Gendersternchen und generisches Femininum - Der Narzissmus der gendergerechten Sprache

Ein Gesetzentwurf aus dem Hause von Justizministerin Christine Lambrecht tritt wieder einmal eine Genderdebatte los. Denn in dem Text wird konsequent das generische Femininum verwendet. Mathias Brodkorb über das nie endende Rumbasteln an Zeichenketten.

Will mal die Männer „mitmeinen“: Justizministerin Christine Lambrecht
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Ausgerechnet den spröden Gesetzentwurf zum Sanierungs- und Insolvenzrecht hat sich Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD) ausgesucht, um einen staatlich verordneten Beitrag zur „geschlechtergerechten Sprache“ zu leisten. Erstmals soll nicht das generische Maskulinum, sondern sein weibliches Geschwisterkind zur Anwendung kommen, um alle Bürger zu bezeichnen. Für Bundesinnenminister Seehofer (CSU) kommt dies allerdings nicht in Frage. Immerhin sei das generische Femininum „zur Verwendung für weibliche und männliche Personen bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt“.

Das wiederum stimmt so pauschal nicht. Immerhin seit rund 40 Jahren wird in Deutschland nun schon über eine gendergerechte Sprache diskutiert - auch und gerade in der Sprachwissenschaft. Eingebrockt hat uns das alles die „feministische Linguistik“. Ihre Vertreterinnen und Vertreter stören sich, an vorderster Front Luise F. Pusch, am so genannten generischen Maskulinum. Damit wird in der Grammatik der Umstand beschrieben, dass häufig „männliche“ Substantive verwendet werden, um Frauen mitzubezeichnen. Darin sieht die feministische Linguistik ein sprachliches Unsichtbarmachen von Frauen und damit die symbolische Überformung der männlichen Vorherrschaft in der real existierenden patriarchalischen Welt. Die Grammatik als Helfershelferin der Unterdrückung der Frauen durch die Männer - so simpel ist der Grundgedanke, der über viele Umwege zum Gendersternchen führte.

Die Suche nach dem Genderstern

Die einzelnen Stufen dahin waren wirklich steil - und man muss es manchmal rekapitulieren, um sich des Unsinns andauernder bloß symbolischer Umwälzungen überhaupt noch zu erinnern. Erst wurden Klammern und Schrägstriche eingeführt oder aber gefordert, künftig gefälligst Männer und Frauen beim Sprechen gleichberechtigt zu benennen. Aber das warf sofort das nächste Problem auf. Wen als Erstes und wen als Zweites nennen? Auch in dieser Unterscheidung können offenbar Herabsetzungen und Herrschaftsstrukturen schlummern. Also wurde das Binnen-I erfunden. Künftig sollte von „ChefInnen“ und „KanzlerInnen“ gesprochen und geschrieben werden, um Mann und Frau gleichberechtigt zu denken.

Dumm nur, dass sich kurze Zeit später all’ jene diskriminiert fühlten, die sich durch die bipolare Geschlechterwelt nicht repräsentiert sahen. Aber Abhilfe war schnell gefunden. An die Stelle des großen Binnen-I trat der gender-gap-Strich - als eine Leerstelle für alle, die sich weder als Mann noch als Frau fühlen. Fortan hieß es in einschlägigen Kreisen „Chef_in“ oder „Kanzler_in“. Damit hätten sich eigentlich alle mitgemeint fühlen können, obwohl zumindest in diesen beiden Fällen eigentlich noch immer sprachlich „Männer“ an erster Stelle stehen.

Aber natürlich lässt sich die Welt noch ein klitzekleines bisschen besser machen. Besonders engagierte Aktivisten wollten den gender-gap zumindest noch um das große Binnen-I als besondere Ergebenheit an die Weiblichkeit ergänzen („Chef_In“ und „Kanzler_In“). Anderen wiederum gefiel es ganz und gar nicht, sich als Restgruppe in eine „Leerstelle“ einsortieren zu müssen. Das Gendersternchen war geboren! Offenbar verfügt ein Sternchen von Natur aus über größere okkulte Eigenschaften als ein schnöder Unterstrich, obwohl sie am Ende ja beide dasselbe bedeuten sollen. Überflüssig zu betonen, dass sich auch dieses noch mit dem großen Binnen-I kombinieren lässt.

