GEZ-Boykotteur Georg Thiel - „Im Gefängnis hab ich wenigstens meine Ruhe“

Weil er keinen Rundfunkbeitrag zahlte und sich weigerte, seine Vermögensverhältnisse offen zu legen, sitzt Georg Thiel seit 118 Tagen in Haft. Er sagt, er wolle seine Popularität nutzen, um auf eine Reform des Rundfunkstaatsvertrags drängen. Aber ist das wirklich der Grund?

Gerechtigkeitsfanatiker oder Querulant? Georg Thiel / Twitter
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Georg Thiel zu interviewen, ist gar nicht so leicht. Er sitzt seit 118 Tagen in „Erzwingungshaft in der JVA Münster. Man muss eine Anfrage an die Anstaltsleitung stellen – und abwarten. Nach zwei Wochen kommt die Zusage für ein 30-minütiges Telefonat. Einzige Bedingung: Die Pressesprecherin der JVA hört mit.  

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Herr Thiel, bevor Sie am 25. Februar ins Gefängnis kamen, war Ihr Name in Deutschland weitgehend unbekannt. Jetzt werden Sie auf Twitter wie ein Märtyrer gefeiert. Die rechtskonservative Junge Freiheit nennt sie den „GEZ-Gandhi“. Schmeichelt Ihnen das?

GEZ-Ghandi? Wow. (lacht) Aber wissen Sie, darauf, was über mich geschrieben wird, habe ich keinen Einfluss. Egal, ob das Linke sind oder AfD-Politiker, die haben mich hier sogar schon im Gefängnis besucht. Aber ob mir das schmeichelt? Pffft, weiß ich nicht.

Wollen Sie kein Held sein?

Nö. So bezeichnen mich höchstens meine Unterstützer. Ich habe schon über 700 Briefe bekommen.

Wer schreibt Ihnen denn so alles?

Das sind vor allem ältere Leute, Rentner. Die wünschen  mir Gesundheit. Die machen sich Sorgen, weil sie mitbekommen haben, dass ich zwischenzeitlich in den Hungerstreik getreten war, damit ich telefonieren durfte. Die sagen: „Wir brauchen Sie lebendig“.

Ihr Haftaufenthalt soll den Steuerzahler in sechs Monaten 30.000 Euro kosten. Das Geld muss die Stadt Borken als Vollstreckerin vorschießen. Müssen Sie sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, Sie tragen Ihren Streit mit dem WDR auf dem Rücken der Steuerzahler aus?

Na ja, der Steuerzahler muss das Geld erstmal vorstrecken. Die Rechnung geht an die Stadt Borken. Und wenn die das Geld nicht eintreiben kann, wird sie an den Gläubiger ...

... also an den WDR ....

.. geschickt. Der wird natürlich versuchen, die Rechnung an mich weiterzureichen.

Wie wollen Sie das bezahlen?

Habe ich gesagt, dass ich das bezahlen möchte?

Lassen Sie mich raten: Bei Ihnen ist nichts zu holen.

Bingo. Am Anfang ging es nur um ein paar 100 Euro Schulden. Jetzt sind wir schon ungefähr bei 18.000 Euro. Das versteht keiner, warum der WDR das macht. Das ist totaler Schwachsinn. Wobei: Geld hat der ja genug. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kassiert jedes Jahr acht Milliarden Euro. Der soll einfach bezahlen – und fertig.

Es versteht aber auch keiner, warum Sie das machen. Sie bürden der Allgemeinheit ja die Kosten für Ihren Gefängnisaufenthalt auf.

Ich mache das, weil ich den Rundfunkstaatsvertrag für rechtswidrig halte, zumindest bestimmte Inhalte. Seit 2013 gibt es keine Gebühren mehr für Geräte, sondern eine Haushaltsabgabe. Ich hatte mein letztes Radio schon 2010 abgemeldet. Ich hab mir das schriftlich bestätigen lassen. Seit 2013 ist das leider nicht mehr möglich.

Gegen diese Änderung hat es vier zugelassene Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht gegeben. Alle vier wurden abgelehnt. Die Rechtslage ist also eindeutig.

Richtig, aber kennen Sie Artikel 5 im Grundgesetz? Darin steht, jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Darin steht aber nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Monopol zur Berichterstattung hat. Das Recht gilt für alle Medien. Der Cicero würde ja auch keine Mahnungen an Leser verschicken, die seine freien Inhalte lesen.

Eine eigenwillige Rechtsauffassung. Glauben Sie im Ernst, Sie kommen damit vor Gericht durch?

