Sommerkongress „Fridays for Future“ in Dortmund - Warum seid ihr Politiker ahnunglos?

Auf einem Sommerkongress in Dortmund diskutiert die Klimabewegung „Fridays for Future“ ihre nächsten Schritte. Einer der Aktivisten, Sebastian Grieme, schreibt für unsere Serie „Junge Stimmen“ . Sein Vorwurf an die Politiker: Nicht-Handeln aus Unkenntnis

„Fridays for Future“-Demonstranten in Dortmund / picture alliance
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Autoreninfo

Sebastian Grieme ist im Jahr 2000 geboren. Er studiert Physik an der Universität Potsdam und engagiert sich als Aktivist bei „Fridays for Future“.

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„Im Namen ihrer Gesellschaften fordern die Präsidenten der Deutschen Meterologischen Gesellschaft, Prof. H.‐W. Georgii, und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Prof. J. Trümper, dazu auf, ein wirksames Programm zur Eindämmung der drohenden Klimaänderungen jetzt zu beginnen.“

Diesen Aufruf verschickte die Deutsche Physikalische Gesellschaft bereits im Jahr 1987. Passiert ist seitdem wenig, sodass aus den „drohenden Klimaänderungen“ bittere Realität geworden ist: Die fünf wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen waren global 2014, 2015, 2016, 2017 und 2018. Wir haben schon die Hälfte der Fläche des arktischen Meereises verloren und durch die Erwärmung der Ozeane bereits die Hälfte der Korallen zerstört. Das und vieles mehr können wir schon heute beobachten, und es kann niemand behaupten, er sei nicht gewarnt gewesen.

Der Kohleausstieg bis 2030 ist locker machbar

30 Jahre nach diesem wissenschaftlichen Konsens zum menschengemachten Klimawandel konnte sich die Welt dann endlich zu einem Abkommen zum Stopp der Erderwärmung durchringen, dem Pariser Abkommen. Darin versprach man uns, die Erderwärmung bei deutlich unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad zu stoppen. Das Abkommen kam spät, aber mit seinen Versprechen ist es die Lebensversicherung für uns und alle zukünftigen Generationen: Die Klimaziele der Länder sollen von nun an die „größtmögliche Ambition“ ausdrücken.

In Deutschland gibt es dutzende Studien aus etlichen Forschungsinstituten, die untersuchen, ob bestimmte Klimaschutzmaßnahmen umsetzbar sind. Also genug Belege, was „größtmögliche Ambition“ mindestens bedeuten würde. Wir wissen, dass wir unsere Mobilität bis 2035 klimaneutral machen können. Wir wissen, dass wir sogar die ganze Energieversorgung bis dahin klimaneutral gestalten können. Selbst ich als 19-Jähriger kenne Studien von drei verschiedenen Forschungsinstituten, die belegen, dass der Kohleausstieg 2030 locker machbar ist.

Kein Alarmismus, sondern nüchterne Physik

Als die Kohlekommission zum letzten Mal tagte, standen wir mit 10.000 jungen Menschen vor dem Wirtschaftsministerium und forderten nichts weiter, als ein Abkommen einzuhalten, das die Regierung selbst unterschrieben hat. Einige Stunden später kam die Eilmeldung, dass die Kohlekommission den Kohleausstieg 2038 anpeile. Das ist keine „größtmögliche Ambition“. Dennoch beteuern alle in der Regierung, wie wichtig ihnen die Einhaltung des Pariser Abkommens sei. Damit belügen sie uns, sich selbst und vor allem die Öffentlichkeit.

Aktuell arbeitet unsere Regierung immer noch auf Klimaziele hin, die sie vor der Zeit des Pariser Abkommens beschlossen hat und hält nicht einmal diese ein. Würden sich alle Länder so verhalten wie die Große Koalition, würden wir bis zum Jahr 2100 etwa drei Grad Erwärmung erreichen. Die Folgen davon wären fatal. Das ist kein Alarmismus, sondern nüchterne Physik.

Hamburg, New York und Tokio würden überschwemmt

CO2 verbleibt über tausende Jahre in der Atmosphäre, die Folgen der Klimakrise sind also größtenteils irreversibel. Dürren und Hitzeextreme würden ebenso zunehmen wie Starkregen und die globale Ernährungssicherheit unterminieren. Der Westantarktische Eisschild würde kollabieren und den Meeresspiegel langfristig um fünf Meter steigen lassen. Auch der tausende Meter dicke Eispanzer über Grönland würde schmelzen. Megastädte wie Tokio, Miami, New York, Shanghai und auch Hamburg werden dann überschwemmt.

Basierend auf heutigen Bevölkerungsdaten wären 1,3 Milliarden Menschen langfristig vom Meeresspiegelanstieg bedroht, das ist etwa jede sechste Person auf diesem Planeten. Zudem würden wir die restlichen Korallenriffe dieser Welt verlieren und hätten damit als Menschheit ein ganzes Ökosystem vernichtet. Weite Teile unserer heimischen Wälder ächzen schon heute unter der bisherigen Erwärmung und würden einen Temperaturanstieg von drei Grad nicht überstehen. Dieses Wissen kommt vom von der zwischenstaatlichen Organisation Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und weltweit führenden Experten.

