der Schulen nicht nur virologisch begründet sind: Wo das Gehalt auch in der größten Krise pünktlich aufs Konto kommt, können ein paar weitere Wochen im ruhigen Homeoffice leichter verschmerzt werden, als vom Selbständigen, der nur für tatsächlich geleistete Arbeit bezahlt wird.

Auf das Angebot der Pädagogen-Verbände, die verlorene Schulzeit in den Sommerferien nachzuholen und auf einen Teil der 76 Urlaubstage zu verzichten, wartet man bislang jedenfalls vergebens. Es gibt viele Bedienstete bei Bund, Ländern, Gemeinden und halbstaatlichen Organisationen, die in diesen Wochen gute Arbeit leisten, um das Gemeinwesen am Laufen zu halten.

Die Bediensteten des Staates müssen sich nicht sorgen

Warum aber bleiben Universitäten, Museen oder Bürgerbüros geschlossen? Hier lassen sich die Abstands- und Hygieneregeln doch viel einfacher durchsetzen als unter tobenden Grundschülern oder in Kitas. Vom Lockdown profitieren eben auch jene Angestellten, die im nicht systemrelevanten öffentlichen Dienst bequem auf Distanz gehen können oder gar kein Kundenkontakt haben.

Der Kassiererin im Supermarkt oder der Krankenschwester wird hingegen enger Kontakt mit vielen Personen zugemutet. Das passt nicht zusammen. Während Millionen Kurzarbeiter, Kleinunternehmer und Selbstständige mit deutlich weniger Geld auskommen müssen und oft nicht wissen, wie sie in den kommenden Monaten für all die laufenden Kosten aufkommen sollen, müssen sich die Bediensteten des Staates immerhin keine finanziellen Sorgen machen. Dazu gehören indirekt auch die Repräsentanten der Kirchen.

Keine Kurzarbeit bei halbstaatlichen Unternehmen

Sie können ohne eigenes Risiko zum Verzicht aufrufen: Die Kirchensteuer, die sich 2018 auf rekordverdächtige 12,4 Milliarden Euro summierte, wird auch weiterhin automatisch vom Lohn einbehalten, wenn nun auch mit einem Rezessions-Abschlag. Den brauchen die Angestellten bei ARD, ZDF und DLF nicht zu fürchten: Rund acht Milliarden Euro pro Jahr an Haushaltsabgaben sichern die relativ hohen Gehälter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Kurzarbeit gibt es beim Staat und halbstaatlichen Unternehmen nicht. Betriebsbedingte Kündigungen sind quasi ausgeschlossen. Auch die Bezieher staatlicher Transferleistungen müssen um ihr Auskommen nicht fürchten. Empfänger von Hartz IV bekommen weiter ihr Geld und ihre Miete bezahlt.

Der Keil zwischen jung und alt

Dasselbe gilt für Wohngeld- und Bafög-Empfänger. Hier wurden die Antragshürden sogar drastisch gesenkt und auf eine Vermögensanrechnung verzichtet. Gleich von zwei Seiten droht der Spaltpilz zwischen alt und jung einzudringen. Einerseits leiden die Jüngeren besonders unter den Kontaktsperren, die ja maßgeblich zum Schutz der Senioren aufrechterhalten werden.

Weder können sie sich in der Universität noch in der Kneipe treffen. Selbst Zusammenkünfte unter Freunden sind untersagt. Zugleich sind sie es, die die enormen finanziellen Lasten werden tragen müssen. Die Rettungspakete summieren sich mittlerweile nicht mehr nur auf Milliarden, sondern um den Faktor Tausend auf Billionen Euro. Da aber die Schulden von heute die Steuern von morgen sind, schnüren diese Kosten ihre finanzielle Bewegungsfreiheit weit mehr ein als das Verbot der Grillparty.

Keine finanzielle Grundlage für die „Respektrente“

Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen fürchtet, dass den künftigen Generationen „für die Einhaltung des Sozialstaatsversprechens etwa zwei Drittel des Gehalts abverlangt“ werden müssten. Der Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg rechnet allein bei den Sozialbeiträgen mit einer Verdopplung auf 40 Prozent für die Arbeitnehmer. Doch anstatt etwas gegen diese gewaltige Schieflage zu unternehmen, bleibt es bei einer spürbaren Rentenerhöhung von bis zu 4,1 Prozent.

Und die SPD beharrt stur auf ihrer „Respektrente“, für die es langfristig so wenig eine finanzielle Grundlage gibt wie für die Alterskassen schlechthin. Politiker wie Sozialminister Heil sind davon allerdings auch nicht betroffen. Denn Minister und Abgeordnete orientieren sich bei der Bezahlung am öffentlichen Dienst.

Finanzielle Ablenkungsmanöver im Bundestag?

Der erwogene Verzicht auf die anstehende Diätenerhöhung soll offenbar von zwei weit größeren Ausgabenbrocken ablenken: Die doppelten Dienstsitze in Bonn und Berlin kosteten den Steuerzahler 2019 mindestens 9,16 Milliarden Euro. Und die absehbare weitere Aufblähung des Bundestages auf über 800 Mandatsträger ist jährlich mit mindestens einer weiteren Milliarde Euro zu veranschlagen.

Denn so eilig die Abgeordneten gigantische Corona-Soforthilfen beschlossen haben, so gähnend lange lassen sie sich mit der angekündigten Wahlrechtsreform Zeit. Dabei belegen doch die aktuellen Abstandsregeln im Parlament, dass die Demokratie auch mit deutlich weniger Mitgliedern im Bundestag keinen Schaden nimmt.

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