Attacke auf Frank Magnitz - Auch Schweigen bereitet den Boden der Gewalt

Meist gelesener Text im Januar: Die Hintergründe der Attacke auf Frank Magnitz sind noch unklar. Klar ist: Viele Politiker der AfD können kein normales Leben mehr führen. Unser Autor wusste das und schwieg trotzdem. Er ist kein AfD-Freund, macht sich aber nun Vorwürfe und fordert ein Umdenken

Der AfD-Politiker Frank Magnitz wurde in Bremen brutal zusammengeschlagen / picture alliance
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Autoreninfo

Boris Reitschuster ist Autor und Journalist. Von 1999 bis 2015 leitete er das Moskauer Büro des Focus.

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Gewalt ist immer erschütternd. Der Anschlag auf den AfD-Abgeordneten Frank Magnitz in Bremen berührt mich aber ganz besonders. Obwohl ich Magnitz nicht kenne, obwohl mir seine Ansichten fremd sind, hat die Tat für mich eine persönliche Vorgeschichte. Denn ich frage mich: Muss ich mir nicht auch Vorwürfe machen? Frei nach Albert Einstein: „Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“

Unerträgliche Zustände, unerträgliches Schweigen

Die Vorgeschichte: Vor einigen Jahren war eine bekannte AfD-Politikerin Gast bei einem Vortrag von mir. Wir sind –verbal – massiv aneinander geraten. Unsere Ansichten zu Russland waren diametral. Nach der Veranstaltung erzählte sie mir, dass sie ständig Polizeischutz habe, nicht einmal mehr in ein Restaurant könne, ohne Angst zu haben, attackiert zu werden, dass es Brandanschläge auf ihr Auto gegeben habe, dass ihre Kinder in der Schule schikaniert würden – schlicht: Sie könne kein normales Leben mehr führen. Dann griff sie aufgewühlt nach ihrem Handy und zeigte mir die Telefonnummern all der Polizeibeamten, mit denen sie ständig im Kontakt ist.

Bei allen politischen Gegensätzen, bei aller Kritik an der AfD, bei all dem Zuspitzen und Provozieren, das die Partei selbst auch über die Grenze des Zumutbaren hinaus betreibt: Solche Zustände sind unerträglich. Unerträglich ist auch, dass viele das hinnehmen und schweigen. Oder gar befeuern. Es ist auch dieses Hinnehmen und Schweigen, die zu Attacken wie der in Bremen auf den AfD-Mann Magnitz führten. Man kann nur hoffen, dass über die vielen wohlklingenden Bekenntnisse von Politikern aller Parteien hinaus nach dieser Tat ein Umdenken stattfindet und die tieferen Wurzeln bekämpft werden – bevor noch Schrecklicheres passiert. Doch leider ist das zu bezweifeln. Vertreter der „Antifa“ kommentierten das Fast-Totschlagen des Abgeordneten auf Facebook mit „Danke“. Facebook reagierte auf eine Beschwerde mit dem Hinweis, dadurch würden keine Gemeinschaftsstandards verletzt. Das ist geistige Brandstiftung.

Ich frage mich auch selbst, ob es richtig war, zu schweigen. Genauso lautstark, wie ich die AfD – als Russland-Spezialist vor allem wegen ihrer Putin-Nähe – kritisiert habe und kritisieren werde, genauso lautstark hätte ich diese Form der Gewalt verurteilen müssen. So bitter das klingt: Ich mache mir auch Vorwürfe wegen des Anschlags in Bremen. Allerdings habe ich der Politikerin damals sofort gesagt, dass ich gerne über ihre Erfahrungen schreiben würde, weil ich sie für unerträglich halte. Sie bat mich aber, sie nicht zu erwähnen, weil sie der Auffassung war, dass dies nur noch weitere Attacken erzeugen würde. Dennoch frage ich mich wieder und wieder: Hätte ich es nicht – anonymisiert – doch tun müssen? Wenigstens tue ich es jetzt.

Niemand darf sich zum Richter aufschwingen

In 16 Jahren als deutscher Journalist in Russland habe ich den Menschen dort immer wieder gesagt: Es ist einer der Grundpfeiler unserer westlichen Demokratie, dass in der politischen Auseinandersetzung niemand um sein Leben oder seine Sicherheit fürchten muss. Auch nicht jemand, dessen Ansichten als radikal oder extrem wahrgenommen werden. Die Grenzen für Meinungsfreiheit, Diskussionen und politische Auseinandersetzung dürfen ausschließlich Gesetze und unabhängige Gerichte festlegen. Niemand anderer darf sich zum Richter aufschwingen, schon gar nicht Politiker oder Parteien – das ist eine der wichtigsten Lehren, die uns Deutschen die Geschichte erteilt hat.

Ich habe in Russland erlebt, wohin es führen kann, wenn politische Gegner pauschal diffamiert werden. Schon zu Sowjetzeiten wurden dort Systemkritiker als „Faschisten“ gebrandmarkt und damit entmenschlicht – eine alte Strategie von KGB und KPdSU, die unter Wladimir Putin wiederbelebt wurde. Menschen mit abweichender Meinung pauschal als „Nazis“ zu verleumden, verharmlost nicht nur die schrecklichen Verbrechen des Nationalsozialismus und hilft echten Neo-Nazis ihre kriminelle Haltung zu verwässern und zu tarnen. Es gibt die derart Diffamierten quasi zum „Abschuss“ frei und sät Gewalt. In Russland wurde mein Freund Boris Nemzow umgebracht, Garry Kasparow und andere fürchten um ihr Leben und mussten ins Ausland fliehen, nachdem sie zuvor als „Faschisten“ entmenschlicht wurden. Gnade uns Gott vor solch einer Entwicklung! Aber statt auf Gottes Gnade sollten wir lieber darauf setzen, dass alle Demokraten zusammenstehen und Farbe bekennen. Gegen Extremisten und Gewalttätige, egal welcher Couleur.

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