Gerhard Schröder über Angela Merkel und die SPD - „Helmut Schmidt hat den Menschen die Angst genommen“

In einem Interview zum 100. Geburtstag von Altkanzler Helmut Schmidt hat Gerhard Schröder mit der Politik seiner Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) abgerechnet. Seiner eigenen Partei wirft er vor, sie habe das wirtschaftspolitische Erbe Schmidts verspielt und keinen Sinn mehr für das Thema Innere Sicherheit. Das hat auch etwas mit Merkels Migrationspolitik zu tun

Der Übervater der SPD und sein Erbe: Gerhard Schröder stellt seiner Partei ein Armutszeugnis aus / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Offiziell zum 100 Geburtstag, aber irgendwie auch zum Ausklang des politischen Jahres hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder der Welt am Sonntag ein lesenswertes Interview gegeben. Schröder kommt darin zu dem Urteil über seine Nachfolgerin, Angela Merkel zeichne aus, „dass sie in einer wirtschaftlich guten Zeit das Land achtbar verwaltet hat“. Das ist schon für sich genommen eine elegante kleine Gemeinheit mit wahrem Kern, zumal darin mitschwingt: Sie hat das Land nach meinen Reformen in einem frisch modernisierten Zustand übernommen und davon profitiert. Schröder lässt das noch nachschwingen im Kopf des Lesers und fährt ungerührt fort:  „Man wird sehen, wie sich die Dinge entwickeln, insbesondere in der Frage, mit der sie stark verbunden ist: der Migrationspolitik.“

Da, so sagt er nicht zum ersten Mal, seien ihr „zwei Fehler unterlaufen“. Sie habe bei der Situation an der österreichisch-ungarischen Grenze 2015 „zwar Herz, aber keinen Plan“ gehabt. Und „es wurde zu lange der Eindruck erweckt, dass diese Ausnahmesituation die neue Normalität wäre“. Das sei der erste Fehler gewesen. „Der zweite ist: Wenn man all diese Menschen integrieren will, muss man sich eingestehen, dass nicht alle voll ausgebildete Akademiker sind. Sondern auch viele Analphabeten darunter sind, insbesondere bei den Migranten aus Afghanistan und Afrika. Auch diese Menschen kann man hier durchaus als potenzielle Arbeitskräfte brauchen, aber sie müssen erst einmal qualifiziert werden. Zu sagen „wir schaffen das", das war euphemistisch. Richtig wäre gewesen, zu sagen: „Wir können das schaffen, wenn…". Jedenfalls muss die Union endgültig ihre Lebenslüge beerdigen, wir seien kein Einwanderungsland. Wir sind es längst.“

Ein Riss durch die Gesellschaft als Erbe

Damit sagt Schröder zu Recht: Nach den Formen der Agenda 2010, also seiner Schlüsseltat als Kanzler, hat sich Deutschland prächtig entwickelt. Wie das mit  dem Andenken sein wird, das sich mit Merkels Kanzlerschaft verbindet, das sieht Schröder in einer Perspektive von 20 Jahren ungleich kritischer.

Zu Recht, wiewohl man ihm vorhalten muss, unmittelbar zu Zeiten der zwei von ihm konstatierten Fehler seiner Nachfolgerin immer den Rücken gestärkt zu haben. Schon damals konnte man mit gleichem Fug und Recht die Frage aufwerfen, ob sich die Kanzlerin mit dieser Politik verdient macht, oder ob sie das Land nicht vielmehr mit einer Hypothek, einer schweren Bürde für Jahrzehnte belädt. Ökonomisch und vor allem gesellschaftlich. Der Riss, der seither durch die bis dahin bei allem politischen Streit durch die Gesellschaft geht, ist beispiellos. An den Folgen wird das Land ökonmisch und gesellschaftlich noch Jahrzehnte zu knabbern haben. Daran ändern liebedienerische Äußerungen wie zuletzt jene des BDI-Präsidenten Ingo Kramer, die optimistische Prognose der Kanzlerin habe sich  erfüllt, gar nichts.

Schröder spricht aber nicht nur zur Lage der Kanzlerin. Sendern auch zur existenziellen Lage seiner Partei, der SPD. Und der hält er vor, die Maxime des Helmut Schmidt vergessen zu haben. Dessen „bleibendes Verdienst für die SPD“ sei: „Helmut Schmidt hat den Menschen die Angst genommen, die Sozis könnten nicht mit der Wirtschaft und der inneren Sicherheit umgehen. Davon haben wir alle später profitiert. Denn ohne diese Kompetenzzuschreibungen wären spätere Wahlerfolge der SPD nicht möglich gewesen. Die Menschen in Deutschland haben etwas zu verlieren, deshalb ist ihnen das wichtig. Das ist der Kern, der heute wieder begriffen werden muss in unserer Partei. Man wird aus dem Tief nicht herauskommen, wenn man es weiter versäumt, sich um diese Kompetenzen zu bemühen.“

1,4 Millionen neue Hartz IV-Empfänger

Was für eine schlichte schöne Wahrheit. Der Kern noch einmal zur Wiederholung. Wirtschaftskompetenz und innere Sicherheit nehmen den Menschen Ängste. „Die Menschen in  Deutschland haben etwas zu verlieren, deshalb ist ihnen das wichtig.“

Und genau das hat wieder direkt mit dem Merkelschem Migrations-Solo zu tun. Denn das hat die Menschen an eben jenen Punkten getroffen, und je mehr sich die Ängste bestätigten durch Attentate, Vergewaltigungen und den Umstand, dass zwei Drittel der etwa 1,4 Millionen Migranten direkt in Harz IV gegangen sind und dort vermutlich auch noch eine Weile bleiben werden, desto rasanter sanken die Umfragewerte und Wahlergebnisse von Union und SPD. Die SPD hat es mit runtergezogen, weil sie Merkels Politik widerspruchslos mitgemacht hat. Und damit hat sie ihre Klientel an den beiden Punkten verloren, die Schröder benannt hat, Ökonomie und Innere Sicherheit. Vielleicht unwiderruflich.

Gefangen im Hypermoralismus

Wie gesagt: Auch Gerhard Schröder hat seine Kritik an Merkels Migrationspolitik erst Jahre später entdeckt und vorgebracht. Aber er hat es dann immerhin getan. Seine SPD ist da bis heute unbeirrt auf dem völlig falschen Trip und weiter in ihrem politischen Hypermoralismus gefangen, wie jüngst die Warnung des SPD-Generalsekretärs Lars Klingbeil an die Adresse der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp Karrenbauer vor einem härteren Kurs in der Migrationspoltik belegt.

Damit wird es vollends grotesk: Die SPD will Schröders Reformen schleifen, die Deutschland einen Aufschwung beschert haben, und sie will gleichzeitig an Merkels Fehler, der eine Bürde auf Jahrzehnte bleiben wird, sogar dann noch festhalten, wenn sich die neue CDU-Vorsitzende davon löst.

Einer solchen SPD ist nicht mehr zu helfen.

 

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