Ex-Geheimdienstchef unter Beobachtung - Hans-Georg Maaßen will rechtlich gegen Verfassungsschutz vorgehen

Hans-Georg Maaßen, der ehemalige Chef des Inlandsgeheimdienstes, wird nun selbst vom Verfassungsschutz überwacht. Sein Anwalt kündigt an, „alle rechtsstaatlichen Mittel“ auszuschöpfen. Eine rechtsstaatliche Posse!

Hans-Georg Maaßen / picture alliance
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, der Jurist Maximilian Krah, wünschte sich schon vor Monaten, dass der Verfassungsschutz dessen ehemaligen Chef überwachen möge. Das Kalkül dahinter: Wenn die Behörde selbst den ehemals obersten Verfassungshüter überwacht, büßt sie rasant an öffentlicher Glaubwürdigkeit ein.

Davon betroffen wären dann auch die Aktivitäten des Verfassungsschutzes gegen die AfD. Damals glaubte Krah aber nicht, dass es so weit kommen würde: „So politisch dumm können die eigentlich gar nicht sein.“ Aber zu Beginn des Superwahljahres 2024 ist Krahs Wunsch nun doch in Erfüllung gegangen.

Mehr als 1000 Dokumente

Der Grund für die aktuellen Vorgänge liegt im Sommer des Jahres 2023. Damals wurde bekannt, dass ein verdächtigter Reichsbürger Kontakt zu Maaßen aufgenommen haben soll. Damit geriet auch Maaßen selbst ins Visier seiner ehemaligen Behörde.

Maaßen beantragte deshalb im August 2023 Auskunft über die über ihn gespeicherten Daten beim Bundesverfassungsschutz. Die Antwort darauf erhielt er Mitte Januar in einem 20 Seiten umfassenden Schreiben. Darin wird minutiös aufgelistet, was die Behörde so alles über ihren ehemaligen Chef gespeichert hat.

Die Angaben sind dabei nicht einmal vollständig. In dem Schreiben heißt es: „Die ausschließlich mit dem Namen Ihres Mandanten vorgenommene Suche im elektronischen Aktensystem ergab 1000 Dokumente. Ab dem 1000. Dokument wird die Suche systemseitig automatisiert abgebrochen.“ Diese Dokumente alle zu sichten, würde einen „unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand“ bedeuten und sei daher unterblieben. Aber auch das, was der Verfassungsschutz übermittelt hat, erlaubt einen tiefen Einblick in die kuriose Denkungsart der Behörde.

Verfassungsschutzrechtlich irrelevant

Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Schon auf den ersten Blick ist fast alles, was die Behörde in dem Schreiben ausführt, verfassungsschutzrechtlich komplett irrelevant. So sieht es auch der Verfassungsschutzrechtler Dietrich Murswiek. Aber „leider“, so betont er gegenüber Cicero, sei das inzwischen das „übliche Vorgehen der Behörde“.

So habe der Rechtsextremist Bernhard Schaub Maaßen in einem Schreiben erwähnt. Ein Reichsbürger soll nach Medienberichten (!) auf seiner Facebook-Seite ein Video von Maaßen geteilt haben. Und sogar Björn Höcke (AfD) soll Maaßen schon einmal positiv erwähnt haben.

 

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Noch kurioser wird es allerdings, wenn Maaßens Meinungsäußerungen von der Behörde unter die Lupe genommen werden. So habe dieser in einem Beitrag geschrieben: „Nach den Silvester-Krawallen verhielten sich Medien und Parteien wie nach der Kölner Silvesternacht von 2015: mit Verschweigen und Verharmlosen. Warum? Weil die politische Linke ungestörte Massen-Zuwanderung will.“ Oder: „Ich sehe die Staatsmedien mittlerweile schon als eine Gefährdung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.“ Selbst dass er die Tageszeitung NZZ als „Westfernsehen“ tituliert hat, wird ihm vorgeworfen.

Oder mit Blick auf unkontrollierte Zuwanderung wird Maaßen mit den Worten zitiert: „Die jungen Menschen, die zu uns kommen, kennen unsere Normen nicht, sind ganz anders sozialisiert, bringen ihr Wertverständnis, ihre Konfliktlösungsmechanismen nach Deutschland, und wir sehen die Konsequenzen tagtäglich bei Messerstechereien.“ Selbst die Tatsache, dass Maaßen jüngst ein konsequentes Einschreiten der Behörden gegen antisemitische Demonstrationen in Deutschland vermisst hat, ist dem Verfassungsschutz eine Speicherung wert: „Das ist nicht mehr das Deutschland, für dessen Sicherheit ich gearbeitet habe und das ich will“, notiert die Behörde Maaßens Einlassungen.

