Fußball-WM und Politik - „Entscheidend is auf’m Platz“

Seit die deutsche Nationalelf bei der Fußball-WM ausgeschieden ist, überbieten sich Feuilletonisten mit Deutungsversuchen. Ist die Niederlage symptomatisch für die politische Krisenstimmung? Völliger Unfug, schreibt Alexander Grau

Selbstzufrieden, lethargisch, müde: Das Scheitern der Nationalelf hat handfeste, personelle Gründe / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Erbärmlich“. Besser kann man das Auftreten der deutschen Nationalmannschaft in Russland nicht beschreiben als Manuel Neuer kurz nach dem Spiel. Das Armselige am russischen Kurzauftritt der DFB-Auswahl war dabei weniger, dass sie verloren hat, sondern vor allem wie. „Peinlich“ war die Vorstellung, wie Thomas Müller es treffend formulierte.

Dieses Totalversagen verlangt natürlich nach Erklärungen. Dabei lädt Fußball Hobby-Sozialpsychologen geradezu zwanghaft zu allegorischen Deutungen ein. Da wird die Leistung einer Mannschaft zum Indikator einer Stimmung im ganzen Land, das Auftreten von 23 Männern zum Sinnbild der Verfasstheit einer ganzen Nation.

Das ganze Land selbstzufrieden und lethargisch?

Natürlich: Solche Deutungen sind kurzweilig, und sie suggerieren Tiefe. Sie heben das Banale in einen höheren Sinnzusammenhang. Da hat nicht einfach nur ein Team schlecht gespielt, vielmehr hat hier der Weltgeist höchst persönlich sein Urteil gesprochen. Aus dem Versagen einer Mannschaft und ihrer Führung wird ein Symptom für den Zustand eines Landes. In unserem Fall: selbstzufrieden, lethargisch, müde. Oder war es nicht doch: zerrissen, gespalten, übellaunig?

„Entscheidend is auf’m Platz“, formulierte einst Alfred „Adi“ Preißler. Und diese weise Sentenz hat noch immer ihre Gültigkeit. Keine Mannschaft verliert, wegen der schlechten Stimmung daheim. Kein Team gewinnt, weil zuhause alle so euphorisch sind. Das ist Feuilletonisten-Metaphysik der schlimmsten Sorte. Dass so ein Unfug aber tatsächlich zusammengedacht wird, das wiederum ist bezeichnend und sagt sehr wohl etwas über ein Land aus.

Ein Fall für die Nationalpsychoanalyse? 

Erinnern Sie sich an die morphogenetischen Felder? Die waren Anfang der 80er Jahre der letzte intellektuelle Hype. In die Welt gesetzt hatte das Stichwort der britische Biologe Rupert Sheldrake. Erfolg hatte er damit vor allen in esoterischen Kreisen. Nach Sheldrake gibt es universeller Felder, die Einfluss auf die Form biologischer und nichtbiologischer Systeme haben. Wie genau das funktionieren soll, blieb dabei unklar. Die esoterische Botschaft jedoch kam an: Demnach gibt es irgendeine geheimnisvolle Energie, die dafür sorgt, dass Informationen, aber auch Stimmungen und Befindlichkeiten über räumlichen Distanzen ganze Kollektive und ihre Umwelt erfassen.

Sheldrakes Theorie ist natürlich hanebüchener Unsinn. Doch die Idee, die dahintersteckt, scheint all zu verlockend. Und so wird aus dem Abschneiden einer Sportmannschaft gleich eine Nationalpsychoanalyse: das Wunder von Bern als Zeichen des Wiederaufbaus, der Sieg 1974 ein Ausdruck gesellschaftlicher Liberalisierung. Und umgekehrt: die Schmach von Cordoba als Ende des Zeitalters der Leichtigkeit, das schlechte Abschneiden 1998 als Sinnbild der Stagnation am Ende der Ära Kohl, das Desaster vom Mittwoch als Symptom der Krise der Kanzlerschaft Merkel. Ach, wenn es so einfach wäre.

Flucht ins Diffuse 

Angela Merkel hat in den vergangen Jahren sicher viele Fehler gemacht. Schuld am miserablen Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft ist sie aber nicht. Und an der politischen Polarisierung dieses Landes ist das DFB-Team auch nicht gescheitert. Warum genießen solche „Analysen“ dennoch eine so große Popularität?

Wo „Stimmungen“ und „Atmosphären“ als Ursachen für Niederlagen ausgemacht werden, da bleibt das klare Denken und die nüchterne Analyse auf der Strecke. Wer sich ins Diffuse flüchtet und meint, damit etwas besonders Intelligentes gesagt zu haben, der erhebt Scharlatanerie zum intellektuellen Standard.

Scheitern hat personelle Gründe 

Natürlich leben wir in einer Kommunikationsgesellschaft, und insbesondere die Spieler nehmen – leider! – lebhaft twitternd an ihr Teil. Dass sie damit dichter an den Kontroversen der Gesellschaft sind, lässt sich kaum vermeiden. Doch die Herren sind Profis, und Fußball ist ein Mannschaftssport. Wenn ein Team dermaßen versagt wie das deutsche in den vergangenen zwei Wochen, dann hat das sehr handfeste strukturelle und personelle Gründe. Und so gesehen, ähneln die Probleme der deutschen Nationalmannschaft derjenigen der Bundesregierung tatsächlich.

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