Freundinne, Freundisse, Freundille

Und selbstverständlich gibt es auch Debattenvertreter, die dies alles immer noch für völlig unzureichend halten, darunter die schon erwähnte Luise F. Pusch: „Das Binnen-I, das sich nicht nur in feministischen Kreisen durchgesetzt hat, kommt der von mir bevorzugten Lösung, dem generischen Femininum, optisch noch am nächsten. Um diese wichtige Assoziation nicht zu zerstören und trotzdem Kompromissbereitschaft zu zeigen, habe ich eine Fusion des Binnen-Is mit dem Genderstern vorgeschlagen: Am hübschesten wäre ein kleines i mit Sternchen statt i-Tüpfelchen. Das geben aber unsere Tastaturen noch nicht her, deshalb benutzen wir stattdessen vorerst ein Ausrufezeichen: Hörer!nnen.“ Ich fände ein kleines „i“ mit Sternchen auch am hübschesten. Echt.

Aber das ist nur ein Kompromiss. Eigentlich will Frau Pusch etwas anderes, nämlich eine total gerechte Sprache - selbstverständlich unter Einbeziehung des diversen Geschlechts. Dazu will sie die grammatikalische Geschlechtlichkeit der Sprache völlig umbauen und letztlich das generische Femininum etablieren. Aber lesen und genießen Sie selbst: „Wir hätten dann etwa Freundin (Frau), Freundis (Mann) und Freundil (divers), Plural Freundinne, Freundisse, Freundille. Wenn das Geschlecht (welches auch immer) keine Rolle spielen soll, entfällt die Endung. Beispiel: Fragen Sie Ihre Freund, Arzt oder Apotheker. Wieso Ihre und nicht Ihren? Weil es (…) nur noch ein Genus gibt: Das Femininum.“ Nein, ich habe da nichts falsch abgetippt. Das steht da wirklich so. Bleibt nur ein Problem: Wenn das generische Maskulinum ungerecht ist, weil es zu Unterdrückung führt, nämlich der Frauen, wäre dann nicht auch das generische Femininum böse, weil es zur Unterdrückung der Männer und vor allem der Diversen führte?

Seit der höchstrichterlichen Anerkennung eines dritten Geschlechts, das sich allerdings auch noch in dutzende Spezialidentitäten zerlegen lässt, stehen Femistinnen und Feministen sowie Gendersprachbewegte daher vor einem unlösbaren Dilemma. Mit der postmodernen Vervielfältigung der Geschlechter werden Frauen unweigerlich von einer ehemals besonders zu fördernden Gruppe zu bloß einer unter vielen. Jeder Versuch, ihnen weiterhin einen förderungspolitischen Sonderstatus verschaffen zu wollen, macht sie zu den neuen Männern, die alle anderen genau dadurch benachteiligen. Auch der Gesetzentwurf zum Sanierungs- und Insolvenzrecht atmet diesen in manchen Kreisen als archaisch geltenden Geist. Das Imperium schlägt zurück.

„Banane“ schmeckt nicht nach Banane

Allerdings basiert schon die Grundannahme der gesamten Debatte auf einem fundamentalen Irrtum. Auch wenn es jetzt weh tut: Das Wort „die Banane“ schmeckt nicht nach Banane, „der Mond“ hat keinen Penis und „die Sonne“ keine Brüste. Diese Form der Männlichkeit und Weiblichkeit hat mit dem biologischen (oder sozialen) Unterschied zwischen Mann und Frau schlicht gar nichts zu tun. Den Unterschied zwischen der Welt der Grammatik sowie der Welt der Vulva und des Penis nicht zu akzeptieren, heißt schlicht, Grammatik und Biologie (oder Soziologie) letztlich für identisch zu erklären.