Es gibt keine Verfassungstreuepflicht

Bei all dem muss man eine relevante Kleinigkeit beachten. Gemäß Verfassungsschutzgesetz darf sich die Behörde nur für „Bestrebungen“ gegen die demokratische Grundordnung interessieren. Ausdrücklich ist es ihr somit verboten, als Gedankenpolizei in Erscheinung zu treten. Was die Bürger dieser Republik sagen oder denken, geht sie schlicht nichts an. Deutschland kennt keine Verfassungstreuepflicht – außer bei Beamten.

Entscheidend ist also, dass neben einem verfassungsfeindlichen Denken auch ein gegen die Staatsordnung gerichtetes Handeln festgestellt werden muss, um überhaupt von „Extremismus“ sprechen und den Verfassungsschutz dauerhaft in Bewegung setzen zu können. Ein entsprechender Nachweis darüber, dass Maaßen eben solche Bestrebungen verfolgt, ist dem Schreiben des Verfassungsschutzes indes an keiner einzigen Stelle zu entnehmen.

Stattdessen arbeitet sich die Behörde an robust formulierter Kritik an Politik und Gesellschaft durch Maaßen ab. Die lässt zwar mitunter ein gehörig Maß politischer Urteilskraft vermissen, ist aber trotzdem sein gutes Recht.

Ein besonders schönes Beispiel ist der Fall Axel Steier. Steier ist Fluchthelfer und bereits durch manch zugespitzte Meinungsäußerung öffentlich aufgefallen. Im Januar 2023 reagierte Maaßen in einem Tweet auf ihn, aus dem auch der Verfassungsschutz zitiert. Maaßen sprach damals mit Blick auf Steier von einer „Rassenlehre mit umgekehrtem Vorzeichen“: „Eliminatorischer #Rassismus gegen Weiße und der brennende Wunsch das (sic!) #Deutschland verrecken möge.“

Was für den Verfassungsschutz offenbar Grund zur Beunruhigung ist, erweist sich bei Kenntnisnahme des Kontextes als zynisch-ironische Umkehrung der Argumentationslogik seines Kontrahenten. Der nämlich hält eine humane Flüchtlingspolitik für unmöglich, „solange Deutschland existiert“.

Und was das wiederum bedeutet, sagt er an anderer Stelle. Er wolle immer mehr Zuwanderung, damit es „irgendwann keine Weißbrote“ mehr gibt. Was Maaßen also in der ihm eigenen Art bloß gesagt hatte, war, dass die antideutsche Position Steiers selbst eine Form völkischen und rassistischen Denkens ist. Und das stimmt.

„Kulturell zurückgebliebene Menschen“

Tatsächlich gibt es nur wenige Stellen auf den 20 Seiten, über die man verfassungsschutzrechtlich tatsächlich diskutieren könnte. So wird Maaßen folgendes Zitat von einer Tagung im Jahr 2023 zur Last gelegt: „Wissen Sie, wenn man in Afrika in irgendein zurückgebliebenes Dorf kommt, dann kann man den Leuten vielleicht Glasperlen noch verkaufen für viel, viel Gold, das sie einem entgegenbringen. Aber den Leuten einzureden, dass es drei Geschlechter oder zehn oder hundert gibt, ich glaube, so naiv und infantil sind auch zurückgebliebene, kulturell zurückgebliebene Menschen nicht.“

Man könnte diese Passage nicht nur für unfein, sondern auch für rassistisch halten. Dazu müsste man allerdings ausblenden, dass Maaßen das offenkundig in freier Rede gesagt hat und bloß einen rhetorischen Pappkameraden aufbauen wollte, um sich über westliche Gendertheorie lustig zu machen. Aber selbst dann, wenn man diesen Kontext beiseite ließe, dürfte das Zitat kaum rassistisch sein. Ausdrücklich fasst Maaßen nach und präzisiert, dass er von „kulturell zurückgebliebenen Menschen“ spricht, was die prinzipielle Möglichkeit ihrer Fortentwicklung gerade einschließt. In einer rassistischen Weltanschauung wäre das nicht möglich.

