GEZ-Gegner Georg Thiel - Ist dieser Mann ein Held?

Weil er jahrelang keinen Rundfunkbeitrag gezahlt und sich geweigert hat, seine Vermögensverhältnisse offenzulegen, sitzt Georg Thiel seit 117 Tagen in „Erzwingungshaft“. So hat es der WDR veranlasst. Für den Sender ist der Fall im Bundestagswahlkampf zum PR-Gau geworden. Denn im Internet wird der 54-Jährige als Märtyrer gefeiert. Zu Recht?

„Ich zieh das bis zum Ende durch“: Georg Thiel / rundfunk-frei
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es gibt Menschen, die jetzt einen Helden in ihm sehen. Dabei hat Georg Thiel gar nichts getan, was diesen Vergleich rechtfertigen würde. Jedenfalls dann nicht, wenn man mit beiden Beinen auf dem Boden des Gesetzes steht. Aber sein Gegner, das ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Und sein Streit mit ihm fällt genau in den Bundestagswahlkampf.

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Und das reicht schon als Erklärung, warum aus der Causa Thiel ein Politikum wurde, das in den sozialen Medien trendet. Einen „GEZ-Gandhi“, so hat ihn die rechtskonservative Junge Freiheit genannt. Angeheizt wird der Protest gegen seine Inhaftierung von der AfD. Sie stilisiert ihn zum Opfer eines „Staatsrundfunks“, der seine Programme ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bürger sende und sich die Taschen mit ihrem Geld vollstopfe.

Acht Quadratmeter, einmal Hofgang am Tag

Aber der Reihe nach. Seit 117 Tagen sitzt Georg Thiel  in der JVA Münster, acht Quadratmeter, einmal Hofgang am Tag. Dabei könnte er die JVA  sofort verlassen, wenn er wollte. Denn anders als kolportiert, sitzt Thiel nicht im Gefängnis, weil er schon seit Jahren keine Rundfunkgebühr mehr gezahlt hat, sondern weil er sich geweigert hat, seine Einkommensverhältnisse offenzulegen. So schreibt es das Vollstreckungsrecht vor.   

Ein Gericht kann dann entscheiden, was zum Ausglich der geschuldeten Beträge pfändbar wäre. Wer sich weigert, muss damit rechnen, dass er ins Gefängnis kommt. Im Fall Thiel geht es um 465 Euro und 50 Cent.  

Ist „Erzwingungshaft“ verhältismäßig? 

Ist das verhältnismäßig? Über diese Frage kann man streiten. Im Fall Thiel haben drei Gerichte diese Frage bejaht, zuletzt das Bundesverfassungsgericht. Er könne die Haft jederzeit beenden, wenn er wolle, lautet die Begründung. Er müsse dem Gerichtsvollzieher nur Einblick in seine Einkünfte gewähren.

Merkwürdig nur: In Interviews macht der Technische Zeichner aus dem nordrhein-westfälischen Borken daraus gar kein Geheimnis. 14.000 Euro im Jahr soll sein Jahreseinkommen angeblich betragen. Dass er im Verfahren mauert, zeigt, dass es ihm nicht ums Geld geht, sondern ums Prinzip. Georg Thiel will den Finger in die Wunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legen. Zankapfel ist die so genannte Haushaltsabgabe, die 2013 die Geräteabgabe ersetzte. Seither muss jeder Haushalt 17,50 Euro im Monat zahlen, egal, ob er oder sie die Radio- und TV-Angebote nutzt oder nicht. Vier  Verfassungsbeschwerden  dagegen hat das Bundesverfassungsgericht bis 2018 abgelehnt. Eine fünfte ging 2019 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Der erklärte, er sei dafür nicht zuständig. Kläger war derselbe Anwalt, der jetzt Georg Thiel verteidigt. Auf Anfrage von Cicero erklärte er, er dürfe wegen des laufenden Verfahrens keine Angaben machen.

Wer sind die Unterstützer?  

Als Einzelkämpfer,

Du lebst in Deutschland, wenn die Verweigerung Rosamunde Pilcher oder Kai Pflaume zu finanzieren, ein Verbrechen darstellt. #FreeGeorgThiel

— Joana Cotar (@JoanaCotar) June 10, 2021 " target="_blank">so hat sich Thiel bislang dargestellt. Doch dieses Bild stimmt nicht. Wie viele Gebührengegner ist er gut vernetzt. Die größte Plattform der Rebellen ist das Internet-Portal www.gez-boykott.de. Sie gibt ihren Mitgliedern Tipps, wie man den Beitragsservice austricksen kann. Auch Georg Thiel wird  von der Initiative unterstützt. Gegründet hat sie der IT-Ingenieur René Ketterer 2007, nachdem er selbst Stress mit den Gebühren-Kontrolleuren der GEZ bekommen hatte.

