Gender - Kulturkampf um die Sprache

Der Rat für deutsche Sprache wird vorerst keine Empfehlung für eine gendergerechte Rechtschreibung abgeben – aus gutem Grund. Denn der Versuch, anderen Menschen per Sprachdiktat die eigenen normativen Vorstellungen aufzuzwingen, ist vor allem eins: eine Anmaßung

Er, sie, * ? Der Rat für deutsche Sprache empfiehlt vorerst keine konkreten Schreibweisen / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Sprache ist Freiheit. Denn Sprache erlaubt den freien Gedanken und die freie Rede. Und sie ermöglicht es, Phrasen, Losungen und Propaganda zu hinterfragen. Aus diesem Grund haben Diktaturen immer wieder versucht, die Sprache zu reglementieren. Wer nämlich die Gewalt über die Sprache hat, der hat ein Stück weit die Gewalt über die Köpfe der Menschen.

In einer offenen und demokratischen Gesellschaft sollten amtlich verordnete Sprachänderungen aus moralischen, ideologischen oder politischen Gründen daher ein absolutes Tabu sein. Da der Staat die Schulaufsicht hat, ist es ihm zwar unbenommen, eine einheitliche Interpunktion und Orthographie aus der gängigen Praxis und Tradition heraus festzulegen. Vollständig indiskutabel sollten jedoch Sprachreglementierungen aus weltanschaulichen Motiven sein.

Eine Frage der Moral?

Insofern ist es schon ein Skandal, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung überhaupt auf die Idee kommt, Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Sprache geben zu wollen. Denn bei der gendergerechten Sprache, also bei der Frage, ob man das Binnen-I, das Gendersternchen, die Gendergap oder irgendwelche absurden Endungen (LehrerIn, Lehrer(in), Lehrer*in, Lehrer_in, Lehrx) verwendet, geht es nicht einfach um Fragen der Orthographie. Hier geht es um knallharte Ideologie. Und wie immer, wenn man nicht von Ideologie sprechen möchte, weil das natürlich irgendwie ideologisch klingt, schiebt man die Moral vor. Denn wer kann schon etwas gegen Moral haben?

Das Dumme ist nur: Es gibt eben nicht nur eine Moral, sondern viele moralische Ansichten. Und auch darüber, wie sich eine moralische Haltung in der Sprache widerspiegeln sollte, kann es unterschiedliche moralische Vorstellungen geben. Da aber alle Sprecher, gleich welcher Weltanschauungen und sprachpolitischen Meinung, dieselbe Sprache benutzen müssen, ist man gut beraten, diese ideologisch so neutral wie möglich zu halten, also unverändert – immer eingedenk der Tatsache, dass jede Sprache Ausdruck einer Kultur und ihrer Sicht auf die Welt ist.

Was die Fürsprecher einer gendergerechten und politisch korrekten Sprache so unerträglich macht, ist die Arroganz ihrer normativen Selbstgewissheit und der fundamentalistische Furor, mit dem sie anderen Menschen qua Sprachdiktat ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit oktroyieren wollen.

Es geht nicht um Sprachgerechtigkeit 

Doppelt abstoßend wird das ganze Unterfangen dadurch, dass die Initiative für die angestrebten Sprachveränderungen von einer quantitativ vollkommen unbedeutenden Ansammlung linker Universitätsangehöriger und ihrem soziologischen Umfeld ausgeht. Anders: Hier maßt sich ein kleiner Kreis an, den Rest der Gesellschaft ihre normativen Vorstellungen aufzuzwingen. Das ist nicht nur undemokratisch. Das hat aufgrund des Manipulierens an der Sprache eindeutig Züge einer repressiven, autoritären Pädagogik.

Gegen die Gendersprache wurden in den vergangenen Jahren viele linguistische, Argumente vorgebracht. Sie alle sind richtig, schön und gut. Vor allem aber sind sie naiv, da sie an der Sache vorbeigehen. Sie blenden systematisch aus, dass es den Genderideologen im Grunde gar nicht um Sprachgerechtigkeit geht, sondern um gesellschaftspolitische Macht. Mit dem Ziel, die Gesellschaft in ihrem Sinne umzubauen.

Aus diesem Grund ist auch der Rat für deutsche Sprache die denkbar schlechteste Anlaufstelle für das vorliegende Problem. Denn der Rechtschreiberat wurde im Jahr 2005 im Zuge der vermurksten Rechtschreibereform ins Leben gerufen und soll darüber befinden, ob man „liegenbleibt“ oder doch „liegen bleibt“. Ein politisch-ideologisches Mandat hat er eindeutig nicht.

Falsche Anlaufstelle

In diesem Sinne ist am vergangenen Freitag verkündete Entscheidung des Rates, keine Empfehlung abzugeben und stattdessen „auch weiterhin hierzu Analysen zum Schreibgebrauch in verschiedenen Medien und Gruppen von Schreibenden vornehmen“, durchaus verständlich, aber nicht weitgehend genug. Die einzig richtige Entscheidung des Rates wäre gewesen, sich nicht zuständig zu erklären. 

So aber ist absehbar, was passiert: Das Anliegen wird solange vorgetragen werden, bis es irgendwann durchgewunken wird und Gendergap und Gendertsternchen offizielle Rechtschreibung sind. Und wer sich dann dagegen wehrt, wird als Sexist oder schlimmeres bezeichnet werden und mit Sanktionen zu rechnen haben.

Einen Hinweis in diese Richtung gab der Rat in seiner recht unverblümt geäußerten Hoffnung auf „Verfassungsgerichtsentscheidungen“. Was Sprachwissenschaftler sich nicht (zu)trauen, sollen also die Juristen mit der Autorität des Gesetzes durchsetzen: Sprachregeln und Sprachverbote. Wie heißt es schon bei Schopenhauer: „Die Sudler sollten ihre Dummheit an etwas Anderem auslassen, als an der Deutschen Sprache.“
 

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