Ich bin nicht der erste, der gegen den ÖR kämpft. Nach den Zahlen des Beitragsservice von 2019 klagen 1,2 Millionen Menschen gegen den Rundfunkbeitrag. Sie stecken im Vollstreckungsverfahren. Nur bin ich schon verhaftet, aber sie noch nicht. Dazu kommen noch 20 Millionen Menschen, die ihrer Zahlungsaufforderung noch nicht nachgekommen sind. Das ist eine ganz schön hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass es 46 Millionen Beitragskonten gibt. Ich bin also kein Pionier.

Stimmt, vor Ihnen saß schon die Thüringerin Sieglinde Baumert 2016 für 61 Tage in Erzwingungshaft. Der MDR ließ sie gehen, nachdem in der Welt ein Interview mit ihr erscheinen war. Warum lenkt der WDR in Ihrem Fall nicht ein?

Vielleicht, weil der Fall 2016 nicht für so große Aufregung gesorgt hat. Frau Baumert hat damals nichts unternommen. Die hat da einfach nur in ihrer Zelle gesessen. Ich habe viele Unterstützer. Die sorgen dafür, dass mein Fall bekannt wird.

Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie doch zugeben, dass Ihnen gar nichts Besseres passieren konnte, als hinter Gitter zu kommen. Im Februar sind Sie selbst zur Polizei gefahren und haben gesagt: „Verhaften Sie mich jetzt!“

Ich hab das ein bisschen provoziert, das stimmt. Der Haftbefehl kam aber schon im Juli 2020. Seither habe ich darauf gewartet, dass die Polizei kam. Aber nichts ist passiert.

Was glauben Sie, warum hat man Sie so lange warten lassen?

Das nennt man Angstmache. 

In Interviews haben Sie freimütig verkündet, Sie würden 14.000 Euro im Jahr verdienen. Wenn das ein offenes Geheimnis ist, warum haben Sie das nicht dem Gerichtsvollzieher verraten?

Weil es mir das Gesetz vorschreibt. Die wissen wahrscheinlich, dass ich eine arme Sau bin, aber Sie brauchen noch meine Unterschrift.

Und, wo ist das Problem?

Ich mache das absichtlich nicht. Ich möchte darauf hinweisen, dass der Rundfunkbeitrag rechtswidrig ist.

Und dafür nehmen Sie sechs Monate Gefängnis in Kauf?

Natürlich möchte ich hier nicht sitzen. Aber ich möchte, dass der Rundfunkstaatsvertrag reformiert wird. Es kann doch nicht sein, dass Leute wegen nicht gezahlter Rundfunkbeiträge verhaftet werden. So etwas passiert vielleicht in einer Diktatur wie in Nordkorea, aber doch nicht in einer Demokratie.

Man kann tatsächlich die Frage stellen, ob das verhältnismäßig ist. Aber drei Gerichte haben diese Frage mit Ja beantwortet, zuletzt sogar das Bundesverfassungsgericht.   

Ach, dem Bundesverfassungsgericht traue ich sowieso nicht mehr. Wissen Sie, wie die Haushaltsabgabe damals entstanden ist? Der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof hat das Gutachten erstellt, und sein Bruder Ferdinand, der Richter am Verfassungsgericht ist, hat das dann durchgewunken.

Ihr Anwalt ist derselbe, der 2018 vor den Europäischen Menschengerichtshof (EMG) gezogen ist, um Beschwerde gegen das Kirchhof-Urteil eingelegt hat. Das ist doch auch kein Zufall, oder?

Nein, das ist ein Anwalt, der sich auf den  Rundfunkbeitrag spezialisiert hat. Der wurde mir empfohlen. Die Klage vor dem EMG hat er zwar verloren. Aber andere Prozesse hat er gewonnen.

Sie haben gesagt, Sie möchten nicht im Gefängnis sitzen. Wie sieht es in Ihrer Einzelzelle aus?

Es gibt einen Tisch, ein Bett, einen Schrank und einen Stuhl. Langweilig. Zwei mal vier Meter.   

Was machen Sie den ganzen Tag?

Ich bin viel am Lesen. Vor allem Gesetze. Gerade studiere ich das Grundgesetz. Es gibt hier eine Bibliothek. Und alle Informationen, die ich sonst noch brauche, werden mir von meinen Unterstützern zugeschickt. Ich schreibe viele Briefe.

Im Gefängnis gibt es öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen. Empfangen Sie das auch?

Standard ist das nicht. Die Geräte muss man sich gegen Gebühren leihen. Ich brauch das aber nicht.

Was sagt eigentlich Ihr Arbeitgeber zu der Aktion? Können Sie sich einfach mal sechs Monate aus Ihrem Job ausklinken?