Inzwischen, sagt er Cicero, zähle die Initiative 15.000 Mitstreiter, weitere 50.000 folgen ihr bei Facebook. Glaubt man Ketterer, kommen sie aus allen Schichten, und viele könnten sich die 17,50 Euro im Monat durchaus leisten. Sie boykottieren den Beitrag aber  – nicht weil sie per se gegen den ÖR seien, sondern weil sie finden, dass der Beitrag sozial ungerecht sei und dass eine abgespeckte Variante des Rundfunks reichen würde.  

Die AfD muss draußen bleiben

Die AfD geht noch weiter. „Freiheit für Georg Thiel! Schluss mit dem Staatsfunk!“, diesen Antrag hat die Fraktion in NRW gerade im Landtag gestellt.  Auf Twitter ätzte die medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Joana Cotar: „Du lebst in Deutschland, wenn die Verweigerung, Rosamunde Pilcher oder Kai Pflaume zu finanzieren, ein Verbrechen darstellt.“ 

Glaubt man Rene Ketterer, kann er mit solchen populistischen Parolen nichts anfangen. Er sagt, er selbst wähle FDP oder CDU. Georg Thiel hat sich im Interview mit Cicero als „unparteiisch“ bezeichnet. Ketterer sagt, Thiels Kritiker machten es sich zu einfach, wenn sie behaupteten, seine Unterstützer kämen alle aus dem Umfeld der AfD. „Uns geht es um das Sachthema.“ Klar, es hätte schon etliche Versuche gegeben, das Internet-Portal als Bühne für die AfD zu nutzen. Solche Mitglieder habe man jedoch gesperrt.

Der MDR war eingeknickt

Georg Thiel ist nicht der erste säumige Gebühren-Zahler, der hinter Gitter muss. 2016 hatte der MDR veranlasst, dass die Fabrikarbeiterin Sieglinde Baumert inhaftiert wurde. Nach 61 Tagen jedoch kam sie wieder frei. Es heißt, der MDR habe dem Druck der Medien nachgegeben. Der ist im Fall Thiel noch wesentlich höher. Dafür, sagte Thiel gegenüber Cicero, sorgten seine Unterstützer. 

Trotzdem lenkt der für ihn zuständige WDR nicht ein. Auf einer ARD-Pressekonferenz hat der Sender am 20. April betont, die Erzwingungshaft sei „eine Ultima Ratio, die das Vollstreckungsverfahren vorsieht“. Es liege in seiner Hand, die Haft zu beenden.

Der WDR hat Thiel zum Märtyrer gemacht  

Der WDR hat sich mit der Inhaftierung Thiels in eine Sackgasse manövriert – und die Warnungen seines eigenen Beitragsservices ignoriert. In einem internen Schreiben heißt es, die Erzwingungshaft könne im Einzelfall zwar erfolgversprechend sein. In der Vergangenheit hätten Inhaftierungen aber „zu Schlagzeilenpublikationen geführt, die nach unserer Auffassung die Akzeptanz der Finanzierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks belasten“.  

Genau das ist im Fall Thiel passiert. Der WDR hat Georg Thiel  zum Märtyrer gemacht. Sechs Monate kann die Erzwingungshaft dauern. Und der Aktivist hat bereits angekündigt: „Ich zieh das bis zum Ende durch.“ Sollte der Sender gedacht haben, er könne den Fall nutzen, um nach dem politischen Streit um die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags ein Exempel an einem Rebellen statuieren, ging das Kalkül nicht auf. Der Imageschaden ist schon jetzt beträchtlich. Eine sechsmonatige Unterbringung in der JVA kostet 30.000 Euro. Das Geld muss die Stadt Borken vorstrecken. Der WDR kann versuchen, sich das Geld von Thiel zurückzuholen. Doch der sagt, bei ihm sei nichts zu holen. Schon lästern Kritiker, der WDR trage seinen Streit mit Thiel auf Kosten der Steuerzahler aus.

WDR-Intendant gerät zunehmend unter Druck  

Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die den ÖR am liebsten abschaffen würden. Intendant Buhrow steht seit der Oma-Gate-Affäre sowieso in der Kritik. Erst musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, er sei unter dem öffentlichen Druck eingeknickt und habe sich für die „Satire“ entschuldigt. Jetzt gerät er zunehmend unter Druck, weil er sich öffentlich nicht zu dem GEZ-Boykotteur äußern will. Auch eine Interviewanfrage von Cicero lehnte er ab. Dass der WDR-Moderator Jürgen Domian kürzlich in seiner Live-Sendung einen Anrufer aus der Leitung warf, der mit ihm über Georg Thiel sprechen wollte, passte in das Feindbild der ÖR-Gegner. Versucht der WDR etwa, Kritiker mundtot zu machen?  

Nein, Georg Thiel ist kein Held. Und man kann darüber den Kopf schütteln, dass er den Kampf gegen den Rundfunkbeitrag zu seinem Lebensinhalt gemacht hat. Aber der WDR macht in dieser Geschichte eine noch schlechtere Figur. Und er hat mehr zu verlieren als die 465 Euro und 35 Cent, die Georg Thiel ihm schuldet. Es geht um seine Legitimation. 

Morgen lesen Sie an dieser Stelle das vollständige Cicero-Interview mit Georg Thiel.

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