Und Obacht: Von einer ganz ähnlichen Idee muss wohl auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock beseelt sein, wenn sie die ganze Welt mit ihrer „feministischen Außenpolitik“ beglücken will. Ganz offensichtlich hält sie eine menschenrechts-basierte Gesellschaftsordnung für kulturell höher entwickelt als andere Gesellschaftsformen. Andernfalls entfiele jedwede moralische Legitimität, sie gegenüber anderen Ländern nicht nur zu vertreten, sondern von ihnen auch noch einzufordern.

Außerdem wirft der Verfassungsschutz Maaßen vor, auf einer Veranstaltung der „Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft“ (SWG) referiert zu haben, die der Verfassungsschutz Hamburg als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft hat. Allerdings ist auch dieser Umstand - für sich betrachtet - zunächst verfassungsschutzrechtlich nicht relevant.

Es könnte zum Beispiel auch sein, dass Maaßen die SWG eben einfach nicht für extremistisch hält. Bekanntermaßen irrte sich der Verfassungsschutz in der Vergangenheit immer wieder bei seinen Einstufungen und musste mitunter gar von Gerichten gestoppt werden. Entscheidend wäre zudem nicht, wo Maaßen gesprochen, sondern was er denn konkret gesagt hat. Darüber allerdings erfährt man in dem Schreiben: Nichts!

Der VS müsste sich nun selbst beobachten

Kurios ist noch etwas anderes. Der Verfassungsschutz wirft Maaßen auch das Verwenden „antisemitischer Codes und Chiffren“ vor und beruft sich dabei auf ein Interview mit Gideon Botsch vom 9. Juni 2021 mit dem Radio dreyeckland. Anfang 2023 gab es Hausdurchsuchungen bei Redakteuren des Senders und zweien seiner Journalisten. Der Grund: Das Radio hatte in einem Beitrag auf ein Archiv der linksextremistischen und verbotenen Internetseite linksunten.indymedia verlinkt. Der Verfassungsschutz beruft sich damit selbst auf Quellen, die sich ihrerseits auf Linksextremisten berufen.

Wenn Maaßen also bereits deshalb verdächtig sein soll, weil ihn Reichsbürger liken, müsste sich der Verfassungsschutz nach denselben Maßstäben nun selbst unter Beobachtung stellen. Dass der Behörde die Bezugnahme auf eine Quelle, die sich mitunter selbst auf Linksextremisten stützt, auch noch ausgerechnet in einem Schreiben an ihren ehemaligen Chef unterläuft, hat etwas regelrecht Ironisches.

Maaßens Anwalt kündigt rechtliche Schritte an

Maaßens Anwalt hält das Vorgehen des Verfassungsschutzes für „offensichtlich rechtswidrig“ und kündigt an, dass sein Mandant „alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen“ werde. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass Maaßen als pensionierter Beamter noch immer der Verfassungstreuepflicht unterliegt.

Würden ihm extremistische Bestrebungen nachgewiesen, könnte disziplinarrechtlich auch seine Altersversorgung gefährdet sein. Maaßen selbst sagt, es gehe doch bloß darum, „Oppositionelle“ wie ihn und seine neue Partei „zu vernichten“. Das sei letztlich nichts anderes als „politische Verfolgung“.

Cicero fragte auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz nach, ob es Hans-Georg Maaßen eingestuft habe und wie es mögliche tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen in diesem Fall konkret begründe. Die zeitnahe Antwort aus dem Amt: „Zu Einzelpersonen äußert das BfV sich aufgrund des Schutzes von Persönlichkeitsrechten nicht.“

Auf nochmalige Nachfrage, ob die Behörde die gestellten Fragen dann also beantworten würde, falls Maaßen oder dessen Anwalt gegenüber Cicero auf Wahrung der Persönlichkeitsrechte verzichteten, lautet die Antwort schlicht und einfach trotzdem: „Nein“.

Offenbar geht es also gar nicht um den Schutz von Persönlichkeitsrechten, sondern um den Schutz der Behörde vor öffentlich-kritischer Kontrolle. Der Verfassungsschutz hat sich zumindest in diesem Fall binnen weniger Stunden selbst der Unaufrichtigkeit überführt. Das rechtsstaatliche Vertrauen in die Behörde stärkt das nicht.

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