Wir sind nicht radikal, sondern verhältnismäßig

Wenn ich mir diese Aussichten anschaue, dann finde ich es sehr gemäßigt und verhältnismäßig, unsere Mobilität rasant umzustellen, erneuerbare Energien schleunigst auszubauen und einen schnellstmöglichen Kohleausstieg durchzuführen. Vor allem aber finde ich es unfassbar radikal, die kurzfristigen Interessen einiger Industriesparten über das Wohlergehen aller zukünftiger Generationen zu stellen. Sind wir wirklich so herzlos? Ich glaube nicht, ich denke das Problem liegt anderswo.

Seit wir vor sieben Monaten die ersten Streiks in Deutschland organisiert haben, habe ich mit vielen Politikern gesprochen und vor allem festgestellt: Viele haben schlicht und einfach keine Ahnung davon, was auf sie zukommt. Die meisten Politiker – nicht alle, aber die meisten – haben keine wissenschaftliche Literatur zur Klimakrise gelesen, nicht einmal die Zusammenfassungen der Berichte. Vielen ist weder das Ausmaß der Bedrohung klar, noch, was man gegen die Klimakrise tun müsste.

Relativierungen, Populismus und Wunschdenken

Das ist fatal. Eigentlich wäre es die Aufgabe der Politiker, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse Maßnahmen gegen die globale Erwärmung zu ergreifen und der Bevölkerung die Notwendigkeit von ernsthaftem Klimaschutz zu vermitteln. Dabei sollten alle Parteien unabhängig von links und rechts für Klimaschutz eintreten, denn die Konsequenzen einer Klimakatastrophe würden alle Menschen betreffen. Es sollte einen Konsens geben, die zwingend notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Katastrophe zu verhindern. Ich glaube zumindest soweit an das Gute im Menschen, dass ich denke, dass die meisten Politiker sich zusammenreißen und gemeinsam an der Lösung arbeiten würden, falls sie sich denn dem Ernst der Lage bewusst wären.

Das ist wie gesagt nicht der Fall, und so beobachten wir eine Politik, die in Sachen Klimaschutz weitgehend destruktiv auftritt. Dabei versagt sie nicht nur beim Umsetzen von Klimaschutzmaßnahmen, sondern vergiftet zusätzlich die gesellschaftliche Diskussion mit Relativierungen, Populismus und Wunschdenken.

Wir wollen kein Lob

Dabei haben vor wenigen Monaten erst 26.800 Wissenschaftler mit ihrem Statement verdeutlicht, dass Relativierungen völlig fehl am Platz und unsere Proteste gerechtfertigt sind. Wie weit sich die Große Koalition von der Wissenschaft entfernt hat, wurde dabei vor wenigen Wochen wieder überdeutlich: Nach der Vorstellung von drei wissenschaftlichen Gutachten zur CO2-Abgabe kritisierte Wirtschaftsminister Altmaier diese als unsozial und ineffektiv, obwohl in genau den kritisierten Gutachten ausführlich erklärt wird, wie sich die Abgabe sozial gerecht und effektiv umsetzen lässt. Durch fehlendes Wissen hat das postfaktische Zeitalter damit längst Einzug in die Große Koalition erhalten.

Das bedeutet allerdings keineswegs, dass Politiker uns gegenüber ablehnend auftreten. Alle Parteien von CDU über SPD bis FDP begrüßen unser Engagement, aber viele haben nichts davon verstanden worum es uns eigentlich geht. Wir wollen kein Lob, wir wollen einfach nur, dass die Regierung endlich handelt und uns eine Zukunft sichert. Auch die Beteuerungen, wie wichtig Klimaschutz sei bringen uns nicht weiter. Wenn die Politiker wirklich den Ernst der Lage verstanden hätten, würden sie nicht verkünden, wie wichtig das Thema sei, sondern würden sofort alles in ihrer Macht stehende tun, um die Katastrophe abzuwenden. Wir lassen uns von netten Worten nicht abkanzeln. Gleichzeitig läuft uns zunehmend die Zeit davon. Mit jedem Tag, der ohne Taten vergeht wird es schwieriger, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Noch können wir handeln

Deshalb können wir keine weitere Zeit mehr verlieren. Jede Regierung, die derzeit an der Macht ist, muss jetzt die Weichen für eine sichere Zukunft stellen. Das gilt auch für die aktuelle Große Koalition. Sollte sie dazu nicht in der Lage sein, hat sie sich selbst jegliche Existenzberechtigung vor unserer und allen zukünftigen Generation abgesprochen.

Die schon eingetretenen Folgen des Klimawandels können wir nicht mehr rückgängig machen und einige Langzeitfolgen wie den Meeresspiegelanstieg können wir nur noch begrenzen. Aber die schlimmsten Folgen der Erwärmung können wir noch verhindern. Noch ist es dafür nicht zu spät.

Junge Menschen interessieren sich nicht für Politik, sagen die einen. Die Politik interessiert sich nicht für die jungen Menschen und ihre Anliegen, sagen die anderen. Tatsache ist: Politik wird mehrheitlich von älteren Leuten gemacht und zunehmend auch für ältere Leute, denn die bilden den größten Anteil der Wähler. Mit unserer Serie „Junge Stimmen“ wollen wir darum auch jenen Gehör verschaffen, die schließlich auch unsere Zukunft sind.

Erschienen sind bislang:

Wir wollen die Kontrolle über unsere Zukunft zurück! von Nina Parker über den Brexit

Das Ende der Paralyse von Frederick Leo über das politische Interesse seiner Generation

 

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