FDP-Leitbild - Des Liberalen neue Kleider

Auch das neue Leitbild der FDP ist voller Floskeln. Dabei wäre es für die Partei so einfach, die Freiheit des Individuums, die sie sich selbst auf die Fahne schreibt, in die Tat umzusetzen – mit klarer Kante gegen die Identitäts- und Moralpolitik der linken Parteien.

Die FDP versucht es mit einem neuen Image - das so neu gar nicht ist / dpa
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Autoreninfo

Judith Sevinç Basad ist Journalistin und lebt in Berlin. Sie studierte Philosophie und Germanistik und volontierte im Feuilleton der NZZ. Als freie Autorin schrieb sie u.a. für FAZ, NZZ und Welt. Sie bloggt mit dem Autoren-Kollektiv „Salonkolumnisten“. 

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„Freiheit und Verantwortung für die Zukunft“, „Weltoffenheit“, „Innovationen“ und „Mut“. Diese Begriffe bekommt man auf der ersten Seite des neuen Leitbildes der FDP zu sehen. Die Politik der großen Koalition wäre nicht mutig und ambitioniert gewesen, liest man dort. Diesen Mut zur Veränderung soll man jetzt bei den Liberalen wiederfinden: Neben den bekannten Forderungen Digitalisierung und Abbau der Bürokratisierung, legt die Partei jetzt einen Fokus auf mehr Klimaschutz und Sozialpolitik, vor allem was die Bildung angeht. Dass der neue Schwerpunkt, mit dem sich die Liberalen gerade auf allen Kanälen schmücken, daraus besteht, sich an die Politik von SPD und Grünen anzupassen, ist vieles, aber eines sicherlich nicht: mutig.

Unverbindliche Floskeln

Die FDP kommt einem wie die Homepages eines Startups vor, bei der man vor lauter Floskeln nicht weiß, was einem eigentlich verkauft werden soll: Umherfliegende Slogans, die sich zwar gut anhören, aber so flach sind, dass man alles in sie hineininterpretieren könnte. Motto: „Function follows form“. Und genau das ist das Problem der FDP: Dass sie sich mehr um ihr Image sorgt, als sich auf der Parteienlandschaft durch ein klares Profil zu positionieren. Die Partei erinnert an ein Unternehmen, dass die eigenen Forderungen absichtlich schwammig und allgemein hält, um so viele Kunden wie möglich anzusprechen.

Zugegeben, die Bemühungen der Partei, sich für mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung einzusetzen, indem man Kindern aus sozial schwachen Familien unter die Arme zu greift, erscheint auch deswegen sinnvoll, um das Klischee der kaltherzigen und skrupellosen Wirtschaftspartei aufzulockern. Aber genau hier liegt auch das Problem: Dass es der Partei anscheinend nur ums Image geht.

Volker Wissing im Ton der Linksjugend

Das bewies neulich der neue Generalsekretär der Partei Volker Wissing auf Twitter. Dort attackierte er einen CDU-Politiker, weil er sich gegen das Gendern in der Bundeswehr aussprach und das Wort „Genderwahn“ verwendete. Ob die „Kanzlerin“ auch „Genderwahn“ wäre, fragte der Liberale in einem Ton, den man eigentlich von der Linksjugend kennt. Und: „Eine CDU, die weibliche Dienstgrade für Genderwahn hält, verachtet unsere Soldatinnen“. Dass die Mehrheit der weiblichen Soldaten und der deutschen Bevölkerung das Gendern ablehnt, ignorierte Wissing und baute stattdessen in seinem Tweet das Wort „Unions-Verteidigungsminister*innen“ ein.

Es ist klar, dass das Gendern der Sprache Teil einer inhaltsleeren Moralpolitik ist, die nicht nur in den linken Parteien gerade um sich greift, sondern auch viele Wähler vergrault. Zu Recht. Wenn sich jetzt auch noch die Liberalen diesem ideologischen Kurs anschließen, haben diese Wähler in Zukunft nur noch zwei Parteien zur Auswahl: CDU und AfD. Nachdem sich die CDU-Spitze für eine Frauenquote aussprach und sich damit selbst eingestand, dass sie bereit ist, das Geschlecht vor die Kompetenz zu stellen, bleibt genau genommen nur noch eine Partei übrig, die sich gegen diese obskure Art der Identitätspolitik stellt: Die AfD. 