Wir wollen das Grundproblem der feministischen Linguistik einmal an einem Beispiel durchdeklinieren. Folgen können Sie mir aber nur, wenn Sie akzeptieren, dass die Grammatik und die Biologie (oder Soziologie) einfach völlig verschiedene Sachgebiete sind. Mit „der Mensch“ bezeichnen wir alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht. Es geht dabei gerade nicht darum, Frauen zum Verschwinden zu bringen. Zum Verschwinden gebracht wird vielmehr die Geschlechtlichkeit als solche, also zum Beispiel der Unterschied zwischen Mann und Frau. Wenn also die Bezeichnung „der Mensch“ Frauen unterdrückt, weil ihre spezifische biologische (oder auch soziale) Geschlechtlichkeit zum Verschwinden gebracht wird, trifft dasselbe auch auf den Mann zu. Er wäre in diesem Akt sogar besonders bemitleidenswert, weil das grammatikalische männliche Geschlecht durch ihn dazu benutzt werden müsste, seine biologische (oder auch soziale) Männlichkeit zum Verschwinden zu bringen. Ein masochistischer Akt also.

„Frau“ -  ein diskriminierendes Wort

Bereits „Frau“ ist, folgt man der Logik der feministischen Linguistik, eigentlich ein diskriminierendes Wort. Denn es bringt diese konkrete Frau Müller ebenso zum Verschwinden wie diese konkrete Frau Meyer. Im Grunde handelt es sich aber nur um eine gedankliche Abstraktion. Es gab Zeiten, in denen gerade dieses Denkvermögen, das Vermögen also, sich vom konkreten Einzelfall zu lösen und zum abstrakten Allgemeinen aufzusteigen, als bedeutendste Fähigkeit des Menschen angesehen wurde. Es gehen Gerüchte um, dass auf dieser Fähigkeit sogar Wissenschaft und Rechtsstaat basieren sollen.

Mit „der Mensch“ wird in der Ordnungsstufe lediglich noch einen Schritt höher geklettert. Nun wird nicht nur von dem abgesehen, was Frau Müller von Frau Meyer, sondern außerdem von dem, was Herrn Müller von Herrn Meyer sowie alle voneinander unterscheidet. Es wird ausschließlich auf jene Merkmale Bezug genommen, die uns alle als Menschen auszeichnen. Das generische Maskulinum tut also am Ende nichts anderes als Begriffe zu bezeichnen. Es dient dazu, all’ die zahlreichen Einzelfälle, die wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen, in dieser Gemeinsamkeit festzuhalten - und von allem anderen abzusehen. Das generische Maskulinum ist nichts anderes als ein Sammelcontainer von Eigenschaften, ein begriffliches Werkzeug. Das Vermögen, die Vielfalt der Welt begrifflich auf das wesentlich Gemeinsame zu reduzieren, ist kein Mangel von Sprache, gegen den man aus Gerechtigkeitsgründen ankämpfen müsste, sondern ihr eigentlicher Sinn.

Gender-Donquichotterie als narzisstisches Syndrom

Und? Merken Sie etwas? Genau dasselbe tun großes Binnen-I, gender-gap-Strich und Gendersternchen auch. Seit nunmehr 40 Jahren wird wie wild daran gebastelt, den Frauen (und nunmehr Diversen) in unserer Sprache einen angemessenen Ort zu geben und es kommt nach all’ den Büchern, Zeitschriftenaufsätzen, Diskussionen und politischen Initiativen funktional genau das dabei heraus, was wir vorher schon hatten. Das Gendersternchen ist - sprachlogisch betrachtet - nichts anderes als das generische Maskulinum durch die Hintertür. Es ist ein sprachlicher Sammelcontainer von Eigenschaften und die gesamte Debatte seit Jahrzehnten eine mit Inbrunst betriebene Donquichotterie.

Der Mensch hat die Sprache einst nicht ersonnen, um Gerechtigkeit zu schaffen, sondern um Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Welt festzuhalten. Ohne Sprache und Symbolsysteme und ohne Fähigkeit zu denken, wäre er der Mannigfaltigkeit der empirischen Welt hilflos ausgeliefert. Er irrte zwischen ihn schier überwältigenden Eindrücken orientierungslos hin und her. Sprache und Denken sind jene Macheten, mit denen sich der Mensch einen Weg durch den Dschungel der Welt bahnt.

