Die FDP und die Ampel - Es gibt Grenzen für Kompromisse

Die FDP kann durchaus selbstbewusst in diese Sondierungen gehen. Doch „eine Koalition der Mitte“ ist im Zusammenspiel mit zwei linken Parteien nicht leicht. Deshalb läuft die FDP Gefahr, zum bloßen Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün zu werden.

Christian Lindner (M), FDP-Parteivorsitzender, und die Parteispitze der Liberalen auf der FDP-Wahlparty / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Man kann Christian Lindner und der FDP nicht vorwerfen, sie könnten es gar nicht abwarten, endlich mit SPD und Grünen eine sozial-liberal-ökologische Ampel zum Leuchten zu bringen. Nein, der FDP-Chef lässt die Tür zu Jamaika bewusst einen Spalt offen. Das tut er einerseits aus taktischen Gründen: SPD und Grüne sollen nicht meinen, eine „alternativlose“ FDP müsste zu großen Zugeständnissen bereit sein. Andererseits sind die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen FDP und CDU/CSU nun mal deutlich größer sind als zwischen FDP und SPD.

Lindners Ziel ist „eine Koalition der Mitte, die den Wert der Freiheit stärkt“. Das zu erreichen ist aber im Zusammenspiel mit zwei linken Parteien nicht leicht. Deshalb läuft die FDP Gefahr, zum Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün zu werden, aber nicht zur prägenden Kraft einer auf Bundesebene neuartigen Regierungsformation.

Jamaika steht unter keinem guten Stern

Die FDP hatte freilich gar keine andere Möglichkeit, als sich jetzt in die Sondierungsgespräche mit Rot-Grün zu begeben. Wegen des desolaten Zustands der CDU und der Obstruktionspolitik der CSU stand die Reise nach Jamaika ohnehin unter keinem guten Stern. CSU-Chef Markus Söder hat sich mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen 2023 offenbar zur Sonthofen-Strategie à la Strauß entschieden: Mit einer knallharten Opposition gegen das „Linksbündnis“ in Berlin will er in Bayern wieder auf „40 Prozent plus“ kommen, um sich so als Kanzlerkandidat für 2025 zu empfehlen.

Die FDP will endlich wieder regieren. Sie weiß aber auch, dass sie von vielen gewählt worden ist, die das Land nicht den staatsgläubigen, dirigistischen Kräften links der Mitte überlassen wollen. Gleichzeitig haben die Wähler mit ihrer Stimmabgabe für Verhältnisse gesorgt, die klassische Zweierbündnisse – Rot-Grün oder Schwarz-Gelb – ausschließen. In Dreier-Bündnissen ist der Zwang zu Kompromissen aber ungleich größer und ebenso die Gefahr, dass die Konturen der Regierungsparteien verschwimmen.

Man braucht schon viel Fantasie, um sich einen Ampel-Koalitionsvertrag vorzustellen, in dem sich das alles zu einem stimmigen Konzept zusammenführen lässt: die rigorosen klimapolitischen Ziele der Grünen, die von der SPD versprochenen sozialen Wohltaten, das entschiedene Nein der Freien Demokraten zu Steuererhöhungen und der enorme Finanzbedarf für die vielzitierte Modernisierung des Landes. Ganz abgesehen davon, dass die FDP im Zweifel dem Einfallsreichtum und der Initiative der Menschen mehr vertraut als einem von SPD und Grünen favorisierten Staatsapparat als Denker und Lenker.

Politik ist bekanntlich die Kunst des Möglichen, und Kompromisse sind per se nicht schlecht, sondern die Voraussetzung für die Bildung und die Arbeitsweise jeglicher Koalitionen. Aber es gibt Grenzen für Kompromisse. Sollte der Kohleausstieg entgegen der Pläne der Grünen etwas später als 2030 erfolgen, aber früher als 2038, was SPD und FDP wollen, könnten das alle Beteiligten ihren Wählern erklären. Aber das strikte Nein der FDP zu jeder Form von Steuererhöhungen lässt keinen Spielraum für Verhandlungen. „Ein bisschen“ Steuererhöhung – und schon stünde die FDP als „Umfaller“ da. Das bekäme sie bei den kommenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zu spüren.

Eingeschränkte Bewegungsfreiheit

Die FDP kann durchaus selbstbewusst in diese Sondierungen gehen: Mit Rot-Grün-Rot als Alternative können SPD und Grüne den Liberalen nicht drohen; dazu fehlt die Mehrheit. Zugleich könnte Lindners Aussage aus dem Wahlkampf, ihm fehle die Phantasie für ein attraktives Angebot vonseiten der SPD, in den Sondierungen schnell bestätigt werden. Und die Vor-Sondierungen mit den Grünen war gut fürs Binnenklima, machten aber auch das Trennende zwischen beiden Parteien deutlich.

Ganz entscheidend dürfte sein, wie sich die Esken-Kühnert-SPD positioniert: Gewährt sie dem Wahlsieger Olaf Scholz zunächst eine gewisse Beinfreiheit, um ihm erst später im Regierungsalltag das Leben schwer zu machen? Oder zwingt sie ihn von Anfang an auf einen knallharten Linkskurs? Auch Robert Habeck und Annalena Baerbock sind in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Die linke Basis der Grünen wird keinem Koalitionsvertrag zustimmen, in dem eine liberale Handschrift zu erkennen ist.

Es reicht nicht, „Schlimmeres“ verhindern zu wollen

Vor vier Jahren kam die FDP zu dem Ergebnis, mit CDU/CSU und Grünen nicht handelseinig werden zu können. Doch der Rückzug von den Sondierungen kam zu abrupt und zu spät, um glaubwürdig zu wirken. Sollte die FDP jetzt den Eindruck gewinnen, lediglich als Mehrheitsbeschaffer und nicht als Mitgestalter gebraucht zu werden, bliebe ihr wohl nichts anderes übrig, als die Ampel auszuschalten.

Aber anders als 2017 müsste das rechtzeitig und mit einer überzeugenden Begründung geschehen. Sich nur an einer Koalition zu beteiligen, „um Schlimmeres“ wie eine neue Große Koalition oder eine rot-grüne Minderheitsregierung zu verhindern, kann für die FDP keine Option sein. Jedenfalls dann nicht, wenn sie das bleiben will, was Christian Lindner nicht müde wird zu betonen – „eine eigenständige Partei“.

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