SPD Berlin - Giffey, übernehmen Sie!

Die bundesweit beliebte Familienministerin Franziska Giffey soll der glücklosen Berliner SPD neuen Schwung geben. Aber kommt sie in der Hauptstadt schnell genug ans Ruder?

Gilt als unideologische Macherin: Franziska Giffey / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Eigentlich war Lehrerin ihr Traumberuf, denn „ich wollte schon immer Menschen was erklären“, betont Franziska Giffey auf ihrer Homepage. Diese Motivation, verbunden mit dem Wunsch, „Menschen, denen es vielleicht nicht so gut geht, auch zu helfen“, sei Basis ihrer Profession als Politikerin.

Aus dem Traumberuf wurde nichts. Zwar beginnt die 1978 in Frankfurt/Oder geborene Giffey ein Lehramtsstudium an der Humboldt-Universität, doch bald wird klar, dass eine durch unheilbare Kehlkopfmuskelschwäche verursachte Stimmschwäche der Ausübung des Lehrerberufs dauerhaft entgegensteht.

Giffey sattelt auf Verwaltungsrecht um und fängt 2002 beim Bezirksamt Berlin-Neukölln als Europabeauftragte an. Parallel zum Arbeitsleben erwirbt sie einen M.A. für Europäisches Verwaltungsmanagement und schließlich einen Doktortitel als Politikwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin.

Entwaffnendes Dauerlächeln

Beste Voraussetzungen für eine politische Karriere also. 2010 wird die drei Jahre zuvor in die SPD eingetretene Giffey Neuköllner Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport. 2015 avanciert sie als Nachfolgerin ihres Mentors Heinz Buschkowsky zur Bezirksbürgermeisterin. Dessen in der SPD umstrittene Linie – klare Kante gegen Clankriminalität, Jugendgewalt und migrantische Parallelgesellschaften – setzt sie nahtlos fort, pflegt aber auch ihren Ruf als sozial engagierte Kümmerin in dem von einer schwierigen Sozialstruktur geprägten Problembezirk.

Ihre Auftritte folgen damals stets dem gleichen Muster. Äußerlich betont unauffällig, referiert sie mit zarter Stimme in einem Durchlauf über wilde Müllkippen, Gewaltexzesse an Schulen, kriminelle Großfamilien und von ihr initiierte Mädchenprojekte. Auch bohrende Fragen beantwortet sie geduldig, stets begleitet von einem entwaffnenden Dauerlächeln und der Beschwörung des „Zusammenhalts in unserem Bezirk“.

Plagiatsvorwürfe bremsten den jähen Aufstieg

Für die von Führungskämpfen und schwindender Wählergunst gebeutelte Berliner SPD ist Giffey Hoffnungsträgerin. Doch nach den Wahlen in Berlin 2016 schlägt sie das Angebot aus, als Senatorin und mögliche Nachfolgerin des angeschlagenen Bürgermeisters Michael Müller in die Landesregierung zu wechseln. Umso überraschender kommt ein Jahr später der ganz große Karriere­sprung: Giffey wird Familienministerin. 

Neben ihren Erfahrungen in der Kommunalpolitik verfügt sie über drei für die Quotenlogik der Regierungsbildung wichtige Insignien: Frau, jung und ostdeutsche Herkunft. In der Öffentlichkeit profiliert sie sich schnell mit sozialen Projekten wie dem Gute-Kita-Gesetz zur besseren Ausstattung der Kinderbetreuung und dem Starke-Familien-Gesetz, das höhere Kinderzuschläge für gering verdienende Eltern vorsieht. In den meisten Umfragen gehört sie seitdem traditionell zu den drei populärsten Kabinettsmitgliedern.

Im Februar 2019 kommen Plagiatsvorwürfe bezüglich ihrer Dissertation auf, ihr Aufstieg droht ein jähes Ende zu finden. Ihre von großen Teilen der Partei getragenen Ambitionen auf den SPD-Vorsitz und eine Kanzlerkandidatur muss sie erkennbar frustriert begraben. Doch sie kommt mit einem blauen Auge davon: Die Universität spricht lediglich eine Rüge aus, den Titel darf sie behalten. Für den Sprung an die SPD-Spitze kommt der halbe Freispruch zu spät. Eine erneute Regierungsbeteiligung der SPD nach den Bundestagswahlen 2021 erscheint unwahrscheinlich – deshalb wählt Giffey den Weg zurück in die Landespolitik, als unangefochtene Frontfrau der SPD. 

Reicht der Giffey-Faktor?

Ihr Image als „Macherin“, die nicht „Berge von Lebenszeit mit ideologisch aufgeladenen Grundsatzdebatten verschwenden“ will, wie sie dem Stern sagte, hat sie mittlerweile perfektioniert. Aus ihrer Ablehnung dezidiert linker Positionen, etwa bei der in Berlin diskutierten Enteignung großer Wohnungskonzerne, macht Giffey keinen Hehl, gleichzeitig stellt sie das bei vielen Parteigenossen unbeliebte Thema „Sicherheit und Ordnung“ unbeirrt in den Fokus.

Der linke Parteiflügel wird mit zusammengebissenen Zähnen ihrer Wahl zur Vorsitzenden auf dem Landesparteitag im Mai zustimmen, denn die SPD steht am Abgrund, und Giffey ist der letzte Strohhalm. Schwieriger könnte es werden, sie noch vor der Wahl im Herbst 2021 zur Regierenden Bürgermeisterin zu machen, damit sie sich einen Amtsbonus erwerben kann. Denn die selbstbewussten Koalitionspartner Grüne und Linke wollen sich nicht von einer durchsetzungsstarken Konkurrentin an die Wand drängen lassen.

Reicht der Giffey-Faktor, um die bei 15 Prozent dümpelnde SPD wieder an die Spitze zu katapultieren? Sicher ist, dass die 41-jährige Giffey für längere Zeit eine tragende Rolle in der deutschen Politik spielen wird.
 

Dieser Text stamm aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

Anzeige