Im Zeitalter der Identitätspolitik bleibt von dieser Wahrheits- und Welterschließungsfunktion der Sprache nichts mehr übrig. Da alles nur noch aus subjektiven Konstruktionen bestehen soll, wandeln sich Sprache und Denken von Erkenntniswerkzeugen zu Instrumenten der Selbstbeweihräucherung und Anerkennungserzwingung. Da alles bloß konstruiert und beliebig ist, hat jeder mit allem gleich Recht und darf von allen verlangen, leistungslos so bezeichnet und damit anerkannt zu werden, wie er oder sie es wünscht. Die gendergerechte Sprache gehört zum narzisstischen Syndrom. Anders jedenfalls ist nicht erklärlich, in welcher Selbstüberbietung die Hüter der gendergerechten Sprache untereinander darin wetteifern, ob großes Binnen-I, gender-gap, Gendersterchen oder Gendersternchen-i der wahre Sammelcontainer sei. Das narzisstische Syndrom frisst seine Kinder.

Vom Neusprech zum Richtigdenk

Die Idee, durch Reglementierung der Sprache das Richtig-Denken regelrecht zu erzwingen, erinnert unweigerlich an George Orwells „1984“. Darin wurde u. a. beschrieben, wie ein totalitäres Regime mit dem „Neusprech“ eine Sprache erschaffen wollte, in der ein „ketzerischer Gedanke (…) buchstäblich undenkbar sein sollte, insoweit jedenfalls, als Denken an Worte gebunden ist. (…) Dies erreichte man zum Teil durch die Erfindung neuer, hauptsächlich aber durch die Eliminierung unerwünschter Wörter und indem man die verbleibenden Wörter aller unorthodoxen und soweit wie möglich überhaupt aller Nebenbedeutungen entkleidete.“ Allerdings wollte es nicht so recht gelingen. Die Unterdrückten kamen trotzdem immer wieder auf eigene dumme Gedanken.
 
Gewiss, weder leben wir in einer totalitären Gesellschaft noch hegen die Vertreter einer gendergerechten Sprache totalitäre Absichten. Aber beide Vorhaben basieren unweigerlich auf derselben, falschen Voraussetzung, nämlich einer Identifizierung von Denken und Sprache. Demnach soll unser Denken durch die Sprache determiniert werden, als würden wir in einem Gefängnis sitzen, aus dem wir nicht ausbrechen können: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (Ludwig Wittgenstein) Eine „männlich“ dominierte Sprache würde demnach wie von Geisterhand und hinter dem Rücken der Akteure eine männlich dominierte Gesellschaft erzwingen und eine Umpolung der Sprache folglich das Gegenteil bewirken. Wenn das allerdings wahr wäre, hätte die feministische Linguistik nie entstehen können.
 
Wittgensteins Satz ist ein hübscher Aphorismus, aber er ist falsch. Wenn es so wäre, dass die Sprache das Denken erzeugte und regelrecht determinierte, hätte die Sprache selbst nie entstehen können. Das Umgekehrte ist vielmehr wahr: Das Denken, also das Festhalten von Unterschieden in der Welt, geht der Sprache sowohl zeitlich als auch systematisch voraus. Man muss erst Unterschiede in der Welt erkennen, um sie anschließend mit sprachlichen Zeichen markieren zu können. Menschen sind und bleiben „begriffliche Souveräne“ (Willard van Orman Quine). Machen Sie doch einfach, wenn Sie Frauen für weniger wertvolle Geschöpfe halten als Männer, selbst die Probe aufs Exempel und verwenden Sie künftig nur noch das generische Femininum oder das Gendersternchen. An Ihren Überlegenheitsgefühlen wird sich dadurch gar nichts ändern. Gedankliche Determination durch Sprache ist nämlich etwas anderes als Gedankenlosigkeit. Und gegen die lohnt es sich in der Tat vorzugehen, allerdings gelingt das nicht durch das Rumbasteln an Zeichenketten.
 

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