FDP muss klare Kante zeigen

Dabei wäre es für die FDP so einfach, die Freiheit des Individuums und den Mut, den sie sich selbst auf die Fahne schreibt, in die Tat umzusetzen – indem sie sich klar gegen die Identitäts- und Moralpolitik der linken Parteien positioniert. Und dazu gibt es genügend Anlässe. Etwa, wenn Länder ihren Mitarbeitern vorschreiben, wie sie ihre Sprache zu verwenden haben, an Unis und im Kulturbereich Veranstaltungen gesprengt werden, weil die falschen Redner auftreten oder wenn Parteien fordern, dass man politische Ämter nur noch nach Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung vergeben sollte. 

Die Identitätspolitik ist eigentlich der größte Feind des Individualismus und der typisch liberalen Haltung, die eher empowert als sich in der Opferrolle zu verschanzen. Die FDP könnte ihren Liberalismus also ohne Probleme nicht nur in der Wirtschaft ausleben, sondern auch auf die Kultur übertragen. Doch dazu müssten man die feministische Bewegung kritisieren. Und das ist bekanntlich eine Geste der AfD, um deren Politik die liberale Partei seit der Affäre um Thomas Kemmerich einen großen Bogen macht. Zu groß ist die Angst, erneut als „Nazi-Kollaborateur“ dazustehen. 

Von der Doppelmoral in die Knie gezwungen

Und es war damals schon bezeichnend, wie die FDP in der öffentlichen Debatte den Schwanz einzog. Obwohl es klar war, dass Kemmerich weit davon entfernt ist, rechtsextreme Inhalte in die Politik zu transportieren, knickte Christian Lindner vor dem Vorwurf der Kontaktschuld ein, dass man automatisch einen rechtsextremen Kurs einnehme, wenn man sich mit Stimmen der AfD wählen lässt. Dass der mediale Skandal ausblieb, als Bodo Ramelow ein paar Tage später selbst einen AfD-Abgeordneten zum Vizepräsidenten des Landtags wählte, zeigte, wie krass in der öffentlichen Debatte mit zweierlei Maß gemessen wird. Und wie sich die Liberalen vor dieser Doppelmoral in die Knie zwingen lassen.

Genau aus diesem Grund verliert die Partei gerade Wähler: Weil sie zu viel Angst hat, sich gegen diejenigen zu positionieren, die nicht mehr auf Inhalte und Argumente achten, sondern jeden Menschen den politischen Tod wünschen, der jemals für einen Gesetzesantrag der AfD gestimmt hat. Natürlich ist es verständlich, dass man nicht mit einer Partei kooperieren möchte, die Rechtsextremisten in den eigenen Reihen duldet. Die Abneigung gegen die AfD ist zu Recht groß. Das bedeutet aber nicht, dass man alle Themen, die die AfD jemals in den Mund genommen hat, stigmatisieren sollte, wie SPD, Grüne und Linke es gerade tun. 

Angst vor der rechtsextremen Ecke

Eine geregelte Migrationspolitik, klare Forderung bezüglich der Flüchtlingspolitik, die Verurteilung von Linksextremismus und Ideologien – das alles sind Themen, die die FDP eigentlich auf ihrer Agenda stehen hat, aber seit ein paar Jahren absichtlich meidet, weil sie Angst hat, in die rechtsextremistische Ecke gedrängt zu werden. 

Dabei könnte die Liberalen sich der Themen der AfD annehmen, sie in eine menschenfreundlichere, demokratische und freiheitlichere Politik überführen – und damit der extremistischen Partei das Wasser abgraben. Die Liberalen könnten die Partei sein, die extremistische und frauenfeindliche Tendenzen im Islam zu kritisiert, ohne alle Muslime pauschal zu Straftätern abzustempeln. Sie könnte eine pragmatische Klimapolitik betreiben und sich gleichzeitig gegen die antikapitalistischen und systemfeindlichen Träumereien in der Umweltbewegung positionieren. Sie könnte sich für die Ausbeutung von Frauen in Pflegeberufen stark machen, ohne alle Frauen in die Opferrolle zu drängen oder ihnen in der Sprache ein Sternchen aufzuzwingen. Und sie könnte die Kriminalität unter Einwanderern thematisieren und gleichzeitig sinnvolle Integrationsmaßnahmen fordern. Kurz: Die FDP könnte in einem politischen aufgeheizten Klima, das nur noch „gut“ und „böse“, „rechts“ und „progressiv“, „linksgrünversifft“ und „Nazi“ kennt, endlich die Partei sein, die tatsächlich Mut zeigt, indem sie sich zwischen die Stühle setzt und endlich anfängt, eine differenzierte Sozialpolitik zu betreiben.

Neulich postete die FDP ein Zitat von Walter Scheel auf Instagram: „Es kann nicht die Aufgabe eines Politiker sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen“. Wie schön wäre es, wenn sich die Partei an ihre Sätze halten würde.
 

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