Nein, wahrscheinlich wird das meine Existenz zerstören. Aber ich nehme das in Kauf.

War Ihnen das vorher bewusst?

Ja, seit ich den Haftbefehl bekommen habe, habe ich mich intensiv damit beschäftigt.

Sie sind Mitte der neunziger Jahre aus Polen nach Deutschland gekommen. Fremdeln Sie nur mit dem ÖR oder auch mit dem Staat?

Mich ärgert nur diese Zwangsabgabe. Ich zahle meine Müllgebühren, ich zahle Steuern, ich zahle Krankenversicherung.

Am 26. September sind Bundestagswahlen. Bis dahin sind Sie aus dem Gefängnis wieder heraus. Welcher Partei geben Sie Ihre Stimme?

Gar keiner. Ich bin politisch neutral. Ich habe nur einmal im Leben gewählt, und das waren die Piraten. Und dann habe ich erfahren, dass sie für den Rundfunkbeitrag sind. So ein Reinfall (lacht).

Die AfD will den ÖR praktisch ganz abschaffen. Wäre das eine Alternative?

Nein, das wird ihr auch nicht gelingen. Ich bin auch nicht dafür, den ÖR abzuschaffen. Das habe ich niemals gesagt. Mir geht es um das Finanzierungsmodell. Ich finde, dass die Haushaltsabgabe für bestimmte Gruppen wie Rentner oder Azubis nachteilig ist.

Aber wer in Not ist, kann sich doch davon befreien lassen.

Richtig, aber mir geht es um die, die sich nicht davon befreien lassen können, weil sie 50 Euro zu viel verdienen. Ich bin Geringverdiener. Ich kenne die Prozedur. Politiker, Richter, Prominente und Millionäre zahlen aber auch nur 17,50 Euro im Monat. Und das finde ich ungerecht.

Wenn man Sie so reden hört, hat man das Gefühl, das ist bei Ihnen zu einer fixen Idee geworden.

Gucken Sie sich an, wie das in anderen Ländern wie in der Schweiz gelöst wird. Da zahlen Geringverdiener automatisch weniger.

Ist es Ihnen das wert, dass der Kampf um ein gerechteres Finanzierungsmodell für den ÖR alles andere in Ihrem Leben in den Hintergrund gedrängt hat? 

Warum brauche ich zum Leben Fernsehen oder Radio? Ich brauch das nicht.

Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Warum gehen Sie dafür ins Gefängnis?

Weil ich das ungerecht finde. Wenn die sagen, dass das eine Demokratieabgabe ist, sollen die das einkommensabhängig machen.

Im März haben Sie WDR-Intendant Tom Buhrow in einem Brief gebeten, Sie freizulassen. Was hat er geantwortet?

Er hat gar nicht geantwortet. Es war die WDR-Verwaltungsdirektorin Katrin Vernau. Sie hat geschrieben, dass der Sender meiner Bitte nicht nachkommen wird. Eine Begründung gab es nicht. Sie schrieb auch, den Haftbefehl habe die Gemeinde Borken beantragt, nicht der WDR.

Aber die Stadt hätte doch nicht gehandelt, wenn der WDR sie nicht eingeschaltet hätte.

Über den Satz bin ich auch gestolpert. Im Vorfeld wurde zwischen dem WDR und der Stadt heftig kommuniziert. Die Gerichte haben mir den Schriftverkehr ja geschickt.

Wie finden Sie die Ausrede des WDR?

Das ist eine Lüge. Aber Herr Buhrow muss mir nicht persönlich antworten. Das fällt nicht in seine Zuständigkeit.

Der WDR macht den Fall Thiel durch seine Ungeschicklichkeit größer, als er eigentlich ist. War nicht genau das Ihr Ziel?

Bingo.

Am 24. August kommen Sie aus dem Gefängnis wieder heraus. Was machen Sie als erstes?

Eine Fahrradtour. Ich habe den Sommer ja leider in diesem Jahr verpasst. Dann bleiben noch ein paar schöne Tage. Aber eigentlich freue ich mich gar nicht auf diesen Tag.

Warum nicht?

Wenn ich hier rauskomme, geht es richtig los. Ich muss meine Finanzen regeln, die Steuererklärung machen, die Rechnung für die Haft bezahlen. Und, und, und.

Herrr Thiel, kann es sein, dass Sie sich in dieses Gefängnis geflüchtet haben?

Ja, da ist was dran (lacht). Draußen werden die Leute vom System nach allen Seiten gedrückt. Hier drin habe ich wenigstens meine Ruhe.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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